Neugeborenes(7.7.2023) Der ärztliche Leiter eines MVZ mit Standorten in mehreren Ortschaften kann auch in einer Nebenbetriebsstätte des MVZ tätig sein, solange der Leiter auch von dort aus seine Gesamtverantwortung ausüben kann. Aufgrund der modernen Kommunikationsmittel ist dies regelmäßig der Fall, wenn zwischen Nebenbetriebs- und Hauptbetriebsstätte des MVZ eine Distanz liegt, die in weniger als 30 Minuten überbrückt werden kann (Sozialgericht Marburg, Urteil vom 3.5.2023 - S 17 KA 642/22).

Der Fall: 

Ein gynäkologisch-kinderärztliches MVZ betreibt seine Hauptbetriebsstätte in A-Stadt und zwei Nebenbetriebsstätten in anderen Städten. Das MVZ beantragte die Anerkennung einer angestellten Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin als ärztliche Leiterin des MVZ. Diese Ärztin war aber in der Nebenbetriebsstätte in D-Stadt tätig. Deshalb verweigerte der Zulassungsausschuss die Anerkennung der ärztlichen Leitung des MVZ in A-Stadt durch diese Ärztin. Denn der Leiter eines MVZ müsse an der Hauptbetriebsstätte angestellt sein, um seine gesetzlich vorgeschriebene Funktion ausüben zu können. Zudem ergebe sich bereits aus der Gesetzessystematik, dass nur eine Anstellung an der Hauptbetriebsstätte möglich sei. 

Die Entscheidung:

Dieser Einschätzung schloss sich das Sozialgericht Marburg nicht an. Es weist einleitend darauf hin, dass es zu der streitgegenständlichen Frage weder gesetzliche Vorgaben noch Rechtsprechung gäbe. Mithin sei es nicht gesetzlich verboten, die ärztliche Leitung in einem MVZ mit mehreren Betriebsstätten in einer Nebenbetriebsstätte anzusiedeln. 

Den umfangreichen Aufgabenkatalog (u.a. Steuerung des Personaleinsatzes, die medizinische Ausrichtung der Abrechnung, die sachlich und rechnerische Abrechnung, Organisation der Teilnahme am Notdienst) könnten ärztliche Leiter von MVZ aber nur dann erfüllen, wenn funktional hierfür die Möglichkeit bestehe. Dies setze voraus, dass der ärztliche Leiter jederzeit kurzfristig die persönliche Anwesenheit auch in der Hauptbetriebsstätte gewährleisten kann. Aufgrund der heutigen Möglichkeiten der Telekommunikation bestehe unabhängig von einer persönlichen Präsenz eine weitgehende Möglichkeit der Kommunikation, Führung und Kontrolle ohne eine persönliche Anwesenheit der jeweiligen Leitungsperson. Eine inhaltliche Überwachung der ärztlichen Leistungen sei – anders als in Leitungspositionen in anderen Bereichen sonst üblich – aufgrund des Grundsatzes der persönlichen Leistungserbringung bei Ärzten nicht möglich, so dass sich die Leitungstätigkeit auf die genannten administrativen und organisatorischen Abläufe beschränkt. In der Regel dürften diese Leitungsaufgaben des ärztlichen Leiters eines MVZ durch persönliche Besprechungen, Telefonate, Emails und Nutzung moderner Kommunikationsmittel zu bewältigen seinDies sei regelmäßig der Fall, wenn zwischen Nebenbetriebs- und Hauptbetriebsstätte eine Distanz liegt, die in weniger als 30 Minuten Fahrzeit zu überbrücken ist, womit sich das Sozialgericht an der bekannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Erreichbarkeit ausgelagerter Praxisräume orientiert. Hier waren für die Überwindung der Distanz zwischen den Betriebsstätten von rund 6 Kilometern nur ca. 15 Minuten Fahrzeit erforderlich, so dass das Sozialgericht Marburg gegen die Anerkennung der ärztlichen Leiterin in D-Stadt nichts einzuwenden hatte.

Praxisanmerkung:

Die gerichtliche Entscheidung erweitert erheblich die gestalterischen Möglichkeiten der Geschäftsführung des MVZ bei der Vergabe der - bei Ärzten wegen der damit verbundenen erhöhten Verantwortlichkeiten oft unbeliebten - Position des ärztlichen Leiters. Das Urteil bringt den MVZ auch Rechtssicherheit: Solange die ärztliche Leitung in der Lage ist, von ihrem jeweiligen Standort aus die notwendige Kontrolle über das MVZ auszuüben, kann der ärztliche Leiter auch in einer Nebenbetriebsstätte tätig sein. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
Witzlebenstraße 3 - 14057 Berlin - Tel: (030) 536 47 749
E-mail: mail@christmann-law.de