(15.11.2019) Eine Alternativmedizinerin behandelte eine an Brustkrebs erkrankte, der alternativen Medizin zugeneigte Patientin mit obskuren alternativen Methoden und riet ihr sogar von einer schulmedizinischen Behandlung ab. Die Patientin und Mutter von drei Kindern verstarb nach schweren Leiden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sie die Patientin auf die Notwendigkeit schulmedizinischer Krebsbehandlung hätte hinweisen müssen. Die Behandlung war aus Sicht des Gerichts grob fehlerhaft. Die Ärztin hatte noch versucht, die Behandlungsunterlagen zu ihren Gunsten zu manipulieren und ließ die Patientin noch eine Erklärung unterzeichnen, die die Ärztin von einer Haftung entlasten sollten. Aber die Patientin hatte mit der Ärztin eine E-mail-Kommunikation geführt, die half, das Fehlverhalten der Ärztin nachzuweisen (Landgericht Kiel, Urteil vom 29. März 2019 – 8 O 190/16).
Praxisanmerkung:
Die Wirksamkeit alternativmedizinischer Behandlungen ist nicht durch Studien und Tests bewiesen. Im wesentlichen ist sie wirkungslos oder kommt nicht über die Wirkung des allgemeinen Placebo-Effekts hinaus. Sie kann bei leichten Erkrankungen wie Erkältungen aber keinen Schaden anrichten. Insofern ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Menschen sich - auf eigene Kosten - bei leichten Erkrankungen, die auch nach schulmedizinischen Standards "von selbst" besser werden können, allternativmedizinisch behandeln lassen.
Der ganze Irrsinn alternativmedizinischer Behandlungen schwerer Erkrankungen zeigt sich im vorliegenden Fall: Hier hat die Ärztin eine Patientin darin bestärkt, ihren festgestellten bösartigen Brustkrebs weiter nur alternativmedizinisch behandeln zu lassen (u.a. durch Quarkwickel). Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn jemand sich Quarkwickel macht in der Hoffnung, dadurch seinen Krebs zu besiegen - solange ihm der Arzt vorher sagt, dass es notwendig ist, sich (auch) schulmedizinisch behandeln zu lassen. Macht der Arzt dies dem Patienten deutlich und entscheidet sich der Patient dann aus freien Stücken, auf die schulmedizinische Behandlung zu verzichten, so ist dies seine Sache und dem Arzt ist nichts vorzuwerfen. Allerdings hat der alternativmedizinisch tätige Arzt wenig Interesse daran, den Patienten auf die Notwendigkeit einer schulmedizinischen Behandlung hinzuweisen, weil er damit den Patienten ja aus seiner Praxis triebe und seine Einnahmen verlöre. Es ist zu hoffen, dass dieses Urteil des Landgerichts Kiel den Anwendern alternativmedizinischer Behandlungsmethoden eine Warnung ist.
Patienten kann nach alledem nur geraten werden, alternativmedizinische Behandlung nur ergänzend zu nutzen - ergänzend zur schulmedizinischen Behandlung. Andernfalls gehen sie erhebliche Risiken ein. Allgemein kann Patienten immer geraten werden, ihre Kommunikation mit dem Arzt in ihren wesentlichen Grundzügen zu verschriftlichen - so wie es hier die Patientin tat, indem sie sich mit der Ärztin per E-mail austauschte. Erklärt einem der Arzt z.B., dass eine bestimmte Behandlung nicht angeraten, eine andere aber risikoarm ist, so sollte man dieses Gespräch in einer E-mail an den Arzt zusammenfassen und um Mitteilung bitten, sollte man die Ausführungen des Arztes falsch verstanden haben. Der Patient sollte immer eine Blindkopie einer solchen E-mail an ein zweites, eigenes Postfach schicken.
Ärzten kann nur geraten werden, sich gut zu überlegen, ob sie Patienten mit schweren Erkrankungen, die zu Gesundheitsbeeinträchtigungen oder sogar zum Tod führen können, allein alternativmedizinisch zu behandeln. Wer einem Patienten mit schwerer Erkrankung zu alterntiver Behndlung rät, muss ihn (nachweisbar) darauf hinweisen, dass eine schulmedizinische Behandlung notwendig ist.
Das Urteil des LG Kiel im Volltext:
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.07.2016 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1) 55.988,00 € zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zu 1) den Schaden zu ersetzen, der durch den Tod der am 03.10.2015 verstorbenen Frau S K entstanden ist, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1-fachen des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger zu 1) ist der Ehemann der 1960 geborenen S K, die am 03.10.2015 an den Folgen einer Brustkrebserkrankung verstorben ist. Die Kläger zu 2) bis 4) sind die leiblichen Kinder des Klägers zu 1) und der verstorbenen Frau S K. Der Kläger zu 2) ist 1992 geboren, die Kläger zu 3) und 4) beide am 26.03.2007. Die Kläger zu 1) bis 4) sind die Erben von Frau S K in ungeteilter Erbengemeinschaft.
Die Beklagte ist Fachärztin für Gynäkologie. Sie wendet alternative Heilmethoden in der Krebstherapie an und führt "Traumatherapien" durch.
Die Kläger werfen der Beklagten vor, Frau S K mit untauglichen alternativmedizinischen Maßnahmen behandelt zu haben und sie nicht auf die notwendige Inanspruchnahme schulmedizinischer Therapie hingewiesen zu haben.
Frau K war zunächst bei der Gynäkologin Frau Sch in Behandlung. Noch im Juli 2014 wurde von dieser ein unauffälliger Mammabefund erhoben. Am 21.11.2014 stellte sich Frau K mit einer Verhärtung in der rechten Brust vor. Frau Sch überwies die Patientin umgehend zur Mammographie und Mammasonografie. Die Untersuchung ergab einen hochgradigen Verdacht auf ein großes Mammakarzinom mit Lymphknotenmetastasen (BIRADS 5).
Frau Sch besprach den Befund mit der Patientin und empfahl zur definitiven Abklärung die Durchführung einer Stanzbiopsie, welche die Patientin jedoch ablehnte, da sie im Zusammenhang mit der Schwangerschaft ihrer Zwillinge schlechte Erfahrungen mit einer damals durchgeführten Chorionzottenbiopsie gemacht habe. Zu einem operativen Eingriff an der Brust, bei welchem eine Schnellschnittuntersuchung zur Verifizierung einer eventuellen Brustkrebserkrankung durchgeführt wird, zeigte sich Frau K jedoch bereit. Laut Dokumentation der Frau Sch erklärte die Patientin, dass die Operation aber nicht vor dem 08.12.2014 stattfinden solle, da sie einen wichtigen Termin habe, von dem viel abhinge, vorher wolle sie keine Therapie, sondern nur Untersuchungen. Es wurde für den 09.12.2014 ein Termin in der Radiologischen Praxis P vereinbart, wo die Patientin sich einer Knochenszintigrafie unterziehen wollte. Frau K stellte sich außerdem bei der Frauenärztin Dr. P vor. Auch sie empfahl der Patientin eine schulmedizinische Therapie und vereinbarte für Frau K einen Vorstellungstermin im Krankenhaus W bei Dr. K, um eine Operation durchführen zu lassen. Am 01.12.2014 führte Frau K mit Frau Sch ein Telefongespräch. Laut Dokumentation von Frau Sch berichtete Frau K, dass sie eine Familienaufstellung gemacht habe und nun zu wissen meinte, wo das Problem und die Ursache für die Krebserkrankung liege. Sie habe das Gefühl, dass innerlich mehrere Knoten geplatzt seien, sie sehe deshalb den Krebs auch als Chance. Sie wolle am 08.12. noch mal zu einer alternativen Gynäkologin in E und sich deren Rat anhören.
Am 08.12.2014 stellte sich die Patientin erstmals bei der Beklagten vor. Die Beklagte war ihr von einer Frau R W empfohlen worden, die als sogenannte Schamanin tätig war und die bei der Beklagten wegen eines Unterleibkrebsleidens ebenfalls in Behandlung war (letzteres wußte Frau K zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht). Am gleichen Tag meldete sich Frau K nochmals in der Praxis der Zeugin Sch und teilte mit, der für den 09.12. geplante Termin in der Radiologischen Praxis für die Szintigrafie solle abgesagt werden. Auch den bereits vereinbarten Termin im Krankenhaus W bei Dr. K nahm Frau K nicht wahr.
