Bescheidet eine Krankenkasse einen konkreten Leistungsantrag auf eine medizinische Behandlung (hier: Liposuktion der Beine wegen Lipödemen) nicht binnen kurzer Frist, gilt die Leistung als genehmigt, so dass der Patient Kostenerstattung von der Kasse verlangen kann. Es kommt dann nicht mehr darauf an, ob die Behandlung medizinisch erforderlich war (Sozialgericht Speyer, Urteil vom 14.7.2016 - S 13 KR 245/15).

Lipusuktion an den BeinenTenor
1. Die Beklagte (Krankenversicherung) wird verurteilt, die Klägerin mit einer zweischrittigen stationären Liposuktion der Beine als Sachleistung zu versorgen.

2. Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Der Fall:

Tatbestand

Die Klägerin begehrt eine Liposuktion ihrer Beine im Rahmen zweier stationärer Krankenhausbehandlungen.

Die 1976 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Bei ihr besteht seit Jahren ein Lipödem an beiden Beinen. Außerdem besteht bei der Klägerin eine Adipositas Grad II. Zur Behandlung des Lipödems hatte die Klägerin manuelle Lymphdrainagen sowie eine stationäre Rehabilitation (2014) durchgeführt.

Am 06.01.2015 ging bei der Beklagten für die Klägerin ein Antrag auf Vornahme einer Liposuktion beider Beine in zwei stationären Krankenhausbehandlungen in Gestalt eines Gutachtens des Facharztes für plastische und ästhetische Chirurgie sowie Handchirurgie Dr. R…ein. Dieser führte aus, dass bei der Klägerin seit 25 Jahren ein therapieresistentes Lipödem bestehe, nunmehr im Stadium III. Es sei eine Liposuktion in zwei stationären Operationen an den Beinen erforderlich.

Am 16.01.2015 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Begutachtung und teilte der Klägerin mit, dass sie über ihren Antrag noch nicht habe entscheiden können. Der Hintergrund sei, dass für die Entscheidung ein Gutachten des MDK erforderlich sei. Der MDK forderte bei der Klägerin am 26.01.2015 weitere Befunde an. Die Beklagte teilte der Klägerin am 06.02.2015 daraufhin mit, dass über den Antrag noch nicht entschieden werden könne. Der Hintergrund sei, dass ein Gutachten des MDK erforderlich sei und dass der MDK das Gutachten noch nicht habe erstellen können, weil noch Unterlagen fehlten. Am 10.02.2015 forderte die Beklagte bei der Klägerin im Auftrag des MDK die Befundunterlagen an. Die Unterlagen gingen am 18.02.2015 bei der Beklagten ein. Am 25.02.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass über den Antrag noch nicht habe entschieden werden können, weil ein Gutachten des MDK erforderlich sei.

In einem Gutachten vom 17.02.2015, welches vor Eingang der angeforderten Unterlagen erstellt wurde, führte der MDK aus, dass sich sozialmedizinisch eine Notwendigkeit für die Liposuktionen nicht ableiten lasse. Es sei weitere vertragliche Behandlung wie Kompressionstherapie, manuelle Lymphdrainage und ergänzend die Anwendung der apparativen intermittierend Kompressionstherapie angezeigt. In einem weiteren Gutachten vom 16.03.2015 hielt der MDK an seiner Auffassung fest.

Mit Bescheid vom 19.03.2015 lehnte die Beklagte gestützt hierauf den Antrag der Klägerin ab. Die Liposuktion zur Behandlung des Lipödems sei grundsätzlich keine Kassenleistung. Es fehle an evidenzbasierten Nachweisen. Eine lebensbedrohliche Erkrankung, die in Einzelfällen die Kostenübernahme rechtfertigen könne, liege nicht vor.

Zur Begründung ihres Widerspruchs machte die Klägerin geltend, dass die Liposuktionen medizinisch notwendig seien und dass jedenfalls wegen einer verspäteten Entscheidung die Genehmigungsfiktion eingetreten sei. Über den Widerspruch ist bislang nicht entschieden.

