(21.3.2023) Empfiehlt ein Klinikarzt den Eltern eines Frühgeborenen, dieses in drei Monaten nach Klinikentlassung einem Augenarzt zu einer Kontrolluntersuchung vorzustellen, so verstößt er damit gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen therapeutischen Sicherungsaufklärung. Erleidet das Frühgeborene dann fünf Wochen nach Entlassung eine Netzhautablösung und erblindet teilweise, so haftet die Klinik auf Schadensresatz und Schmerzensgeld (Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 01.03.2023, Az. 5 U 45/22).
(9.3.2023) Ärzte klagen häufig über technische Schwierigkeiten bei der Verwendung der TI (Telematikinfrastruktur) in ihren Praxen. Versichertenkarten lassen sich nicht einlesen, Leistungen können nicht codiert werden, das System hat keine Verbindung etc. Manche Ärzte weigern sich sogar, das System überhaupt zu verwenden. Andere Ärzte wollen zumindest die Kosten für die Behebung technischer Probleme mit der TI ersetzt bekommen. Die Rechtsprechung stellt aber immer wieder klar, dass die TI vom Arzt zwingend zu verwenden ist und dass die Kosten des technischen Supports vom Arzt selbst zu tragen sind (SG München, Urteil v. 09.11.2022 - S 38 KA 5155/21, SG Mainz, Urteil v. 27.07.2022 - S 3 KA 84/20 und LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 26.10.2022 - L 5 KA 107/21).
(1.3.2023) Der Streit eines privaten Corona-Testcenters mit der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin um die Bezahlung von Entgelten für Testleistungen nach der Coronavirus-Testverordnung ist vor dem Verwaltungsgericht zu entscheiden und nicht vor dem Sozialgericht. Denn die Durchführung von Covid19-Testungen ist nicht Teil der Prävention, Behandlung oder Rehabilitation von Krankheiten im Sinne des Sozialgesetzbuches 5 (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Januar 2023 – L 7 KA 29/22 B ER).
(25.2.2023) Bei der Impfung mit dem mRNA-Impfstoff Pfizer-BioNTech COVID-19 Vakzin "Comirnaty" erfüllt der impfende Arzt seine Aufklärungspflicht, wenn er nach vorheriger schriftlicher Aufklärung mittels Merkblatt jedem Impfling die Möglichkeit gegeben hat, im mündlichen Arztgespräch vor der Impfung Nachfragen zu stellen und weitere Informationen einzuholen (Landgericht Heilbronn, Urteil vom 14.02.2023 – Wo 1 O 65/22). Da die beklagte Ärztin diese Anforderungen erfüllt hatte, wies das Gericht die gegen sie gerichtete Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgled einer Patientin, die nach der Impfung über eine Hirnhautentzündung klagte, als unbegründet ab.
(22.2.2023) Beantragt ein Psychotherapeut eine Sonderbedarfszulassung, muss der Zulassungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung prüfen, ob ein Sonderbedarf vorliegt. Dazu muss er umfangreiche Ermittlungen anstellen wie zum Beisppiel die niedergelassenen Kollegen befragen und Weartezeiten ermitteln. Tut der Zulassungsausschuss dies wiederholt nicht, kann im Einzelfall eine eingeschränkte Umkehr der Beweislast zu Gunsten des Psychotheraoeuten eingreifen. Und hat sich das Verfahren schon über Jahre hingezogen, so kann das Sozialgericht ausnahmsweise den Zulassungsauschuss direkt verurteilen, dem Psychotherapeuten die Sonderbedarfszulassung zu erteilen (Landessozialgericht der Länder Berlin und Brandenburg, Urteil vom 18.05.2022 - L 7 KA 12/20).
(15.2.2023) Ein Regress von über 260.000 €, der lediglich auf Grund fehlender Gegenzeichnung von Medikamentenverordnungen gegen einen ermächtigten Chefarzt angeordnet wird, verstößt gegen das auch im Öffentlichen Recht geltende Gebot von Treu und Glauben, wenn sich der Regress im Einzelfall als rechtsmißbräuchlich darstellt (Sozialgericht Mainz, Urteil vom 7. Dezember 2022 – S 3 KA 14/19).
(8.2.2023) Der Arzt ist nicht verpflichtet, dem Patienten nach dem Aufklärungsgespräch über die Risiken einer Operation eine bestimmte Bedenkzeit einzuräumen, bevor dieser in die Behandlung einwilligt (Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.12.2022 - VI ZR 375/21).
(3.2.2023) Bei einer im wesentlichen komplikationsarm verlaufenden Geburt kam es zu einem eingeengten CTG es entwickelte sich eine Entzündung der Gebärmutterfruchthülle der Mutter, was eine nicht seltene Komplikation bei der Geburt ist. Das Kind wurde deshalb per Kaiserschnitt entbunden. Nach der Geburt zeigte sich, dass das Kind einen Schlaganfall erlitten hatte. Nach sachverständiger Beratung verneinte das Gericht aber Schadensersatz – und Schmerzensgeld Ansprüche des nun behinderten Kindes (Landgericht Flensburg, Urteil vom 16. Dezember 2022 – 3 O 313/20).
(26.1.2023) Zulassungsverfahren für Ärzte dauern oft mehrere Monate, insbesondere wenn unterlegene Konkurrenten Widerspruch einlegen. Im Verlauf dieser Verfahren kann es daher dazu kommen, dass ein angestellter Arzt, für den eine Zulassung erteilt wurde, wegzieht oder eine andere berufliche Tätigkeit aufnimmt und daher nicht mehr für die vertragsärztliche Versorgung zur Verfügung steht. Fraglich ist, ob dann die anderen, unterlegenen Bewerber automatisch den Zuschlag erhalten oder ob das Zulassungsverfahren neu aufgerollt werden muss. Das Sozialgericht München hat nun entschieden, dass in einem solchen Fall eine Klage eines vormals unterlegenen Mitbewerbers auf Erteilung der (nun freiwerdenden) Zulassung unzulässig ist und dass die Zulassung gegebenenfalls neu auszuschreiben ist (SG München, Urteil vom 23. November 2022 – S 38 KA 35/21).
(11.1.2023) Die Entnahme und Einfügung von Eigenfett im Rahmen sogenannter Schönheitsoperationen ist mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden, wie dieser aktuelle, vor dem Bundesgerichtshof verhandelte Fall eines Schönheitschirurgen aus Düsseldorf zeigt. Weil der Arzt seine - nach der Operation verstorbenen - Patientinnen nicht über diese Risiken aufgeklärt hatte, wurde er 2021 wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer über dreijährigen Haftstrafe verurteilt und ihm wurde ein vierjähriges Berufsverbot auferlegt. Diese Entscheidung hat der BGH nun bestätigt (BGH, Beschlüsse vom 2.11.2022 - 3 StR 162/22).
Streiten Arzt und Hebamme, die zur gesamtschuldnerischen Haftung gegenüber dem an einem Geburtsschaden leidenden Kind verurteilt wurden, über der Frage, wer von beiden nun den Schaden in welcher Höhe intern zu tragen hat, so gelten auch für diese Fragen der internen Haftungsverteilung zwischen den beiden Gesamtschuldnern Hebamme und Arzt die anerkannten und gesetzlich bestimmten Regeln der Darlegungs- und Beweislast nach den Grundsätzen auch des Arzthaftungsrechts, also beispielsweise die Beweislastregel des § 630h Abs. 5 BGB, wonach bei groben Behandlungsfehlern sich die Beweislast zu Lasten der Behandlungsseite umkehrt (Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. Dezember 2022 – VI ZR 284/19 –, juris).(3.1.2023)
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