In dem Eintrag in der Dokumentation der Beklagten betreffend den Termin vom 8.12.2014 heißt es, dass Frau K keine schulmedizinische Therapie wünsche. Es heißt, die Patientin komme auf Empfehlung ihrer Schamanin Frau W, sie habe keine Angst vor Krebs, da mit ihrer Schamanin bisher alle, auch schwere Probleme gelöst worden seien, so sei im Sommer auch eine schwere Bronchitis mit Eigenblut und Homöopathie von Frau W behoben worden. Der Röntgenarzt, der ihr die Mitteilung von der Diagnose gemacht habe, habe ihr bei der Mitteilung der Diagnose nicht in die Augen schauen können. Er habe den schulmedizinischen Weg empfohlen, obwohl er gespürt habe, dass der Befund schon viel zu fortgeschritten war, als dass sie damit eine Chance haben würde. Die Patientin sei hellsichtig, sie wisse, dass sie es mit anderen Methoden schaffe, sonst wäre sie viel früher zum Arzt gegangen. Die Patientin arbeite viel spirituell, sie habe beim Familienstellen erfahren, dass sie sich von ihrer Mutter distanzieren müsse, sonst bekomme sie Krebs, davor habe sie keine Angst, in der Familie gehe es um fehlende Selbstliebe. Sie habe bisher mit der Schamanin alles geschafft und wolle das auch weiter so umsetzen, deshalb wolle die Patientin auch keine Untersuchung der Brust, wichtig seien ihr die Auflösungen der Traumatisierungen und da sie - die Beklagte - Frauenärztin und Homöopathin sei wolle sie - Frau K -, wenn sie mit ihrer Schamanin nicht weiterkomme, beraten werden. Eine Untersuchung der Brust von Frau K erfolgte an diesem Tag nicht.
Wegen des weiteren Inhalts der Dokumentation, die die Beklagte zur Akte gereicht hat, wird verwiesen auf die von ihr zur Akte gereichten Behandlungsunterlagen (Anlagenband „Parteien“).
Der Beklagten war bewußt, daß eine Heilung der Brustkrebserkrankung der Frau K ohne schulmedizinische Therapie nicht möglich war.
Am gleichen Tag schrieb Frau K eine E-Mail an ihre Hausärztin Frau Dr. N. Sie berichtete darin von dem Termin bei der Beklagten und bat Frau Dr. N mit der Beklagten bei ihrer Behandlung zusammenzuarbeiten. Frau K berichtete, dass sie jetzt die Ursache ihres Tumors durch Familienstellen und das Gespräch von heute kenne. Die Ursache liege im familiären Bereich. Ihr Immunsystem sei laut Blutbild intakt und sie (gemeint ist die Beklagte) sage, es läge ein Schutz darum, den sie - Frau K - zurzeit nicht durch Biopsie oder OP zerstören solle (man soll doch auf sein Bauchgefühl hören). Wegen des weiteren Inhalts dieser E-Mail wird verwiesen auf die Anlage K32.
In der Folgezeit führte die Beklagte mit Frau K Therapiegespräche. Schulmedizinische Behandlungsmaßnahmen erfolgten nicht. Bei Untersuchungen der Brust am 06.01.2015 und am 15.04.2015 stellte die Beklagte exulzerierende Tumore der rechten Brust sowie stark geschwollene Lymphknoten fest. Es werden stark blutende Abszesse und schwierige Verbandswechsel beschrieben.
In der Dokumentation heißt es, dass eine ausleitende Therapie durchgeführt werde. Erwähnung finden Basenfußbäder, Brennesseltee, Quarkwickel, Kohl- und Wirsingwickel, eine Therapie mit Schüssler-Salzen, es ist von Behandlung mit Vulkanerde die Rede, thematisiert wird eine "Germanische Therapie". Die Beklagte veranlaßte, daß Frau K die Telefonnummer des Dr. H, dem Begründer der „Germanischen Therapie“ mitgeteilt wurde.
Nicht in der Dokumentation erwähnt, aber unstreitig ist, dass die Beklagte Frau K erklärte, daß in Armenien Aprikosenkerne verwendet würden zur Behandlung von Krebs nach Verstrahlungen. Sie empfahl Frau K, ebenfalls Aprikosenkerne (Amygdalin) zu sich zu nehmen und benannte ihr einen Lieferanten, eine Fa. T GmbH. Deren Name mit Bankverbindung erscheint in den Rechnungen der Beklagten.
Für den 19.05.2015 ist in der Dokumentation beschrieben, dass die Patientin sehr erschöpft und verzweifelt wegen ihrer Schamanin sei. Diese habe selbst seit einem Jahr Krebs und habe Frau K angerufen, dass Frau K auf keinen Fall mehr zur Beklagten kommen solle, weil die Schamanin von der Beklagten enttäuscht sei. Frau K wirke hilflos, da sie sich nun die Verschlechterung ihrer Beschwerden seit Mitte Februar erklären könne; die Schamanin habe ihren Krebs auf sie energetisch übertragen. Frau K. versichere im Beisein einer Arzthelferin, dass sie gegenüber der Beklagten nur Dankbarkeit hat und sich in keinster Weise von ihrem Weg abbringen lasse. Die Beklagte ließ sich am gleichen Tag eine Erklärung von der Beklagten unterschreiben, wonach die Beklagte Frau K mehrfach auf eine schulmedizinische Behandlung ihrer aktuellen Diagnose / Befund hingewiesen habe und heute dringend nochmals eine schulmedizinische Weiterbehandlung angeraten habe. Es seien des Weiteren alle Risiken einer nicht schulmedizinischen Behandlung besprochen worden.
Am 06.06.2015 wandte sich Frau K per E-Mail an die Beklagte mit der Bitte um dringende Verschreibung eines Schmerzmittels, das sofort verfügbar sei.
Am 08.06.2015 stellte sich Frau K in Begleitung des Klägers zu 1) bei der Beklagten vor. Es ging Frau K zu diesem Zeitpunkt sehr schlecht. In den Behandlungsunterlagen der Beklagten ist von Blutverlust, Schmerzen und beginnender Sepsis die Rede. Die Beklagte überwies Frau K am gleichen Tag in die A Klinik H R, laut Dokumentation der Beklagten ein anthroposophisches Krankenhaus. Damit endete die Behandlung durch die Beklagte.
Während der Zeit der Behandlung bei der Beklagten wurden diverse E-Mails ausgetauscht. Wegen des Inhalts dieser E-Mails wird verwiesen auf die E-Mails im Anlagenband "Parteien“, insbesondere auf die wechselseitigen E-Mails vom 22.03.2015, vom 29.03.2015, vom 08.05.2015 und vom 10.05.2015.
In der A Klinik H-R wurde die Patientin zunächst bis zum 17.06.2015 behandelt und danach in die Universitätsklinik H E zwecks Therapie der Brustkrebserkrankung überwiesen. Die dort durchgeführten Untersuchungen ergaben, dass der bösartige Tumor der rechten Brust bereits die Thoraxwand durchbrochen hatte und dass sich Fernmetastasen in der Lunge, im Pleuraraum und den Knochen gebildet hatten. Es wurde entschieden, eine palliative Chemotherapie durchzuführen. Aufgrund von Metastasen im Pleuraraum entwickelten sich ein Pleuraerguss mit der Folge von Dyspnoen. Das bereits zum Zeitpunkt der Behandlung durch die Beklagte mit zahlreichen blutenden Abszessen versehene Bild der Brust (vgl. Fotos vom 29.5.2015; Bl. 123-125 d.A.) entwickelte sich weiter bis die Brust der Patientin nur noch aus einer einzigen Tumormasse bestand wie es durch diverse Fotoaufnahmen in der Behandlungsakte der Universitätsklinik H E dokumentiert ist. Bei starker Pflegebedürftigkeit wurde Frau K im Juli 2015 noch einmal nach Hause entlassen. Für den 29.09.2015 ist in den Behandlungsunterlagen des UKE eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes beschrieben mit Inappetenz. Frau K verstarb am 03.10.2015.
Die Kläger behaupten, die Beklagte habe Frau K von der schulmedizinischen Therapie abgebracht. Sie habe ihr stattdessen eine unwirksame Therapie mit Aprikosenkernen zukommen lassen und habe statt auf die Verschlimmerung der Befunde hinzuweisen, behauptet, dass die zunehmenden Abszesse Folge der Ausleitungstherapie seien und mit den Abszessen zerfallene Tumorzellen abgeleitet würden. Die Kläger bestreiten die Echtheit der Dokumentation der Beklagten. Sie verweisen darauf, dass auf anwaltliche Anforderung vom 08.10.2015 die Dokumentation nur verzögerlich herausgegeben wurde und dass auf die Anforderung zunächst nur ein dreiseitiges Papier, welches nicht die Dokumentation darstelle, übersandt worden sei. Wegen des Inhalts dieses undatierten Papiers wird verwiesen auf die Anlage K 27.
Wäre von Anfang an der richtige schulmedizinische Behandlungsansatz erfolgt, hätte Frau K von ihrer Brustkrebserkrankung geheilt werden können und es wären ihr die Leiden bis zu ihrem Tod erspart geblieben. Deswegen verlangen die Kläger aus ererbtem Recht ein Schmerzensgeld.
