Attest vor Gericht(14.3.2024) Ärztliche Stellungnahmen und Wertungen (vulgo Atteste) sind oft Grundlage wichtiger juristischer Entscheidungen. Die Atteste müssen aber für den jeweiligen Verwendungszweck hinreichend aussagekräftig sein. Sind sie dies nicht, geht dies zum Nachteil des Patienten. Und der Arzt kann schlimmstenfalls gezwungen werden, als sachverständiger Zeuge vor Gericht zu erscheinen um dort Stellung zu nehmen. Der Mindestinhalt eines Attestes soll daher am Beispiel einer aktuellen Entscheidung erläutert werden (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.3.2024 – 19 E 99/24). 

Der Fall: 

Eine ausländische Bürgerin begehrte die Einbürgerung in Deutschland. Voraussetzung für eine Einbürgerung ist u.a., dass der Antragsteller nachweisen kann, dass er die Sprache und Gebräuche seines Gastlandes beherrscht. Die ausländische Bürgerin konnte dies nicht, war aber der Meinung, dies beruhe auf einer psychischen Erkrankung. Wer die Sprache und Gebräuche seines Gastlandes krankheitsbedingt nicht beherrscht, wird ausnahmsweise von dieser Anforderung befreit. Dazu muß der Antragsteller aber diese Erkrankung und ihre Auswirkungen auf ihn nachweisen. 

Die ausländische Bürgerin legte dazu Stellungnahmen mehrerer Fachärzte für Psychiatrie vor. Danach leide sie unter „Angst und depressiver Störung, gemischt (F41.2, G)“ sowie „Rezidivierender depressiver Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome (F33.2, G)“. Die Klägerin befinde sich in „kontinuierlicher ambulanter Behandlung“ und trotz „kontinuierlicher medikamentöser Behandlung“ sei keine Besserung eingetreten. Die diagnostizierten Erkrankungen würden es unmöglich machen, „die deutsche Sprache zu erlernen oder die Anforderungen der B1-Prüfung zu erfüllen". 

Dies genügte der zuständigen Behörde nicht und diese versagte die beantragte Einbürgerung. Dagegen zog die Mitbürgerin vor Gericht und beantragte zuerst Prozeßkostenhilfe. Diese wurde ihr vom Verwaltungsgericht versagt. Dagegen richtet sich ihre Beschwerde, über die nun das Oberverwaltungsgericht zu entscheiden hatte.

Die Entscheidung:

Das Oberverwaltungsgericht sah das Attest gleichfalls als nicht ausreichend an, um den hier erforderlichen Beweis für die Erkrankung und ihrer Auswirkungen zu führen. Dazu hätte das Attest Folgendes beinhalten müssen:

  • vom Patienten geschilderte Beschwerden
  • Diagnose des Arztes
  • Schweregrad der Erkrankung
  • wie wirkt sich diese Diagnose im Alltag aus und wie beeeinflusst sie den Spracherwerb etc.
  • auf welcher Grundlage hat der Arzt diese Diagnose gestellt (z.B. laufende Therapie, einmalige Untersuchung)
  • Zahl der Behandlungskontakte
  • Begründung, warum Erkrankung Spracherwerb etc. unmöglich macht 

Praxisanmerkung:

Je mehr Details ein Attest mitteilt, desto aussagekräftiger ist es und desto eher hat der Arzt damit seine Pflicht erledigt und wird künftig von dem Patienten in dieser Sache nicht mehr behelligt. Wie detailreich das Attest sein sollte, hängt vom Verwendungszweck ab. Eine Krankschreibung erfordert den geringsten Grad an Detailreichtum. Ein Attest, das belegen soll, warum ein Patient krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, die Sprache und Gebräuche seines Gastlandes zu erlernen, muß dagegen sehr detailreich sein.

