Chefarzt bei der Arbeit(17.10.2023) Der Chefarzt hat gegen den Krankenhausträger als seinen Arbeitgeber einen Anspruch auf Schadensersatz bei unterbliebener Zielvereinbarung, wenn im Chefarztvertrag ein fester Zeitpunkt für den Abschluss der Zielvereinbarung vorgesehen war, der trotz eines Vorschlages der Chefarztes verstrichen ist. Der Chefarzt muss den Krankenhausträger nicht vorher zum Abschluss der Zielvereinbarung auffordern. Es ist davon auszugehen, dass der Chefarzt das vereinbarte Ziel auch erreicht hätte - das Gegenteil muss der Krankenhausträger beweisen (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.7.2023 – 2 Sa 150/22). 

Der Fall: 

Ein radiologischer Chefarzt hatte mit dem Krankenhausträger in dem Chefarztdienstvertrag vereinbart, dass er neben seinem festen Chefarztgehalt auch noch eine erfolgsabhängige Tantieme ausgezahlt bekommt, wenn er ein vereinbartes Ziel erreicht. Das Ziel war aber noch nicht konkret in dem Vertrag vereinbart. Das konkrete Ziel sollte zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt zwischen dem Chefarzt und dem Krankenhausträger vereinbart werden.

So hieß es in dem Chefarztvertrag (§ 8 Abs. 2):

„Der Arzt erhält ferner eine erfolgsabhängige, nicht zusatzversorgungspflichtige Tantieme gem. der als Anlage 1 beigefügten Tantiemevereinbarung."

"Zu diesem Zweck wird die Klinik dem Mitarbeiter einen Vorschlag unterbreiten, hinsichtlich welcher Positionen das Betriebsergebnis zu korrigieren ist."

und

"Die Kriterien für die Tantieme werden von den Parteien spätestens bis zum 01.03. eines Kalenderjahres für das Kalenderjahr bzw. bei abweichendem Geschäftsjahr bis zum Ablauf des zweiten Monates des jeweiligen Geschäftsjahrs neu vereinbart. Wird eine Vereinbarung nach Satz 1 nicht oder nicht fristgerecht erzielt, werden die Kriterien durch den Arbeitgeber im Rahmen billigen Ermessens bestimmt.“

Der Zielwert der Tantieme betrug EUR 70.000.

In den Jahren 2019 - 2020 zahlte der Krankenhausträger nach jeweiliger Vereinbarung jeweils eine Tantieme an den Chefarzt aus. Für das Jahr 2021 kam es aber trotz intensiver Verhandlungen und eines Vorschlages des Chefarztes zu keiner Übereinkunft. Der Krankenhausträger zahlte für das Jahr 2021 schließlich eine Tantieme von 7.000 EUR aus. Deshalb verlangte der Chefarzt von dem Krankenhausträger schließlich Zahlung von EUR 63.000 als Schadensersatz wegen unterlassener Zielvereinbarung. Das Arbeitsgericht gab der Zahlungsklage des Chefarztes statt. Dagegen legte der beklagte Krankenhausträger Berufung ein. Die Beklagte hat u.a. dargelegt, dass der vom klagenden Chefarzt unterbreitete Gegenvorschlag für die Beklagte nicht akzeptabel gewesen sei, so dass die Verhandlungen über die Zielvereinbarung für gescheitert erklärt worden seien und die Beklagte die Ziele korrekt nach billigen Ermessen auf 7.000 EUR festgesetzt habe.

Die Entscheidung:

Die Beklagte sei dem klagenden Chefarzt zur Zahlung der Tantieme nach §§ 280, 283 BGB verpflichtet (Schadensersatzpflicht bei Vertragsverletzung). Die Beklagte habe ihre Verpflichtung zum Abschluss der Zielvereinbarung verletzt. 

Die Beklagte habe zu spät einen Vorschlag angekündigt. Der Chefarzt selbst sei aufgrund der Ankündigung der Beklagten nicht verpflichtet gewesen, von sich einen Vorschlag zu unterbreiten. Auch müsse nach § 8 Abs. 2 des Vertrages die Beklagte den Vorschlag unterbreiten. Der Chefarzt müsse, da er schon einen Gegenvorschlag unterbreitete, auch keine weiteren Anstrenungen unternehmen, um eine Einigung herbeizuführen. 

Habe der Arbeitgeber schuldhaft kein Gespräch mit dem Arbeitnehmer über eine Zielvereinbarung geführt, so sei die für den Fall der Zielerreichung zugesagte Tantieme bei der abstrakten Schadensberechnung nach § 252 Satz 2 BGB Grundlage für die Ermittlung des dem Arbeitnehmer zu ersetzenden Schadens.

Es sei grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Solche besonderen Umstände habe der Arbeitgeber darzutun und gegebenenfalls zu beweisen. Diesen Beweis habe die Beklagte nicht geführt.

Praxisanmerkung:

Ein sich lange hinziehender Streit über die Höhe und/oder das Erreichen einer Zielvereinbarung belastet das Verhältnis zwischen Chefarzt und Klinik. Solche Streitigkeiten können vermieden werden, indem der Chefarzt erstens verlangt, dass das Ziel und die Berechnung der Tantieme genau im Chefarztvertrag festgelegt wird (idealerweise mit einem Rechenbeispiel) und zweitens er sich bereits im Chefarztvertrag ein Einsichtsrecht ausbedingt in die kaufmännische Ergebnisberechnung (die der Ermittlung der Tantieme als Grundlage dient). Dann kann er selbst frühzeitig eine überschlägige Berechnung der Höhe der Tantieme durchführen und einen konstruktiven Vorschlag machen, um so möglichst reibungslos zu einer Einigung zu kommen. Das vorliegende Urteil zeigt aber auch, dass und ab wann der Chefarzt auf Zahlung der Tantieme klagen kann. Es zeigt auch, dass es nicht ratsam ist, zu regelnde wesentliche Fragen der Chefarztvergütung in die Zukunft zu verlegen. 

Zielvereinbarungen sind schwierig zu vereinbaren und führen des öfteren zu Streitigkeiten. Der rechtliche Rahmen der Zielvereinbarungen ergibt sich u.a. aus § 135 c SGB V. Zulässig sind insbesondere solche Ziele, die keinen unmittelbaren Bezug zur eigentlichen ärztlichen Leistung des Chefarztes haben, denn es soll vermieden werden, dass der Chefarzt "auf Masse" arbeitet, um die Zielvereinbarung zu erreichen und dann die Qualität der Patientenversorgung leidet. Vereinbart werden können als Ziele z.B. das zeitnahe Abfassen von Arztbriefen und die Einführung neuer Behandlungssysteme. Ungeeignet sind weiche Ziele wie Patientezufriedenheit oder Verbesserung der Reputation der Klinik. Die Ziele müssen jedenfalls spezifisch, messbar, ausführbar, realistisch und zeitlich festgelegt sein. Sinnvoll sind u.a. die Vereinbarung einer Mindesthöhe und ein konkreter Verfahrensablauf, wie die Zielvereinbarung jedes Jahr abzuschließen ist.  

 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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