Frau K habe vor ihrer Erkrankung in der Familie, bestehend aus dem Kläger zu 1), Frau K selber und den beiden jüngeren Kindern Haushaltsführungstätigkeiten im Umfang von ca. 41,2 Stunden pro Woche ausgeübt, da sie als Hausfrau im Wesentlichen den Haushalt geführt habe, während der Kläger zu 1) berufstätig war. Die anzunehmende Nettovergütung für eine Ersatzkraft betrage 7,84 € netto. Hieraus errechne sich ein monatlicher Haushaltsführungsschaden von 1.399,70 €, welchen der Kläger zu 1) für den Zeitraum von Oktober 2015 bis Januar 2019 als Schadensersatz beansprucht.
Die Kläger beantragen,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger als Gesamtgläubiger ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (26.07.2016) zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen an den Kläger zu 1) Schadensersatz in Höhe von 55.988,00 € netto für den Zeitraum von Oktober 2015 bis Januar 2019 zu zahlen;
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zu 1) den Schaden zu ersetzen, der durch den Tod der am 03.10.2015 verstorbenen Frau S K entstanden ist, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die Beklagte beantragt,
Die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, Frau K habe von vornherein jede schulmedizinische Therapie abgelehnt, obwohl sie von der Beklagten auf die Notwendigkeit schulmedizinischer Behandlung hingewiesen worden sei. Sie habe aber die ablehnende Haltung der Patientin insoweit akzeptiert. Sie habe lediglich eine traumatherapeutische Therapie in Anspruch nehmen wollen und ansonsten auf die „schamanische Therapie“ der Frau W vertraut. Die Beklagte bestreitet im Übrigen, dass zu dem Zeitpunkt der ersten Vorstellung von Frau K bei ihr eine Heilung durch schulmedizinische Behandlungsmaßnahmen noch möglich gewesen wäre.
In der mündlichen Verhandlung vom 05.05.2017 hat das Gericht den Kläger zu 1) und die Beklagte persönlich gehört, außerdem die Zeugin L, die Zeugin P und die Zeugin Z. Es wird insoweit verwiesen auf das Protokoll vom 05.05.2017 (Bl. 111 bis 122 d. A.). In der weiteren mündlichen Verhandlung vom 06.10.2017 wurden der Kläger zu 1) und die Beklagte nochmals gehört, des Weiteren die Zeugin S, die Zeugin B, die Zeugin T und die Zeugin Sch gehört. Es wird insoweit verwiesen auf das Protokoll vom 06.10.2017 (Bl. 183 bis 195 d. A.). Des Weiteren hat das Gericht ein Gutachten der Sachverständigen Frau Dr. T P, Gynäkologin und Leiterin eines Brustkrebszentrums vom 01.05.2018 eingeholt. Insoweit wird verwiesen auf Bl. 217 bis 226 d. A. Schließlich hat die Sachverständige Frau Dr. P in der mündlichen Verhandlung vom 22.02.2019 ihr Gutachten mündlich ergänzt und erläutert. Es wird insoweit verwiesen auf Bl. 257 bis 263 d. A.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 21.03.2019 lag vor.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der Anspruch der Kläger folgt aus §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2, 844 Abs. 2, in Verbindung mit § 1922 BGB.
Die Beklagte, Fachärztin für Gynäkologie, hat in Kenntnis des Verdachts auf eine Brustkrebserkrankung der Frau S K dieser ab dem 08.12.2014 von einer schulmedizinischen Therapie der Brustkrebserkrankung abgeraten und stattdessen im Ergebnis erfolglose alternativmedizinische Behandlungsmethoden angewendet. Die Vorgehensweise der Beklagten war grob fehlerhaft und sie hat es zu verantworten, dass Frau K erst verspätet in schulmedizinische Behandlung gekommen ist zu einem Zeitpunkt, als eine Heilung nicht mehr möglich war. Sie hat damit möglicherweise den Tod der Patientin und die bis dahin aufgetretenen Leiden verursacht.
I. Pflicht zur therapeutischen Sicherungsaufklärung.
Die Beklagte war als Fachärztin für Gynäkologie verpflichtet, die Patientin auf die Notwendigkeit der Inanspruchnahme schulmedizinischer Therapie hinzuweisen. Diese Pflicht folgt aus § 630c Abs.2 BGB. Das sieht offenbar die Beklagte auch selbst so, indem sie behauptet, die Patientin entsprechend aufgeklärt zu haben. Zudem hat auch die Sachverständige Frau Dr. P in ihrem Gutachten ausgeführt, dass bei hochgradigem Verdacht auf ein invasives Mammakarzinom, wie er vorliegend gegeben war, dringend eine stanzbioptische Klärung zu empfehlen war und falls diese von der Patientin abgelehnt wurde, eine Operation der Brust zu empfehlen, um alsdann eine chemotherapeutische Behandlung, gegebenenfalls mit anschließender Strahlentherapie zu empfehlen. Diese Therapieempfehlung ergibt sich aus der zum damaligen Behandlungszeitpunkt gültigen S3 - Leitlinie aus dem Jahre 2012 zum Mammakarzinom.
Die Pflicht der Beklagten, Frau K über die notwendige schulmedizinische Behandlung aufzuklären entfiel nicht durch den Umstand, dass Frau K zuvor von mehreren Ärzten, nämlich der Zeugin Sch und der Frauenärztin Dr. P auf die Notwendigkeit der Biopsie bzw. einer Brustoperation und anschließender schulmedizinischer Therapie hingewiesen worden war. Denn für die Beklagte stellte sich die Situation so dar, dass Frau K offen die irrige Meinung zum Ausdruck brachte, dass ihr Brustkrebs anders als mit schulmedizinischen Methoden geheilt werden könne. So heißt es etwa in dem Eintrag der Beklagten vom 08.12.2014, dass die Patientin viel spirituell arbeite und beim Familienstellen erfahren habe, dass sie sich von ihrer Mutter distanzieren müsse, sonst bekomme sie Krebs, davor habe sie aber keine Angst, in der Familie gehe es um fehlende Selbstliebe. Dieses entspricht im Wesentlichen auch der Bekundung der Zeugin Sch, wonach ihr Frau Kaufmann in einem Gespräch am 01.12.2014 berichtete, dass sie an einer Familienaufstellung teilgenommen habe und jetzt wisse, wo ihr Problem liege. Sie würde am 08.12. zu einer „alternativen“ Gynäkologin in E gehen; ganz offensichtlich war damit die Beklagte gemeint.
Für die Beklagte musste sich daraus das Bild ergeben, dass eine Patientin zu ihr kam, die zwar womöglich anderweitig über die Notwendigkeit schulmedizinischer Therapie belehrt worden war, die jedoch unter dem Eindruck einer Familienaufstellung und/oder Beratung der „Schamanin“ Frau W der Meinung war, auf schulmedizinische Behandlung verzichten zu können . Gerade weil die Patientin große Erwartungen an alternativmedizinische Behandlungsmethoden hatte und erkennbar von Anfang an ein großes Vertrauen in die Beklagte setzte, oblag es der Beklagten, sie über die Notwendigkeit schulmedizinischer Therapie auch dann nochmals aufzuklären, wenn sie schon anderweitig - durch Schulmediziner- aufgeklärt war. Sie mußte dem Eindruck entgegentreten, Frau K könne allein durch Alternativmedizin geheilt werden und die Grenzen alternativmedizinischer Maßnahmen in diesem Behandlungsfall aufzeigen.
II. Verletzung der Pflicht zur therapeutischen Sicherungsaufklärung.
Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Beklagte diese Pflicht zur therapeutische Sicherungsaufklärung verletzt hat und zwar nicht nur in der Weise, dass die Beklagte es unterließ, die Patientin auf die Notwendigkeit schulmedizinischer Therapie hinzuweisen, sondern darüber hinaus ihr sogar davon abriet und ihr in der Folgezeit stattdessen diverse alternativmedizinische Behandlungen empfahl, die für sich genommen keinen Heilungserfolg erbringen konnten.
Ein sehr deutlicher Hinweis hierauf findet sich in einer E-Mail der Verstorbenen an ihre Hausärztin Dr. N vom 08.12.2014. In dieser E-Mail berichtete die Verstorbene ihrer Hausärztin von dem Termin bei der Beklagten. Mit der E-Mail versuchte die Verstorbene, die Hausärztin dazu zu bewegen, bei ihrer Behandlung mit der Beklagten zusammenzuarbeiten. In dieser E-Mail führt die Verstorbene neben ihrer Erfahrung aus der Familienaufstellung auch aus, dass ihr Immunsystem laut Blutbild intakt sei und dass die Beklagte gesagt habe, es läge ein Schutz darum, den sie zurzeit nicht durch Biopsie oder OP zerstören solle (man solle doch auf sein Bauchgefühl hören). Diese Aussage ist eindeutig. Sie erfolgte auch direkt unmittelbar nach dem Arzttermin bei der Beklagten, noch am gleichen Tage. Eine irgendwie geartete Belastungstendenz zu Lasten der Beklagten erscheint zu diesem Zeitpunkt als völlig ausgeschlossen, weil die Verstorbene in der E-Mail eindeutig eine positive Einstellung gegenüber der Beklagten zum Ausdruck bringt und den Wunsch äußert, dass die Beklagte zusammen mit der Hausärztin sie weiter behandeln solle. Das Gericht hält deshalb diesen zeitnahen Bericht von Frau K über die Aussagen der Beklagten bei dem Termin für glaubhaft. Die Aussage, der Schutz des Immunsystems solle nicht durch Biopsie oder Operation zerstört werden, spricht eindeutig gegen die Aussage in der Dokumentation der Beklagten, wonach die Verstorbene am 8.12.2014 auf die Notwendigkeit schulmedizinischer Behandlung hingewiesen worden sein soll.