Solange der Arzt das Attest dem Patienten übergibt (und nicht direkt an den Adressaten, z.B. Gericht oder Behörde) kann er das Attest detailreich halten. Denn der Patient muss das Attest dann selbst an den Dritten weitergeben und zeigt sich damit selbst einverstanden mit der Weitergabe dieser sensiblen Gesundheitsdaten an Dritte, womit datenschutzrechtliche Probleme für den Arzt entfallen. 

 

Der Beschluss des Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen im Volltext:

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.3.2024 – 19 E 99/24

Tenor

  • Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
  • Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  • Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Der Senat entscheidet über die Beschwerde durch die Berichterstatterin, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 87 a Abs. 2 und 3 VwGO).

Die Prozesskostenhilfebeschwerde hat keinen Erfolg.

Sie ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin für das erstinstanzliche Klageverfahren zu Recht mit der Begründung abgelehnt, ihre Klage habe keine hinreichende Erfolgsaussicht (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO), da sie keinen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband habe. Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung des Begriffs einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe zu versagen ist, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance indes nur eine entfernte ist. Prozesskostenhilfe darf von Verfassungs wegen nicht versagt werden, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden ausgehen würde. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 13. Juli 2020 - 1 BvR 631/19 -, FamRZ 2020, 1559, juris, Rn. 18, und vom 28. Oktober 2019 - 2 BvR 1813/18 -, NJW 2020, 534, juris, Rn. 27; OVG NRW, Beschlüsse vom 12. Januar 2024 - 19 E 781/23 -, juris, Rn. 3, vom 8. Dezember 2023 - 19 E 845/23 -, juris, Rn. 3, vom 17. Februar 2023 - 19 E 53/23 -, juris, Rn. 3, und vom 15. Dezember 2020 - 19 E 85/20 -, juris, Rn. 4.

Unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Grenzen für eine vorweggenommene Beweiswürdigung fehlt eine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinn des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur, wenn die summarische Würdigung des Sachverhalts, so wie er sich gegenwärtig nach Lage der Akten darstellt, die Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zulässt, dass jedenfalls mit (weit) überwiegender Wahrscheinlichkeit der entscheidungserhebliche Sachverhalt in der Weise richtig ist, wie ihn die Stelle, die über den Erlass des Verwaltungsaktes entschieden hat, ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat. OVG NRW, Beschlüsse vom 12. Januar 2024, a. a. O., Rn. 5, vom 8. Dezember 2023, a. a. O., Rn. 5, und vom 28. November 2019 - 12 E 1017/18 -, juris, Rn. 11 m. w. N.

Nach diesen Maßstäben ergibt sich keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat auf der Grundlage der - wie oben dargestellt - im Prozesskostenhilfeverfahren maßgeblichen summarischen Würdigung des sich nach Aktenlage ergebenden Sachverhalts zu Recht angenommen, dass § 10 Abs. 6 StAG im Fall der Klägerin kein Absehen von den Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 StAG (ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache; Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) gebietet. § 10 Abs. 6 StAG verpflichtet zu einem Absehen von diesen Einbürgerungsvoraussetzungen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

Dabei obliegt es dem Einbürgerungsbewerber aufgrund seiner Mitwirkungspflicht gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 StAG i. V. m. § 82 Abs. 1 AufenthG, das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen nach § 10 Abs. 6 StAG hinreichend substantiiert darzulegen. Beruft er sich auf ein krankheitsbedingtes Unvermögen, so muss er dies regelmäßig durch ein fachärztliches Attest nachweisen. Aus dem Attest muss sich nachvollziehbar mindestens ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt, insbesondere inwieweit sie die Fähigkeit des Einbürgerungsbewerbers zum Erlernen der deutschen Sprache beeinträchtigt. Zu den mitzuteilenden ärztlichen Erkenntnisgrundlagen gehören insbesondere Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat, welche Art von Befunderhebung stattgefunden hat und ob die vom Patienten geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. OVG NRW, Urteil vom 10. Dezember 2020 - 19 A 2379/18 -, juris, Rn. 87, ferner Beschlüsse vom 28. März 2022 - 19 A 2172/20 -, juris, Rn. 8, vom 4. November 2021 - 19 E 216/21 -, juris, Rn. 4, und vom 19. September 2017 - 19 E 162/17 -, juris, Rn. 4 m. w. N.

Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin nicht dargelegt, dass sie aus einem in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Grund außerstande ist, die Einbürgerungsvoraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 zu erfüllen. Es fehlt an entsprechenden aussagekräftigen fachärztlichen Attesten. Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, genügt die im Verwaltungsverfahren eingereichte Fachärztliche Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie, Suchtmedizin und Verkehrsmedizin Dr. I. aus R. vom 14. Juni 2022 nicht den oben dargestellten Mindestanforderungen an fachärztliche Atteste zum Beleg psychischer Erkrankungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Die Stellungnahme enthalt keine Angaben dazu, auf welcher Grundlage der Arzt seine Diagnosen „Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2, G)“ sowie „Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome (F33.2, G)“ gestellt hat. Weiter fehlen Angaben, wie häufig sich die Klägerin seit 2010 in ärztlicher Behandlung befunden hat sowie zum bisherigen Behandlungsverlauf. Die Stellungnahme enthält lediglich die Angaben, die Klägerin befinde sich in „kontinuierlicher ambulanter Behandlung“ und trotz „kontinuierlicher medikamentöser Behandlung“ sei keine Besserung eingetreten. Insbesondere mangelt es aber an einer substantiierten und nachvollziehbaren Begründung, weshalb es die diagnostizierten Erkrankungen unmöglich machen sollen, „die deutsche Sprache zu erlernen oder die Anforderungen der B1-Prüfung zu erfüllen“. Das Attest erschöpft sich in der entsprechenden Behauptung.

Gleiches gilt für die im Klageverfahren ergänzend eingereichte Stellungnahme des Facharztes Dr. I. vom 9. Januar 2024. Auch diese erfüllt nicht die dargestellten Mindestanforderungen an fachärztliche Atteste zum Beleg psychischer Erkrankungen, da sie ebenfalls keine Angaben zu den Grundlagen der Diagnosen - nunmehr erweitert um die Diagnose „Leichte kognitive Störung (F06.7, G)“ - sowie zum bisherigen Behandlungsverlauf enthält. Ebenso fehlt - anders als von der Klägerin mit ihrer Beschwerde geltend gemacht - erneut eine nachvollziehbare Begründung hinsichtlich der behaupteten Kausalität zwischen den diagnostizierten Erkrankungen und dem geltend gemachten krankheitsbedingten Unvermögen der Klägerin zum Erwerb ausreichender Deutschkenntnisse. Der Facharzt schildert in der Stellungnahme lediglich verschiedene Symptome (ausgeprägte Ängste, Rückzugsverhalten, Antriebsstörungen, Kontaktvermeidung und kognitive Störungen in Form von Gedächtnisstörungen, Merkfähigkeitsstörungen, Konzentrationsstörungen und Auffassungsstörungen), ohne darzulegen, welches dieser Symptome auf welche Erkrankung - oder ggf. auf das Zusammenspiel welcher oder aller Krankheiten - zurückzuführen ist, wie stark genau diese jeweils ausgeprägt sind und inwiefern sie sich auf die Fähigkeit der Klägerin zum Erlernen der deutschen Sprache auswirken.

Daran ändern auch die ergänzenden Ausführungen der Klägerin in der Beschwerdebegründung, sie verlasse aufgrund der geschilderten Symptome „fast nie“ ihre Wohnung und spreche mit ihren Angehörigen „naturgemäß“ nur Arabisch, so dass ein Kontakt zur deutschen Sprache fast nicht stattfinde, nichts. Diese letztgenannte Behauptung steht im Widerspruch zu ihren Angaben im Formblattantrag, dass ihr Ehemann und mindestens eines ihrer Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und ihre jüngeren Kinder in Deutschland geboren, also jedenfalls in der Schule mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO. 17 Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). - Seite

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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