Die Klägerin hat am 09.05.2015 Klage erhoben. Sie macht geltend, dass sie aufgrund der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) Anspruch auf die beantragte zweistufige stationäre Liposuktion der Beine habe. Die Beklagte habe die maßgebliche Fünf-​Wochen-​Frist nicht eingehalten und sie hierüber nicht in der gebotenen Weise informiert. Die Zwischennachrichten der Beklagten enthielten keinen Hinweis auf den Lauf der Entscheidungsfrist. Eine Prüfung der Erforderlichkeit der Sachleistung sei infolge dessen nicht vorzunehmen. Die Genehmigungsfiktion stehe einem Bewilligungsbescheid gleich.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

die Beklagte zu verurteilen, ihr eine zweischrittige stationäre Liposuktion der Beine als Sachleistung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend, dass eine Liposuktion sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich grundsätzlich keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Ausnahmetatbestände lägen nicht vor. Die Genehmigungsfiktion sei nicht eingetreten, weil sie die Klägerin ausreichend über die Verzögerungen in der Entscheidung informiert habe. Es hätten Unterlagen für die abschließende Bearbeitung gefehlt. Außerdem könne sich die Genehmigungsfiktion jedenfalls nicht auf Leistungen erstrecken, die wie die Liposuktion außerhalb des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung stünden.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Die Entscheidung:

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die das Gericht gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist als allgemeine Leistungsklage zulässig und begründet.

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG statthaft. Die Klägerin begehrt die Durchführung einer nach ihrem Vorbringen als genehmigt geltenden Versorgung mit einer zweischrittigen stationären Liposuktion der Beine als Sachleistung. Ein Verwaltungsakt hat nach ihrem Vorbringen nicht (mehr) zu ergehen, weil sie sich des Eintritts der Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V berühmt. Das entspricht in prozessualer Hinsicht einem Begehren, das aus einem bereits ergangenen Bewilligungsbescheid geltend gemacht wird. Hierfür ist die allgemeine Leistungsklage die statthafte Klageart. Einer Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG bedarf es wegen der Möglichkeit der auf Gewährung der Sachleistung gerichtete Leistungsklage nicht. Die Feststellungsklage ist zur Leistungsklage subsidiär. Die Umstellung der ursprünglich erhobenen Feststellungsklage auf eine Leistungsklage war jedenfalls im Sinne des § 99 Abs. 1 Var. 2 SGG sachdienlich, so dass dahinstehen kann, ob eine solche Umstellung nicht ohnehin unter § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG fällt (vgl. Leitherer, in: Meyer-​Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 99 Rn. 4 f.).

Der Zulässigkeit der allgemeinen Leistungsklage steht nicht entgegen, dass die Beklagte am 19.03.2015 einen ablehnenden Bescheid erlassen und über den dagegen gerichteten Widerspruch noch nicht entschieden hat. Eine Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 19.03.2015 ist mangels abgeschlossenen Vorverfahrens derzeit noch nicht zulässig. Vorliegend muss indes keine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG) geführt werden. Die Klägerin beruft sich gerade darauf, dass ein fingierter bewilligender Verwaltungsakt bereits existiere. Mit Blick auf die Statthaftigkeit der isolierten Leistungsklage ist mit diesem Vorbringen dem generellen Erfordernis, dass über die Gewährung einer Sozialleistung zunächst die Behörde per Verwaltungsakt entscheiden muss, bevor Klage erhoben werden kann, Genüge getan. Für die Statthaftigkeit der Klage ist des Weiteren unerheblich, ob der fiktive Verwaltungsakt, auf den die Klägerin sich beruft, durch den Bescheid der Beklagten vom 19.03.2015 zurückgenommen (§ 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - ) wurde oder sich auf andere Weise erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X) hat. Das ist nur für die Begründetheit der Klage von Bedeutung. Schließlich ist unschädlich, dass der schriftsätzlich formulierte Klageantrag der Klägerin auf die Verurteilung der Beklagten zur „Gewährung“ der begehrten Sachleistung gerichtet ist, obwohl hiermit regelmäßig die bewilligenden Regelung (im Sinne eines Verwaltungsakts) bezeichnet wird, während es der Klägerin hier gerade um die tatsächliche Leistungserbringung einer nach ihrem Vorbringen bereits bewilligten Leistung geht. Ihr Klagebegehren ist eindeutig auf die Verurteilung der Beklagten zur tatsächlichen Leistungserbringung gerichtet und an die Fassung des Klageantrag ist das Gericht nicht gebunden (§ 123 SGG).