Die in der Folgezeit zwischen der Verstorbenen und der Beklagten gewechselten E-Mails belegen, dass das Konzept alternativmedizinischer Behandlung unter Ausschluss der Schulmedizin weiter konsequent verfolgt wurde. Schulmedizinische Behandlungsmaßnahmen waren gar kein Thema. In einer E-Mail vom 22.03.2015 scheint Frau K erstmals gewisse Zweifel am Erfolg der Therapie geäußert zu haben. In dieser E-Mail beschreibt Frau K einen Abszess an ihrer Brust, ein weiterer „scheine sich auf den Weg zu machen“. Sie schreibt:
„Ich hatte eine Freundin, die an Krebs gestorben ist mit 40 Jahren und ich erinnere mich in der letzten Phase Abszesse auf ihrem Kopf gesehen zu haben. Habe leichte bis mittelschwere Panik. Beim letzten Mal sagten sie mir doch ich wäre auf einem guten Weg, trotz Abszess. Ich bekomme das gerade nicht sortiert...“ (Hervorhebung durch die Kammer)
Mit E-Mail vom gleichen Tage antwortete die Beklagte, der Umstand, dass beim letzten Behandlungstermin der Prozess an der Brust stagniere, sei für sie, die Beklagte, Anlass gewesen, zu sagen, dass sie - Frau K - auf einem guten Weg sei. Die aufgetragene Anti-Abszess-Creme ziehe jeden entzündlichen Prozess aus der Brust. Die Brust arbeite intensiv und Zellzerfall - zerstörte Tumorzellen - lösen auch Umfeldentzündungen aus. „Was, was ist, kann ihnen konkret keiner jetzt sagen. Ich verstehe ihre Panik. Doch sie sind mit dem, was sie tun, sehr genau und setzen alles positiv verfügbare um.“ (Hervorhebungen durch die Kammer)
Trotz der von Frau K in ihrer E-Mail geäußerten Zweifel beruhigt die Beklagte sie also damit, dass die Erscheinungen an der Brust von Frau K einen Zerfall von Tumorzellen bedeuten würden, also kein Fortschreiten der Brustkrebserkrankung, sondern im Gegenteil wird suggeriert, es handele es sich um einen Prozeß der Heilung. Diese Aussagen der Beklagten stehen wiederum in krassem Widerspruch zu ihrer Behauptung in ihrer Dokumentation, sie habe die Patientin von Anfang an auf die Notwendigkeit schulmedizinischer Behandlung hingewiesen. Wenn das so wäre, hätte sie auf die E-Mail von Frau K ganz anders reagieren müssen und zwar mit dem Hinweis, dass die zunehmenden Abszesse eben gerade nicht Zeichen einer Heilung seien, sondern Ausdruck der fortschreitenden Brustkrebserkrankung. Die geäußerten Zweifel der Frau K hätte sie in dieser Situation noch einmal gezielt zum „Aufhänger“ machen müssen, um sie jetzt noch einmal auf die dringende Notwendigkeit schulmedizinischer Therapie hinzuweisen. In einer weiteren E-Mail vom 29.03.2015, 17:53 Uhr, empfiehlt die Beklagte wiederum diverse alternativmedizinische Behandlungen, obwohl Frau K ihr mit E-Mail vom gleichen Tage, 12:45 Uhr berichtete, dass der Abszess nunmehr an einer Stelle offen sei und fragte, wie sie die offene Stelle des Abszesses verarzten solle, wie sie eine Blutvergiftung verhindere und ob sie weiterhin Urin auftragen könne. Frau K berichtete mit dem Hinweis auf eine jetzt offene Wunde über eine weitere Verschlimmerung des Befundes, was die Beklagte in ihrer E-Mail zu der Aussage veranlasste „insgesamt haben sie viel erreicht - sehr gut, wie sie ihren Weg beschreiten“ (Hervorhebung durch die Kammer), am Samstag sei Ostervollmond und Frau K solle da Osterwasser schöpfen und das zum Reinigen verwenden.“ Beim nächsten Termin am 15.04.2015 stellte die Beklagte nach ihrer Dokumentation bei einem Verbandswechsel stark blutende Abszesse fest, die eine Palpation nicht ermöglichten. Die Patientin wirke bedrückt, die Abszesse behinderten, viel Wundsekret und Blutungen, die jedoch sich aktuell beruhigt hätten. Die Beklagte hatte damit eine eigene Anschauung vom Ausmaß des Abszesses der Brust gewonnen. In der E-Mail vom 08.05.2015 schließlich berichtete die Verstorbene, dass der zweite Abszess ihr ziemlich zu schaffen mache. Der zweite Abszess sei am Abheilen, da sich eine zweite, dickere Haut gebildet habe, sofern man Haut überhaupt noch sehen könne. Der Rest seien offene Fleischwunden, woraus sie extrem viel Wundwasser verliere und es stinke, ähnlich wie Menstruationsblut. Die Antwort der Beklagten auf diese schon sehr drastische Schilderung des Befundes mit E-Mail vom 10.05.2015: „Medizinisch entspricht es der tuberkulösen Verkäsung - nach ihrer Beschreibung. So wenig wie möglich manipulieren und warten bis die Krusten abfallen, um das Blutungsrisiko zu reduzieren...“ Bitte gehen Sie weiter ins Vertrauen, gegebenenfalls auch mit dem Spezialisten im Norden telefonieren. (Hervorhebung durch die Kammer)
Auch hier wird die ersichtliche Verschlimmerung verharmlost und behauptet, es handele sich um eine „Verkäsung“ des Tumors. Die Patientin solle „weiter ins Vertrauen gehen“ und mit dem Spezialisten im Norden telefonieren. Dabei dürfte es sich um Dr. H gehandelt haben, der die sogenannte „Germanische Medizin“ vertritt. Was Dr. H vertritt, ergibt sich aus dem Anlagenkonvolut K 4 mit der Webseite des Dr. H. Die Beklagte gab in der mündlichen Verhandlung an, sich über die „germanische Medizin“, die Dr. H vertritt, informiert zu haben, ohne diese jedoch anzuwenden. Mit der E-Mail vom 10.05.2015 empfahl sie Frau K, Dr. H zu konsultieren. Dessen Ansichten sind ganz offenbar völlig konträr zur schulmedizinischen Therapie, indem er Krebserkrankungen mit fünf biologischen Naturgesetzen erklären will. Man kann davon halten was man will, jedenfalls entspricht das nicht der schulmedizinischen Therapie. Auch hier wiederum erscheint es völlig widersprüchlich, dass die Beklagte eine schulmedizinische Therapie empfohlen haben will und die Beklagte dann an jemanden verwies, der die Schulmedizin vehement ablehnt.
Erst der dramatische Zustand der Brust, welche die Beklagte in ihrer Dokumentation vom 19.05.2015 beschreibt und der sich verschlechternde Allgemeinzustand der Patientin führte dazu, dass sie sich eine schriftliche Erklärung von der Verstorbenen unterschreiben ließ. Offenbar erkannte nunmehr auch die Beklagte, dass sie sich hier einem erheblichen Haftungsrisiko ausgesetzt sah und versuchte, dieses durch eine von der Verstorbenen unterschriebenen Erklärung zu vermeiden. Die Erklärung belegt nicht, daß die Beklagte von Anfang an schulmedizinische Therapie empfohlen hätte. Ansonsten hätte es sehr nahe gelegen, sich ein entsprechendes Schriftstück schon zu Beginn der Behandlung unterschreiben zu lassen.
