(30.11.2023) Die Betreuung von älteren Patienten in einem Pflegeheim kann eine Praxisbesonderheit der Arztpraxis darstellen; dies aber nur dann, wenn nachweisbar ein erhöhter Behandlungsbedarf besteht. Der Vertragsarzt muss die Tatsachen, die diese Praxisbesonderheit begründen, schon im Verfahren vor den Prüfgremien so genau wie möglich angeben und belegen. Es reicht nicht aus, wenn er dies erst im Sozialgerichtsverfahren tut (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.11.2023 - L 5 KA 3043/21).
(6.11.2023) Die Nachbesetzung eines Versorgungsauftrages (Zulassung) hat grundsätzlich zeitnah nach dem Freiwerden der Arztstelle zu erfolgen, auch in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ). Die Frist beträgt 6 Monate und kann auf begründeten Antrag des MVZ um weitere 6 Monate verlängert werden (z.B. bei Schwierigkeiten des MVZ, einen passenden anzustellenden Arzt zu finden). Weigert sich das zuständige Zulassungsgremium, diese Nachbesetzungsfrist weiter zu verlängern, so ist dies nicht zu beanstanden, die dagegen gerichtete Klage des MVZ wird daher als unbegründet abgewiesen (Sozialgericht München, Urteil vom 24.10.2023 - S 38 KA 261/21).
(2.11.2023) Ein Sicherstellungsassistent muss nicht über eine abgeschlossene Weiterbildung verfügen. Er muss damit auch nicht demselben Fachgebiet angehören wie der Vertragsarzt, dessen Tätigkeit er sicher stellt. Das Gericht verpflichtete daher die KV Bayern, dem antragstellenden Vertragsarzt (Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie) eine Genehmigung für die Beschäftigung der Sicherstellungsassistentin (Fachärztin für Chirurgie) zu erteilen (Sozialgericht München, Urteil vom 16.5.2023 - S 43 KA 98/22).
(26.10.2023) Ein Patient kann gestützt auf Art. 15 Abs. 1 DSGVO von seinem Arzt/Krankenhaus verlangen, dass dieser ihm kostenfrei eine erste Kopie seiner gesamten Behandlungsunterlagen übersendet. Art. 15 Abs. 1 DSGVO geht dem Recht auf (kostenpflichtige) Kopie der Behandlungsunterlagen in § 630 g Abs. 2 Satz 2 BGB vor. Die Verpflichtung des Arztes, dem Patienten unentgeltlich eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen, gilt auch dann, wenn der betreffende Antrag mit einem anderen als den in Satz 1 des 63. Erwägungsgrundes der Verordnung genannten Zwecken begründet wird (hier: zur Verfolgung von Arzthaftungsansprüpchen) (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 26.10.2023 - C‑307/22).
(20.10.2023) Gründet ein langjähriger Vertragsarzt nach seinem Ausscheiden aus einer Gemeinschaftspraxis eine Einzelpraxis, in der er einen Berufsanfänger anstellt, so liegt eine Neugründung einer Arztpraxis vor mit der Folge, dass für die Leistungen des angestellten Berufsanfängers (Jungarzt) ein individuelles Leistungsbudget mindestens in Höhe des Fachgruppendurchschnittes zugrunde zu legen ist. Denn die Regelungen zur Honorarverteilung müssen umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen die Möglichkeit geben, zumindest den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen, was auch für Praxen in der Aufbauphase gilt (BSG, Urt. v. 19.7.2023 - B 6 KA 22/22 R).
(19.10.2023) Wird ein Patienten mit Kopfschmerzen an einen Radiologen zum MRT überwiesen, so darf der Radiologe auch vor einem sichtbaren Nebenbefund außerhalt des Gehirnschädels (hier: im Ohrgang) nicht die Augen verschließen. Auch wenn er in medizinischer Sicht nicht selbst verpflichtet ist, diesen Zufallsbefund abzuklären, hat er den Befund im Arztbrief an den überweisenden Behandler aufzunehmen. Übersieht der Radiologe diesen erkennbaren Nebenbefund, stellt dies einen Diagnosefehler dar. Die Arzthaftungsklage des Patienten wurde letztlich aber abgewiesen, weil es dem Patienten nicht gelang, nachzuweisen, dass sein Gesundheitsschaden gerade auf diesem Fehler des Radiologen beruhte (Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 10.10.2023 - 4 U 634/23).
(17.10.2023) Der Chefarzt hat gegen den Krankenhausträger als seinen Arbeitgeber einen Anspruch auf Schadensersatz bei unterbliebener Zielvereinbarung, wenn im Chefarztvertrag ein fester Zeitpunkt für den Abschluss der Zielvereinbarung vorgesehen war, der trotz eines Vorschlages der Chefarztes verstrichen ist. Der Chefarzt muss den Krankenhausträger nicht vorher zum Abschluss der Zielvereinbarung auffordern. Es ist davon auszugehen, dass der Chefarzt das vereinbarte Ziel auch erreicht hätte - das Gegenteil muss der Krankenhausträger beweisen (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.7.2023 – 2 Sa 150/22).