Die demnach zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.

Die Klägerin hat aufgrund der fingierten Genehmigung gegen die Beklagte einen Anspruch auf Versorgung mit der beantragten zweischrittigen stationären Liposuktion der Beine als Sachleistung.

Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit den zwei begehrten Eingriffen ist § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V.

Nach § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und den Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 3). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7). Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen (Satz 9).

§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ist auf die von der Klägerin begehrte Leistung sachlich anwendbar. Es handelt sich bei der begehrten stationären Liposuktion der Beine um eine Sachleistung der Krankenbehandlung in Gestalt einer Krankenhausbehandlung gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, § 39 SGB V. Es handelt sich nicht um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation; § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V ist daher nicht einschlägig.

Die Versorgung der Klägerin mit den begehrten Operationen als Sachleistung gilt gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt, so dass die Klägerin die Beklagte aus dieser fingierten Genehmigung auf Durchführung der Versorgung in Anspruch nehmen kann.

Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V sind erfüllt. Die Klägerin hat einen hinreichend bestimmten Antrag bei der Beklagten gestellt, der nicht innerhalb der maßgeblichen Fristen beschieden wurde. Die Beklagte hat der Klägerin nicht mitgeteilt, dass sie die maßgeblichen Fristen nicht einhalten kann. Rechtsfolge ist, dass die beantragte Leistung als genehmigt gilt. Es handelt sich um einen fingierten Verwaltungsakt, der einem ausdrücklichen Bewilligungsbescheid der Beklagten gleichsteht.

Der von Dr. R… für die leistungsberechtigte Klägerin gestellte Antrag vom 06.01.2015 hat einen genehmigungsfähigen Inhalt. Das zur Antragstellung eingereichte Gutachten, mit dem eine Liposuktion beider Beine in zwei stationären Krankenhausbehandlungen als Sachleistung beantragt wurde, ist hinreichend bestimmt. Die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V kann nur greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf der Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt ist (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -, juris, Rn. 23). Dies gilt auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, wie sie in § 42a Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) für das allgemeine Verwaltungsrecht normiert ist.

Der Antrag betrifft des Weiteren eine ihrer Art nach nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegende Leistung (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -, juris, Rn. 25 ff.). Bei der Klägerin besteht unzweifelhaft eine behandlungsbedürftige Krankheit in Gestalt des Lipödems. Eine Krankenhausbehandlung ist als solche eindeutig eine zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehörende Maßnahme (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, § 39 SGB V). Die Praxisklinik Dr. R… ist zur Behandlung gesetzlich Versicherter zugelassen. Die begehrte stationäre Behandlung ist des Weiteren im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V eine Leistung zur Behandlung der Krankheit Lipödem. Dass für die begehrte Operationsmethode, nämlich die Liposuktion, im Streit steht, ob sie zur Behandlung eines Lipödems bei stationärer Krankenhausbehandlung eine erforderliche Behandlungsalternative bietet, und dass gegebenenfalls im Einzelfall zu prüfen wäre, ob ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist, (vgl. inzwischen § 137c Abs. 3 SGB V) macht die begehrte Leistung nicht zu einer solchen, die offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges steht. Ob sie im Ausnahmefall zu leisten ist oder nicht, kann vielmehr erst nach Prüfung aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, wie dies die Beklagte durch Einbeziehung des MDK ja auch getan hat.

Gerade die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen der begehrten Leistung im Einzelfall ist indes keine tatbestandliche Voraussetzung des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V. Anders als § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V stellt Satz 6 gerade nicht darauf ab, dass die Leistung „erforderlich“ ist. Es war daher vom Gericht nicht zu prüfen, ob im Falle der Klägerin stationäre Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit besteht und ob, sofern dies zu bejahen wäre, die Liposuktion eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst angewendete, erforderliche Behandlungsalternative darstellt.