Soweit in der von der Beklagten vorgelegten Dokumentation behauptet wird, sie habe am 08.12.2014 und am 06.01.2015 der Verstorbenen schulmedizinische Therapie empfohlen, ist das nicht nur aus den oben genannten Gründen unglaubhaft, sondern auch deshalb, weil der Inhalt der Dokumentation insoweit in keiner Weise mit dem übereinstimmt, was die Beklagte in der mündlichen Verhandlung angab. Am 08.12.2014 soll Frau K laut Dokumentation „im Beisein der Arzthelferin“ auf die dringende Inanspruchnahme schulmedizinischer Therapien hingewiesen worden sein. In der mündlichen Verhandlung vom 05.05.2017 erklärte die Beklagte, dass bei den Behandlungen der Patientinnen Assistentinnen nur dabei seien, wenn sie Zureichungen machen müssen, wie z. B. Verbandsmaterial und wenn sie bei bestimmten Maßnahmen assistieren müssten. Bei den Gesprächen sei sie immer mit den Patientinnen allein, da sie einen traumatherapeutischen Ansatz verfolge. Danach kann eine Arzthelferin nicht bei dem Hinweis auf schulmedizinische Therapien dabei gewesen sein, weil der Termin vom 08.12.2014 ein reiner Gesprächstermin war; eine Untersuchung der Brust erfolgte erstmals am 06.01.2015. Also gab es keinerlei Grund für irgendwelche Zureichungen bei Behandlungen durch eine Arzthelferin. Am 06.01.2015 soll bei der ersten Untersuchung „im Beisein von W“ erneut schulmedizinische Therapie angeraten worden sein. Die Kammer hat auf Antrag der Beklagten die Zeugin W L gehört. Sie konnte sich konkret weder erinnern, bei einem Verbandswechsel der Brust der Frau K dabei gewesen zu sein noch dass dabei irgendein Gespräch geführt worden sei. Zudem hat die Beklagte selbst in der mündlichen Verhandlung die Situation so dargestellt, daß die Zeugin zufällig nur kurz im Behandlungszimmer hinzukam, um Verbandszeug zu bringen. Da sei sie mitten im Gespräch mit der Patientin gewesen, nach der Dokumentation muß es sich um ein sehr ausführliches Gespräch gehandelt haben, indem eine Vielzahl an Themen erörtert wurden. Daß die Zeugin L bei ihrem kurzen Aufenthalt nun gerade eine Gesprächssituation bewußt mitbekam, in der über schulmedizinische Behandlung gesprochen wurde, erscheint sehr ungewöhnlich, da die Beklagte an anderer Stelle doch erklärte, bei Gesprächen mit den Patientinnen aus Gründen der Vertraulichkeit immer allein sei. Dann wäre eigentlich zu erwarten, daß ein intensives Gespräch für einen kurzen Moment unterbrochen wird, bis die Arzthelferin den Raum wieder verlassen hat.
Abgesehen von diesen Ungereimtheiten kann der Dokumentation der Beklagten in diesem Punkt auch nur wenig Glaubwürdigkeit zugemessen werden. Die Beklagte war vorprozessual sehr zögerlich mit der Herausgabe dieser Dokumentation. Auf die Aufforderung vom 08.10.2015 die Behandlungsunterlagen vorzulegen, reagierte die Beklagte mit einem anwaltlichen Anschreiben ihrer vorprozessualen Bevollmächtigten vom 02.11.2015, in dem erklärt wurde, dass die Beklagte „bemüht sei, die Unterlagen zusammenzustellen“. Schaut man sich die Dokumentation an, die die Beklagte in diesem Rechtsstreit vorgelegt hat, so fragt es sich, was hier „zusammenzustellen“ war. Erst mit Schreiben vom 25.11.2015 wurde dann ein dreiseitiges handschriftliches Papier (Anlage K 27) vorgelegt, bei dem es sich aber ganz offensichtlich nicht um die Dokumentation handelte, die im Prozess jetzt vorgelegt worden ist, denn diese umfasst deutlich mehr als drei Seiten. Mit Schreiben vom 18.12.2015 ließ die Beklagte durch ihre Anwälte weitere Auskünfte verweigern (Anlage K 13). Erst im Prozeß mit der Klagerwiderung vom 4.10.2016 hat die Beklagte ihre Dokumentation vorlegen lassen - ein Jahr, nachdem sie von den Klägern hierzu aufgefordert worden war. Schon diese verzögerte Herausgabe der Dokumentation, verbunden mit einer zunächst erfolgten Übersendung eines anderen Papiers, was die Dokumentation wohl darstellen sollte, erweckt den hochgradigen Verdacht darauf, dass die in diesem Rechtsstreit vorgelegte Dokumentation nicht zeitnah zur Behandlung gefertigt wurde, sondern dass sie „nachbearbeitet“ worden ist. Berücksichtigt man dann noch, dass der Inhalt der Dokumentation im Widerspruch zu eigenen Angaben der Beklagten im Prozess wie auch im Widerspruch zu den gewechselten E-Mails zwischen der Verstorbenen und der Beklagten steht, so kann man dieser Dokumentation keinen Glauben schenken. Jedenfalls soweit es die Frage einer angeblichen Aufklärung über schulmedizinische Behandlung betrifft, hat sie keine Relevanz.
Soweit die Beklagte sich die Erklärung der Frau K vom 19.05.2015 hat ausstellen lassen, in der Frau K bestätigt, sie sei mehrfach auf eine schulmedizinische Behandlung hingewiesen worden und alle Risiken einer nicht schulmedizinischen Behandlung seien besprochen worden so beweist das zwar, dass an jenem 19.05.2015 bei schon weit fortgeschrittener Erkrankung tatsächlich eine entsprechende Belehrung erfolgt ist, jedoch nicht unbedingt, dass auch schon in der Vergangenheit entsprechende Hinweise erteilt worden seien. Die Verstorbene scheint dieser Erklärung keine besondere Bedeutung zugemessen zu haben. Der Kläger zu 1. bekundete, dass er dieses Schreiben zum ersten Mal am Freitag nach dem 19.05.2015 auf dem Tisch liegen sah und seine Frau darauf ansprach. Der 19.05.2015 war ein Dienstag, sodass die Verstorbene ihrem Ehemann drei Tage lang von diesem Schreiben nicht berichtete. Bei dem Schreiben handelte es sich um eine von der Beklagten vorformulierte Erklärung. Es stellt sich auch die Frage, ob bei diesem Termin die Patientin überhaupt so sehr auf den Inhalt des von ihr Unterschriebenen geachtet hat. Denn dieser Termin verlief nach Angaben der Beklagten sehr emotional; Frau K fühlte sich offenbar von ihrer Schamanin Frau W „verraten“, weil diese ihr nicht gesagt habe, dass sie selber eine Krebserkrankung habe und Frau K befürchtete - jedenfalls wenn man der Dokumentation der Beklagten insoweit glaubt - dass Frau W ihren Krebs auf sie - Frau K - übertragen habe. Dieser eher formal wirkenden Bescheinigung kann jedenfalls nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit entnommen werden, dass Frau K schon vor dem 19.05.2015 über die Notwendigkeit schulmedizinischer Behandlung in der gebotenen Weise aufgeklärt worden ist, auch wenn das in der Erklärung anders steht.
III. Kausalität der Verletzung der Pflicht zur therapeutischen Sicherungsaufklärung für die Willensentscheidung der Patientin, keine schulmedizinische Therapie durchzuführen.
Nach gefestigter Rechtsprechung trägt derjenige, der eine vertragliche Aufklärungspflicht verletzt, die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre, der Geschädigte sich also nicht „aufklärungsrichtig“ verhalten hätte (BGH NJW 1989 Seite 2320 mit weiteren Nachweisen). Der der Patientin zu erteilende Rat konnte nur dahingehen, dass ihr die schulmedizinische Diagnostik und Therapie zu empfehlen war, wie die Beklagte selbst zugestanden hat. Die Beklagte müsste also die grundsätzlich bestehende Vermutung eines aufklärungsrichtigen Verhaltens der Patientin widerlegen. Hinzu kommt, dass sich eine Umkehrung der Beweislast zu Lasten der Beklagten auch unabhängig davon ergibt, nämlich weil der Beklagten ein grober Behandlungsfehler zur Last zu legen ist (vergleiche § 630h Abs. 5 Satz 1 BGB). Denn bei einem groben Behandlungsfehler wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für die Gesundheitsschädigung ursächlich war. Ist eine Gesundheitsbeschädigung dadurch erfolgt, dass ein dringender ärztlicher Rat nicht erteilt wurde, bedeutet dieses zugleich, dass auch insoweit die Vermutung besteht, dass der Patient dem Rat des Arztes gefolgt wäre und darüber hinaus, dass bei Befolgen des Rates die Gesundheitsschädigung ausgeblieben wäre. Ein grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Behandelnde eindeutig gegen bewährte medizinische Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen hat und einen Fehler begangenen hat, der aus objektiver Sicht, nicht nach dem Grad der subjektiven Vorwerfbarkeit, nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Behandelnden schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH NJW 2012 Seite 227, NJW 2016 Seite 563). Die Sachverständige Frau Dr. P hat in ihrem schriftlichen Gutachten unter Hinweis auf die schon damals gültige S3 Leitlinie Mammakarzinom ausgeführt, dass ein eindeutiger Verstoß gegen anerkannte fachärztliche Behandlungsregeln vorlag und dass es aus objektiver fachärztlicher Sicht als völlig unverständlich anzusehen ist, der Patientin von einer schulmedizinischen Behandlung ihrer Krebserkrankung abzuraten. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Beklagte der Patientin von schulmedizinischer Behandlung abgeraten hat. Da die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 05.05.2017 selbst angegeben hat, dass sie nicht der Auffassung gewesen sei, dass man mit dem im Laufe der Behandlung bei Frau K angewendeten naturheilkundlichen Methoden ihre Krebserkrankung heilen könne (Protokoll vom 5.5.2017, Seite 9) und ihr jedenfalls am 10.5.2014 klar war, dass bei Frau K eine vitale Gefährdungssituation bestand (Protokoll vom 5.5.2017, Seite 10), muss konsequenterweise festgestellt werden, dass der Beklagten auch klar war, dass ohne den schulmedizinischen Therapieansatz eine Heilung der Patientin nicht möglich sein würde. Insofern muss die Kammer leider feststellen, dass das Abraten von der schulmedizinischen Behandlung, wie es in der E-Mail der Verstorbenen vom 08.12.2014 zum Ausdruck kommt, einen vorsätzlichen Verstoß gegen ärztliche Aufklärungspflichten darstellt. Die Kammer hat daher keine Bedenken hier von einem groben Behandlungsfehler auszugehen. Selbst wenn die Beklagte nicht aktiv von schulmedizinischer Behandlung abgeraten hätte, sondern einfach widerspruchslos hingenommen hätte, dass die Patientin eine schulmedizinische Therapie nicht wollte, wäre das zur Überzeugung des Gerichts immer noch ein grober Behandlungsfehler, weil ein derartiges Verhalten der insoweit eindeutigen S3 Leitlinie widersprach und kein vernünftiger Grund besteht, einer Patientin in dieser Situation die schulmedizinische Therapie nicht anzuraten.