(20.9.2023) Der sich stetig verschärfende Ärztemangel in deutschen Kliniken und Praxen verlangt nach Ärzten aus dem Ausland. Allerdings machen die deutschen Vorschriften es insbesondere Ärzten, die nicht in der EU studiert haben, schwer, eine deutsche Approbation als Arzt zu erhalten. Grundsätzlich kann ein Arzt verschiedene, verschlungene Wege wählen, um eine Approbation zu erhalten: Er kann einen Antrag auf Kenntnisprüfung stellen, einen Antrag auf Feststellung der Gleichwertigkeit der ausländischen Ausbildung mit der deutschen Ausbildung oder aber auch einen Antrag auf Berufserlaubnis zum Beispiel um seine Ausbildung zu komplettieren. An dem aktuellen Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg (Urteil vom 31.08.2023 - 7 K 785/22) soll die Problematik erläutert und Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.
(1.8.2023) Niedergelassene Ärzte, die während der Corona-Pandemie Corona-Schutzimpfungen verabreicht haben, handelten in Ausübung der ihnen insoweit übertragenen hoheitlichen Aufgaben als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne des Art. 34 GG, § 839 BGB. Haftungsansprüche wegen Impfschäden sind daher an das jeweilige Bundesland zu richten und nicht gegen den impfenden Arzt selbst (Landgericht Dortmund, Urteil vom 1.6.2023 - 4 O 163/22).
(25.7.2023) Ist in dem Zeitpunkt, in dem ein Patient mit einer Klinik eine Wahlleistungsvereinbarung für eine Chefarztbehandlung abschließt bereits erkennbar, dass der Chefarzt zum vereinbarten Operationstermin verhindert ist, so kann die Klinik mit dem Patienten aufgrund der geltenden Vertragsfreiheit wirksam vereinbaren, dass der Patiemt dann durch einen namentlich benannten Vertreter des Chefarztes behandelt wird. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Stellvertretervereinbarung individuell ausgehandelt ist (und keine Allgemeine Geschäftsbedingung darstellt) (Landgericht Frankenthal, Urteil vom 24.2.2023 - 4 O 229/22, bestätigt durch OLG Zweibrücken, Beschluss vom 3.7.2023 – 5 U 34/23).
(21.7.2023) Eine sektorale Heilpraktikererlaubnis kann nur erteilt werden, wenn das Teilgebiet, für das die (beschränkte) sektorale Erlaubnis beantragt wird, hinreichend ausdifferenziert und abgrenzbar ist von anderen medizinischen Bereichen. Die Chiropraktik ist hinreichend ausdifferenziert und abgrenzbar. Daher muss die zuständige Gesundheitsbehörde einem Antragsteller eine auf den Bereich der Chiropraktik beschränkte - sektorale - Heilpraktikererlaubnis erteilen, wenn er sich erfolgreich einer eingeschränkten Kenntnisüberprüfung unterzieht (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 14. Juni 2023 – 9 S 1836/21).
(7.7.2023) Ist unklar, ob die gesetzlich vorgesehene Schriftform eines Praxismietvertrages eingehalten ist, so ist der Mietvertrag von jeder Seite ordentlich kündbar. Die Schriftform gilt auch für Nachtragsvereinbarungen des Praxismietvertrages mit denen zum Beispiel die Größe der gemieteten Praxisräumlichkeiten verändert wird. Unterzeichnen die Beteiligten den Vertrag erst nach der ordentlichen Kündigung, so kann dies den Vertrag nicht retten, weil diese Unterschrift erst ab dem Tag ihrer Unterzeichnung gilt (ex nunc) und nicht etwa rückwirkend zum Zeitpunkt des Aufsetzens der Vertragsänderung (ex tunc) (Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 30.6.2023 - 2 U 27/23).
- Der ärztlicher Leiter eines Medizinischen Versorgungszentrums kann auch in Nebenbetriebsstätte des MVZ tätig sein: Sozialgericht Marburg 03-05-2023
- Weiter zahlen Kassenärztliche Vereinigungen die Vergütungen für Corona-Tests nur schleppend aus: 05-07-2023
- Klagen auf Zahlung der Vergütung von Corona-Tests sind bei den Verwaltungsgerichten anzubringen: Bundessozialgericht 19-06-2023
- Wann dürfen Ärzte ihre Praxis als "Zentrum" bezeichnen? Oberlandesgericht Frankfurt aM 11-05-2023