Die Kammer lässt offen, ob sie mit dem Bundessozialgericht davon ausgeht, dass der Eintritt der Genehmigungsfiktion voraussetzt, dass der Versicherte die beantragte Leistung subjektiv für erforderlich halten durfte (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -, juris, Rn. 25 ff.). Der Wortlaut des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V stellt hierauf nicht ab. Jedenfalls durfte und darf die Klägerin in Anbetracht der langjährigen konservativen Behandlungen und des Gutachtens von Dr. R…, in dem eine medizinische Indikation bejaht wurde, die begehrten Operationen subjektiv für erforderlich halten.

Die Beklagte hat über den Antrag der Klägerin nicht innerhalb der maßgeblichen Fristen entschieden. Maßgeblich ist wegen der tatsächlichen Einschaltung des MDK, über die die Beklagte die Klägerin gemäß § 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V am 16.01.2015 informiert hat, die Fünf-​Wochen-​Frist nach § 13 Abs. 3a Satz 1 Variante 2 SGB V. Bei einem Antragseingang am Dienstag, den 06.01.2015, lief die Frist bis einschließlich Dienstag, den 10.02.2015. Der ablehnende Bescheid der Beklagten erging erst am 19.03.2015. Keines der vor Fristablauf an die Klägerin gerichteten Schreiben der Beklagten enthielt einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X, weil jeweils keine verbindliche Regelung getroffen wurde. Es handelte sich um Zwischennachrichten und die Anforderung von Unterlagen, mit denen die abschließende Bearbeitung des Antrags nur angekündigt bzw. vorbereitet wurde.

Die Beklagte hat der Klägerin des Weiteren keine Mitteilung darüber gemacht, dass sie aus einem hinreichenden Grund nicht innerhalb der Fünf-​Wochen-​Frist über den Antrag entscheiden kann. Nach § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V teilt die Krankenkasse dem Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit, wenn sie die Frist nach Satz 1 nicht einhalten kann. Die Norm fordert ausdrücklich eine Aussage dazu, dass die maßgebliche Entscheidungsfrist nicht gewahrt werden wird. Eine solche Mitteilung enthalten die Zwischennachrichten der Beklagten vom 16.01.2015 und 06.02.2015 nicht, ebenso nicht das Schreiben vom 10.02.2015. In keinem der Schreiben wird auf eine laufende Frist Bezug genommen. Demgemäß enthalten sie auch nicht die Aussage, dass eine solche Frist nicht gewahrt werden kann. Damit sind die gesetzlichen Anforderungen an die Mitteilung der Nichtwahrung der Frist jedenfalls nicht erfüllt. Ob tatsächlich ein hinreichender Grund für die Nichtwahrung der Frist vorlag, kann dahinstehen. Ebenso kann dahinstehen, ob eine solche Mitteilung, wie das Bundessozialgericht ausführt, zudem eine taggenaue Prognose der Dauer des Bestehens eines hinreichenden Grundes enthalten muss (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -, juris, Rn. 20).

Rechtsfolge der Fristversäumnis ist nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V, dass die beantragte Leistung als genehmigt gilt. Das Gesetz regelt einen fingierten Verwaltungsakt mit einem stattgebenden Inhalt. Die fiktiv genehmigte Leistung hat die Beklagte nunmehr ohne weitere Voraussetzungen als Sachleistung tatsächlich zu erbringen. Die Klägerin hat aus der Genehmigungsfiktion einen Naturalleistungsanspruch (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -, juris, Rn. 25; ebenso unter anderem Schleswig-​Holsteinisches LSG, Beschluss vom 20.01.2016 - L 5 KR 238/15 B ER -, juris; LSG Saarland vom 17.06.2015 - L 2 KR 180/14 -, juris; LSG für das Land Nordrhein-​Westfalen, Beschluss vom 23.05.2014 - L 5 KR 222/14 B ER -, juris; a.A. Hessisches LSG, Urteil vom 10.12.2015 - L 1 KR 413/14 -, juris; LSG für das Land Nordrhein-​Westfalen, Beschluss vom 26.05.2014 - L 16 KR 154/14 B ER, L 16 KR 155/14 B -, juris).