Wie sich Frau K letztlich entschieden hätte, wenn die Beklagte ihr am 08.12.2014 und auch danach die schulmedizinische Therapie empfohlen hätte, lässt sich definitiv nicht mehr beurteilen. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass Frau K insbesondere zum Ende der Behandlung bei der Beklagten hin deutliche Distanz zur schulmedizinischen Behandlung äußerte, was etwa in ihrer E-Mail vom 29.03.2015, 12:45 Uhr deutlich wird, wo sie schreibt, dass auf alle Fälle verhindert werden müsse, dass sie mit den Abszessen ins Krankenhaus komme, da sie dort ihre Therapie nicht fortführen könne. Auch schon zum Beginn der Therapie bei der Beklagten am 08.12.2014 zeigte sich die Patientin zuversichtlich, mit der von ihr beabsichtigten nicht schulmedizinischen Therapie erfolgreich zu sein. Wie der Kläger zu 1) bekundete, war seine Frau zu diesem Zeitpunkt mit dem Therapieansatz völlig glücklich. Noch bis zum 29.05. habe Frau K an diese Therapie im Prinzip geglaubt, dieses obwohl zu diesem Zeitpunkt die rechte Brust der Patientin schon mit mehreren Geschwüren bzw. Abszessen durchsetzt war, wie die vom Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung vom 05.05.2017 vorgelegten Fotoausdrucke eindrucksvoll belegen. Frau K hat also selbst bis zu diesem Zeitpunkt noch daran geglaubt, dass die Abszesse an ihrer Brust Zeichen einer Vernichtung des Tumorgewebes seien und damit Anzeichen einer Heilung.
Dennoch erscheint es zur Überzeugung der Kammer nicht als sicher, dass Frau K eine schulmedizinische Therapie abgelehnt hätte, wenn sie ihr von der Beklagten schon zu Beginn ihrer Behandlung mit dem gebotenen Nachdruck nahegelegt worden wäre. Dabei ist auch von Gewicht, dass in dieser speziellen Behandlungssituation, dass nämlich die Patientin unter einer lebensbedrohlichen Erkrankung litt und sich der gebotenen schulmedizinischen Therapie nicht unterziehen wollte, die einzig und allein Heilung versprach, man es nicht nur dabei hätte belassen dürfen, der Patientin eine derartige schulmedizinische Therapie zu empfehlen und deren Aussage, diese nicht zu wollen, einfach zu akzeptieren. Zwar entscheidet letztlich der mündige Patient über die Behandlung. Leidet ein Patient unter einer lebensbedrohenden Erkrankung und verweigert er die einzige zur möglichen Heilung führende Diagnostik und Therapie muss der Arzt oder die Ärztin mit aller Eindringlichkeit auf die Notwendigkeit der Behandlung hinweisen und alles nach der Sachlage gebotene unternehmen, um den Patienten von der Notwendigkeit der Behandlung zu überzeugen. Der Arzt oder die Ärztin muss dabei seine/ihre auf Fachwissen beruhende Autorität in die Waagschale werfen und dem Patienten deutlich den zu erwartenden Verlauf der Erkrankung schildern, wenn der Patient die Behandlung verweigert. Notfalls muss der Arzt oder die Ärztin sich mit dem Patienten auf ein Streitgespräch einlassen. Frau K hätte klar vor Augen geführt werden müssen, dass sie bei Ablehnung schulmedizinischer Therapie mit ihrem Leben spiele und je nach Gesprächssituation und Zugänglichkeit der Patientin hätte durchaus z.B. auch an die Verantwortung der Patientin für ihre noch minderjährigen Kinder appelliert werden können oder versucht werden können, Vertrauenspersonen wie etwa den Ehemann in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Erst wenn die Patientin trotz aller Eindringlichkeit der Empfehlung und Warnungen vor dem zu erwartenden Verlauf keine Wirkung zeigte, wäre es vielleicht noch akzeptabel gewesen, die Patientin gleichwohl in der von der Beklagten geübten Form zu behandeln, wobei auch im weiteren Verlauf der sich abzeichnenden zunehmenden Abszessbildung auch mehrfach der deutliche Hinweis geboten gewesen wäre, dass diese zunehmende Abszessbildung mit hoher Wahrscheinlichkeit Ausdruck des Tumorwachstums ist und nicht Anzeichen der Heilung. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, auf eine solch eindringliche Weise das Aufklärungsgespräch mit der Patientin geführt zu haben. Schon ihr eigener Vortrag lässt nicht erkennen, dass sie mit der Patientin um die richtige Art der Behandlung „gerungen“ hat.
Dagegen, dass Frau K zum Beginn der Behandlung bei der Beklagten keinerlei vernünftigen Argumenten hinsichtlich einer schulmedizinischen Behandlung mehr zugänglich war, spricht der Umstand, dass sie kurz zuvor zum Zeitpunkt der Konsultationen der Frauenärztinnen Sch und Dr. P nach deren Dokumentationen und nach Aussage der Zeugin Sch in der mündlichen Verhandlung durchaus bereit war, schulmedizinische Behandlung in Anspruch zu nehmen. Sie hat, wie die Zeugin Sch bekundete, einen Untersuchungstermin zur Szintigrafie vereinbart und ließ durch Frau Dr. P sogar einen Krankenhaustermin bei Dr. K in W vereinbaren. Offenbar kurz vor dem 01.12.2014 nahm die Verstorbene an einer Familienaufstellung teil, bei der eventuell auch die Schamanin Frau W eine Rolle spielte. Hier hat die verstorbene Frau K möglicherweise die fatalen Impulse erhalten, die sie nunmehr die alternativmedizinische Behandlung präferieren ließen. Inwieweit sie durch diese Einwirkungen tatsächlich schon fest entschlossen war, auf schulmedizinische Therapie gänzlich zu verzichten, ist nicht eindeutig feststellbar. Auffällig in diesem Zusammenhang ist allerdings, dass die Verstorbene in dem Gespräch mit Frau Sch am 01.12.2014 zwar davon berichtete, dass sie an einer Familienaufstellung teilgenommen habe und jetzt wisse wo ihr Problem liege. Sie berichtete aber auch, dass sie am 08.12. zu einer anderen Frauenärztin gehen würde, womit offenbar die Beklagte gemeint war. Aus der Dokumentation von Frau Sch ergibt sich desweiteren, dass die Verstorbene am 08.12.2014 anrief, dass der Termin im „P“ (Radiologische Praxis) abgesagt werden sollte. Der 08.12.2014 war genau der Tag, wo sie sich erstmals bei der Beklagten vorstellte. Erst an diesem Tag sagte sie den Termin ab. Wäre sie schon vorher etwa aufgrund der Familienaufstellung zu der Entscheidung gekommen, keine schulmedizinische Therapie zu wollen, so wäre es logisch, dass der Termin früher abgesagt worden wäre und nicht erst ausgerechnet an dem Tag, an dem die Verstorbene ihren ersten Termin bei der Beklagten hatte. Nach der Dokumentation von Frau Sch erklärte Frau K, von dem Termin am 08.12.2014 hinge viel ab, vorher solle keine Therapie erfolgen (Eintrag vom 25.11.2014). Das ist ein deutliches Indiz dafür, dass die Patientin sich erst nach dem Termin am 08.12.2014 bei der Beklagten definitiv zur alternativmedizinischen Behandlung entschloss und nicht bereits vor dem 01.12.2014 nach der Familienaufstellung, aufgrund welcher Frau K sich eine Meinung über die Ursachen ihrer Krebserkrankung gebildet haben mag.
