(15.3.2020) Hatten die betroffenen Vertragsärzte hinreichend Zeit, Ihre Einwendungen gegen einen Bescheid des Beschwerdeausschusses über die Festsetzung eines Richtgrößenregresses wegen Verordnung von Medikamenten schriftlich vorzutragen, können sie den Bescheid (hier Regress über EUR rund 295.000) nicht allein deshalb angreifen, weil die betroffenen Vertragsärzte nicht vor dem Ausschuss mündlich angehört worden sind (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 12. Februar 2020 – L 3 KA 20/17). Die Entscheidung zeigt, wie wichtig es ist, alle denkbaren Einwendungen (unter MItgabe von Belegen wie z.B. CD-Roms mit Abrechnungsdaten) zeitig schriftlich vorzubringen. Andernfalls muss der Beschwerdeausschuss diese nicht berücksichtigen. 

Regress wegen zu hoher MedikamentenkostenDer Fall:

Im Jahr 2007 leitete der Prüfungsausschuss gegen eine hausärztliche Berufsausübungsgemeinschaft (Klägerin) ein Richtgrößenregressverfahren ein. Die Klägerin habe bei den Medikamentenkosten des Fachgruppendurchschnitt um über 130 % überschritten. Die Klägerin machte dagegen u.a. Praxisbesonderheiten geltend. Gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses (Regresse iHv 310.000 EUR) von 2007 legte die Beklagte Widerspruch ein.

Das Widerspruchsverfahren über den Regress zog sich hin. Die Sitzung des Beschwerdeausschusses über den Widerspruch wurde für Anfang Dezember 2010 angesetzt. Die Klägerin beantragte Terminsverlegung, weil eine Ärztin der BAG an dem geplanten Terminstag erkrankt sei und dazu angehört werden sollte. Der Beschwerdeausschuss lehnte eine Verlegung des Termins ab. Am Morgen des Tages der Sitzung des Ausschusses übersandte die Klägerin noch einen umfangreichen Schriftsatz mit Einwendungen per Fax; eine dazugehörge CD-Rom ging per Post ein, allerdings erst nach der Sitzung Anfang Dezember 2010. Der beklagte Beschwerdeausschuss erließ schließlich in der Sitzung von Anfang Dezember 2010 einen Regressbescheid über rund 295.000 EUR. 

Dagegen klagte die BAG. Sie trug unter anderem vor, der Bescheid verletze ihre Recht auf rechtliches Gehör, weil die Ärztin nicht angehört wurde vom Ausschuss.

Das Sozialgericht folgte dieser Argumentation und hob den Regressbescheid auf. 

Der beklagte Beschwerdeausschuss ging dagegen in Berufung. 

Die Entscheidung:

Das LSG entschied nun, dass der Regressbescheid des Beschwerdeausschusses nicht zu beantstanden sei und wies die Klage ab. 

Die Kläger hätten lange Zeit gehabt, ihre Einwendungen gegen die Berechnungen vorzutragen und Praxisbesonderheiten geltend zu machen, ein Recht, von dem die Klägerin ja auch mehrfach mittels Schriftsätzen Gebrauch gemacht habe. Ein Recht auf Anhörung der Ärztin der BAG bestehe nach der der Prüfvereinbarung nicht. 

Praxisanmerkung:

Bei einem Arzneikostenregress stehen dem betroffenen Arzt vielfältige Einwendungen zur Verfügung. So kann er Praxisbesonderheiten geltend machen, aber auch Berechnungsfehler des Prüfungsausschusses. Diese Einwendungen sind komplex und bedürfen regelmäßig aufwändiger Prüfungen und Vorbereitungen durch den Arzt. In jedem Fall sollten diese Einwendungen schriftlich und hinreichend strukturiert erhoben werden vor der Entscheidung des Ausschusses. Dies sollte, wie der vorliegende Fall zeigt, auch immer früh genug geschehen. Mindestens drei Wochen vor der Sitzung sollten die Unterlagen beim Ausschuss liegen, damit dieser auch Zeit hat, diese Argumente zu prüfen. 

Auf eine Anhörung kann der betroffene Arzt nicht bauen. Ein Recht dazu besteht nicht, so das LSG.

Überdies ist es erfahrungsgemäß ohnehin meist nicht mehr möglich, einen Ausschuss mit "frischen" Einwendungen in der Sitzung oder kurz davor zu überzeugen. Für ein solches Umsteuern und "Überzeugen" des Ausschusses ist die Materie der Prüfung von Richtgrößen bei Arzneikostenregressen viel zu komplex. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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