Die Auslegung von § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V dahingehend, dass dem Versicherten nach Ablauf der Frist ohne Mitteilung eines hinreichenden Grundes aufgrund eines fingierten Verwaltungsakts ein Naturalleistungsanspruch gegen die Krankenkasse zusteht, entspricht dem klaren Wortlaut der Regelung. Der gegenteiligen Auffassung, nach der § 13 Abs. 3a SGB V ausschließlich einen Kostenerstattungsanspruch regele, steht der Wortlaut des Satz 6 entgegen. Selbst wenn dieser „schlicht missglückt“ sein sollte (so Hessisches LSG, Urteil vom 10.12.2015 - L 1 KR 413/14 -, juris) ist der wirksam in Kraft gesetzte Gesetzestext für die Gerichte und die Behörden verbindlich. Ein Rückgriff auf die Gesetzesbegründung ist nur ergänzend bei der Auslegung des geltenden Normtextes möglich, rechtfertigt jedoch keine Auslegung einer Norm gegen ihren eindeutigen Wortlaut. § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V enthält die ausdrückliche Formulierung „gilt die Leistung ... als genehmigt“. Eine Auslegung dahingehend, dass Satz 6 neben dem in Satz 7 geregelten Kostenerstattungsanspruch kein eigenständiger Regelungsinhalt zukommt, ist ungeachtet möglicher gesetzgeberischer Intentionen für die Formulierung von Satz 6 nicht möglich. Zudem benachteiligte eine solche Auslegung diejenigen Versicherten, die die begehrte Leistung nicht vorfinanzieren und sich die Leistung deshalb nicht selbst beschaffen können (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -, juris, Rn. 25), womit sie von der Begünstigung des § 13 Abs. 3a SGB V ausgeschlossen wären.

Begründet die Regelung des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V mithin eine gesetzliche Genehmigungsfiktion, so ist die begehrte Leistung von der Krankenkasse als Sachleistung zu erbringen. Die fingierte Genehmigung steht einem ausdrücklichen bewilligenden Verwaltungsakt gleich.

Die fingierte Genehmigung der zweischrittigen stationären Liposuktion der Beine war noch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung wirksam. Eine fingierte Genehmigung bleibt ebenso wie eine ausdrückliche gemäß § 39 Abs. 2 SGB X wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -, juris, Rn. 31; vgl. für das allgemeine Verwaltungsrecht § 42a Abs. 1 Satz 2 VwVfG). Eine Rücknahme der fingierten Genehmigung (§ 45 SGB X) oder ein Widerruf (§ 47 SGB X) ist durch die Beklagte nicht erfolgt. Insbesondere enthält der Bescheid vom 19.03.2015 keine derartige Verfügung. Durch den Verwaltungsakt wird ausdrücklich nur die Gewährung der beantragten Liposuktion selbst abgelehnt. Für eine konkludente Regelung des Inhalts, dass zugleich eine zuvor ergangene (fiktive) Bewilligung der Leistung aufgehoben werden soll, gibt es aus der maßgeblichen Sicht des objektiven Empfängers keinen Anhaltspunkt. Die fingierte Genehmigung hat sich auch nicht auf andere Weise erledigt. Die Sachlage hat sich nicht derart verändert, dass die Genehmigungsfiktion gegenstandslos geworden wäre.

Nach alledem war die Beklagte aufgrund der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V zur Leistung zu verurteilen. Ob die medizinischen Voraussetzungen des eigentlichen Naturalleistungsanspruchs auf eine zweischrittige stationäre Liposuktion im Falle der Klägerin bei Eintritt der Genehmigungsfiktion sämtlich erfüllt waren oder im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch erfüllt sind, war von der Kammer, wie ausgeführt, nicht zu prüfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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