Anders als etwa die Zeugin Sch war die Beklagte zu Beginn ihrer Behandlung offenbar damit konfrontiert, dass Frau K meinte, keine schulmedizinische Therapie zu wollen. Frau K kam zur Beklagten in der Erwartung bei ihr Unterstützung für die von ihr geplante nicht schulmedizinische Therapie zu erhalten. Entsprechend war die Beklagte ihr von Frau W empfohlen worden, offenbar, weil die Beklagte eine Vertreterin alternativmedizinischer Behandlungsmethoden war. Insofern bestand möglicherweise von Beginn der Behandlung seitens Frau K ein „Vertrauensvorschuss“ zugunsten der Beklagten, den die vorbehandelnden Ärztinnen Frau Sch und Frau Dr. P offenbar bei ihr nicht hatten. Hätte in dieser Situation die Beklagte als Fachärztin für Gynäkologie und als Vertreterin alternativmedizinischer Behandlungsmethoden der Klägerin klar und deutlich gesagt, dass an der schulmedizinischen Therapie kein Weg vorbeiführe, so erscheint es durchaus möglich, dass nach eingehender Diskussion sich die Verstorbene vielleicht doch für eine schulmedizinische Behandlung ausgesprochen hätte. Eine schulmedizinische Behandlung hätte ja auch nicht zwangsläufig bedeutet, dass die Patientin auf die von ihr gewünschte alternativmedizinische Behandlung hätte verzichten müssen. Die Beklagte hätte ihr anbieten können, ihre alternativmedizinischen Behandlungsmaßnahmen neben einer anderweitig durchzuführenden schulmedizinischen Behandlung durchzuführen.
Diese Überlegungen führen dazu, dass die Kammer jedenfalls nicht davon überzeugt ist, dass ein Hinweis der Beklagten auf die gebotene schulmedizinische Therapie mit der notwendigen Nachdrücklichkeit nicht dazu geführt hätte, Frau K zu diesem Zeitpunkt doch für eine schulmedizinische Therapie, eventuell mit Ergänzung durch alternativmedizinische Behandlungen zu motivieren. Das spätere ablehnende Verhalten der Verstorbenen hinsichtlich einer Krankenhausaufnahme muss nicht bedeuten, dass sie im Dezember 2014 nicht doch zu einer schulmedizinischen Therapie bereit gewesen wäre. Die Patientin hat sich im Laufe der Zeit mit immer neuen alternativmedizinischen Behandlungsansätzen befasst und sich immer weiter von dem Gedanken an schulmedizinische Therapie entfernt, wozu unter anderen auch die Beklagte entscheidend beigetragen hat. Psychologisch dürfte es für die Verstorbene schwierig gewesen sein, den einmal eingeschlagenen Pfad der alternativen Therapie wieder zu verlassen, auch wenn sie möglicherweise merkte, dass sich der Zustand ihrer Brust verschlechterte. In dieser Situation noch den „Absprung“ zu einer schulmedizinischen Therapie zu schaffen würde bedeuten, die Nutzlosigkeit der bisherigen Therapie mit fatalen Folgen sich einzugestehen. Ein derartiges Eingeständnis ist psychologisch betrachtet sicher nicht einfach, wenn man sich vorher auf einen bestimmten Behandlungsweg festgelegt hat und diesen zunächst sogar euphorisch verfolgt hatte.
IV. Kausalität der Pflichtverletzung für den Gesundheitsschaden.
Da ein grober Behandlungsfehler vorliegt, erstreckt sich die Beweislastumkehr auf alle primären gesundheitlichen Schäden einschließlich der typischerweise damit verbundenen Gesundheitsbeeinträchtigungen. Die schulmedizinische Therapie müsste, um die Kausalität der jeweiligen Gesundheitsschäden zu begründen, generell geeignet gewesen sein, um den jeweiligen Gesundheitsschaden zu vermeiden und die Vermeidung des Gesundheitsschadens bei richtiger Therapie dürfte nur nicht äußerst unwahrscheinlich sein (Palandt - Weidenkaff, 78. Auflage § 630h Rn. 10).
Die Beweislastumkehr entfällt im konkreten Fall nicht etwa deshalb, weil der verstorbenen Frau K ein Mitverschulden im Sinne von § 254 BGB zuzurechnen wäre. Zwar hat Frau K sich bewusst für eine alternativmedizinische Behandlung unter Verzicht auf die Schulmedizin entschieden, jedoch geschah dieses aufgrund des Anratens der Beklagten. Wenn sich ein Patient auf den Rat einer Fachärztin verlässt, so kann nach Auffassung der Kammer daraus grundsätzlich kein Mitverschulden hergeleitet werden, wenn der Patient diesen Rat befolgt. Das gilt auch dann, wenn ihm andere ärztliche Meinungen bekannt waren und er sich zur Einholung einer Zweit- oder Drittmeinung entschlossen hatte. Zu berücksichtigen ist bei der Verneinung eines Mitverschuldens in einem solchen Falle stets das überlegene Wissen des Facharztes. Hinzu kommt in diesem Fall auch noch, dass man der Beklagten einen vorsätzlichen Verstoß gegen die therapeutische Aufklärungspflicht zur Last legen muss. Es kann somit ein Mitverschulden nicht angenommen werden, sodass es bei der beschriebenen Beweislastverteilung zu Lasten der Beklagten bleibt.
Die Sachverständige Frau Dr. P hat in ihrem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass die gebotenen schulmedizinische Behandlung, die in einer Operation der Brust, anschließender Chemotherapie, anschließender Strahlentherapie und eventuell anschließender antihormoneller Behandlung geeignet gewesen wäre, den Tod der Patientin und die bis zu ihrem Tod eingetretenen Leiden zu vermeiden. Die Leiden der Patientin bestanden in den mehr und mehr auftretenden tastbaren Brusttumoren mit zunehmenden Exulzerationen. Es kam zu einem massiven lokalen Progress mit dem Ergebnis, dass wenige Wochen vor dem Tod der Patientin eine einzige Tumormasse bestand, die die gesamte Brust überwucherte. Die Kopien von verstörend wirkenden Fotos in der Behandlungsakte des Universitätsklinikum H E sprechen hier eine deutliche Sprache. Es war zu einer Infiltration des Tumors in die rechte Thoraxwand gekommen, es kam zu Lymphknotenschwellungen mit Lymphödemen. Bei der Einweisung am 08.06.2015 in die A-Klinik H bestand ein deutlich reduzierter Allgemeinzustand mit Fieber, Schmerzen und zunehmenden Ulzera. Es kam zu Pleura-Ergüssen mit Dyspnoe. Bei der Einweisung ins Universitätsklinikum H E zeigte sich alsdann, dass Fernmetastasen aufgetreten waren, sodass nur noch eine palliative Chemotherapie möglich war. Frau K wurde schließlich im Juli 2015 in sehr eingeschränktem Allgemeinzustand nach Hause entlassen und benötigte tägliche Hilfen bei der Wundversorgung, der Mobilisation und der täglichen Hygiene. Sie baute in den letzten Tagen vor ihrem Tod zunehmend ab, litt an Dyspnoe und Inappetenz.
Diese schweren Beeinträchtigungen wären möglicherweise bei rechtzeitiger Durchführung einer schulmedizinischen Therapie vermieden worden. Es handelte sich zwar um einen recht schnell wachsenden aggressiven Tumor. Jedoch muss der ausgeprägte Lokalbefund nicht unbedingt etwas darüber sagen, inwieweit der Tumor auf eine Chemotherapie anspricht. Es könne, so die Sachverständige Frau Dr. P in der mündlichen Verhandlung, deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass eine etwa im Januar 2015 eingeleitete adjuvante Chemotherapie Erfolg gehabt hätte. Im günstigsten Fall wäre die Patientin als geheilt zu betrachten gewesen. Auszuschließen ist zwar nicht, dass es in der Folgezeit zu Rezidiven des Tumors hätte kommen können, mit Sicherheit ist das aber nicht anzunehmen. Wären in den ersten zwei Jahren keine neuen Rezidive aufgetreten, so wäre es sogar eher unwahrscheinlich, dass danach noch Rezidive auftreten würden.
V. Schaden
1. Schmerzensgeld
Die vorbezeichneten Leiden wären der Patientin im Zweifel erspart geblieben, wenn sie rechtzeitig schulmedizinisch behandelt worden wäre. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes muss insoweit allerdings auch berücksichtigt werden, dass sie dann eine umfängliche Behandlung hätte auf sich nehmen müssen, bestehend aus Brustoperation, kurativer Chemotherapie und anschließender Bestrahlungstherapie. Diese Therapieformen sind bekanntermaßen mit Nebenwirkungen verbunden, wobei nicht gesagt werden kann, in welcher Ausprägung die Verstorbene davon betroffen gewesen wäre. Im günstigsten Fall wären diese Beeinträchtigungen nach der Beurteilung der Sachverständigen Dr. P gut beherrschbar gewesen bzw. nur gering ausgeprägt.
Es kann festgestellt werden, dass sich der krankheitsbedingte Gesundheitszustand offenbar insbesondere ab Mitte Mai / Anfang Juni 2015 entscheidend verschlechtert hat, was dann auch zur Krankenhausaufnahme führte. Die Leiden der Patientin für einen Zeitraum von gut vier Monaten bis zu ihrem Tod waren sehr erheblich und beeinträchtigend bis hin zur Pflegebedürftigkeit. Dass eine starke psychische Belastung der Verstorbenen in diesen vier Monaten in Anbetracht des schon rein optisch sichtbaren dramatischen Krankheitsbildes bestand, darf ohne weiteres angenommen werden. Im Zeitraum bis Mai 2015 waren die Beschwerden der Patientin durchaus auch vorhanden, wenngleich noch nicht so stark, dass sie sich in einem annähernd lebensbedrohlichen Zustand bewegt hätten. Gleichwohl ist der Zustand der Brust mit den zunehmenden offenen und blutenden Abszessen auch zu diesem Zeitpunkt sehr deutlich beschrieben. Diese hätten verhindert werden können -wenngleich auch nur mit den gravierenden Maßnahmen der Operation, der Chemotherapie und der Strahlentherapie. Diese notwendigen schulmedizinischen Behandlungsmaßnahmen einschneidender Art wären keinesfalls vermeidbar gewesen. Sie müssen bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sozusagen „gegengerechnet“ werden. Gleichwohl erscheint der Kammer hier die Zuerkennung des verlangten Schmerzensgeldes in Höhe von 40.000,00 € nicht als übersetzt. Das OLG Hamm ( 26 U 172/17; Urteil vom 12.10.2018) hat ein solches Schmerzensgeld in einem vergleichbaren Fall zuerkannt - wobei sich im dortigen Fall die Leidenszeit der Patientin über 4 Jahre hin erstreckte, also deutlich länger andauerte als bei Frau K. Andererseits muss bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auch Berücksichtigung finden, daß der Beklagten eine vorsätzliche Pflichtverletzung vorzuwerfen ist. Insofern muss auch die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes schmerzensgelderhöhend berücksichtigt werden. Die psychischen Leiden der Patientin in der Endphase ihres Lebens, als sie auf Heilung nicht mehr hoffen konnte und es ihr körperlich immer schlechter ging, müssen immens gewesen sein.
Der Betrag ist ab Rechtshängigkeit gemäß § 291 BGB zu verzinsen.
2. Materieller Schaden
Gemäß § 844 Abs. 2 BGB steht dem Kläger zu 1) als Ehemann der Verstorbenen Anspruch auf Schadensersatz zu für die Leistungen, welche die Verstorbene im Rahmen des gemeinsamen Haushaltes als Hausfrau hätte erbringen können, wenn sie nicht verstorben wäre. Die Bewertung entgangener Haushaltsführung bestimmt sich konkret nach dem tatsächlichen erforderlichen Aufwand. Anhaltspunkt hierbei ist die Nettovergütung einer vergleichbaren Ersatzkraft (BGHZ 86, 372). Größe des Haushalts und Umfang der anfallenden Arbeiten sind zu berücksichtigen. Die Kammer hat zum Umfang des Haushalts und der ehelichen Aufgabenverteilung den Kläger zu 1. persönlich gehört. Die Verstorbene und ihr Ehemann und die beiden jüngeren Söhne, die zum Zeitpunkt des Todes der Verstorbenen erst acht Jahre alt waren, bildeten einen gemeinsamen Haushalt in einem gemieteten Einfamilienhaus mit Garten. Die Verstorbene führte den Haushalt im wesentlichen allein. Der Kläger zu 1) war berufstätig und, wie er in seiner Anhörung angab, außerhalb des Wochenendes vielfach unterwegs. Lediglich am Wochenende beteiligte er sich an der Haushaltsführung, was bedeutet, dass der größte Teil der Arbeiten im Haushalt von der Verstorbenen verrichtet wurde. Schon diese glaubhaften Angaben des Klägers erlauben den Schluß, daß die für durch den Tod von Frau K entfallenen Tätigkeiten von 41,2 Stunden nicht übersetzt sind. Hausfrauentätigkeit in einem 4-Personen-Haushalt mit 2 Kindern ohne nennenswerte Hilfe bedeutet im Regelfall eine Vollzeittätigkeit. Nach Pardey, Der Haushaltsführungsschaden, 9. Aufl., Seite 73 Tabelle 3 beträgt die wöchentliche Arbeitszeit einer nicht erwerbstätigen Frau in einem 4-Personen-Haushalt mittlerer Ausstattung 52,8 Stunden - ohne Berücksichtigung der zusätzlichen Haushaltstätigkeit des Partners. Der Aufwand für die Haushaltsführung durch den Tod von Frau Kaufmann ist zwar gemindert (nur noch 3-Personen statt 4-Personen-Haushalt). Diese „Eigenquote“ der Verstorbenen läßt sich nach Pardey, a.a.O., Seite 22, mit 13-20% schätzen. Zieht man 20% von 52,8 Stunden ab, ergibt sich immer noch eine Stundenzahl, die sogar noch leicht über den vom Kläger veranschlagten 41,2 Stunden wöchentlich liegt. Auch die vom Kläger angegebene Stundenvergütung von 7,84 € netto für eine Haushaltskraft ist sicherlich nicht zu viel, gerade auch wenn man berücksichtigt, dass der gesetzliche Mindestlohn brutto inzwischen mehr als 8,50 € pro Stunde beträgt. Die Berechnung des Haushaltsführungsschadens auf Seite 13 der Klageschrift kann durch das Gericht daher im Ergebnis ohne weiteres übernommen werden (41,2 Stunden x 13 / 3 x 7,84 = 1.399,70 € monatlich). Für den geltend gemachten Zeitraum von Oktober 2015 (die Verstorbene hätte zu diesem Zeitpunkt wieder gesund sein können) bis zum Januar 2019 sind das 40 Monate = 55.988,00 €.
3. Feststellungsantrag
Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet, soweit er den Kläger zu 1) betrifft. Die mutmaßliche Lebenserwartung der Verstorbenen bei rechtzeitig durchgeführter schulmedizinischer Behandlung dürfte im Zweifel über den Januar 2019 hinausgehen. Sie war zum Zeitpunkt ihres Todes 55 Jahre alt. Die Sachverständige Frau Dr. P beschrieb in ihrem Gutachten im Falle einer zeitgerechten schulmedizinischen Behandlung, dass die Patientin eine gute Chance darauf gehabt hätte, entweder geheilt zu werden oder zumindest den fulminanten Verlauf der Erkrankung zu verzögern und damit den Tod am 03.10.2015 zu verhindern. Was von beidem der Fall gewesen wäre lässt sich nicht sicher beurteilen. Im günstigsten Fall spricht die Sachverständige von einer Heilung. Unklar bleibt, ob im Januar 2015 eine Situation vorgelegen hätte, in der noch keine Fernmetastasen vorlagen und deshalb eine adjuvante Chemotherapie möglich gewesen wäre. Auch in der mündlichen Verhandlung sprach die Sachverständige davon, dass im günstigsten Fall die Patientin geheilt gewesen wäre. Sie sprach dann zwar auf Befragen davon, dass sie es als äußerst unwahrscheinlich ansehen würde, dass der Patientin auf Dauer ein Rezidiv erspart geblieben wäre, insoweit führte die Sachverständige an, dass bei der durchgeführten palliativen Chemotherapie die Therapie mit dem Wirkstoff Taxan nicht optimal funktioniert habe. Letztlich sei im Nachhinein nicht beurteilbar, ob bei einer kurativen (adjuvanten) Chemotherapie die einzusetzenden Medikamente Anthrazyklin und Zyklophosphamid eine hinreichende Wirkung gehabt hätten. Ihre zunächst mitgeteilte Beurteilung, dass sie es für äußerst unwahrscheinlich halte, dass eine kurative Chemotherapie zu einer dauerhaften Heilung, also ohne späteres Rezidiv geführt hätte, hat die Sachverständige sodann relativiert und erklärte, dass sie das nicht belegen könne, sondern dass es eine Beurteilung aus dem „Bauchgefühl“ heraus sei. Selbst bei einem Rezidiv hätte immer noch die Therapieoption einer weiteren adjuvanten Chemotherapie bestanden, wenn auch mit geringerer Erfolgsaussicht als bei einer ersten Chemotherapie. Da sich mithin nicht objektiv begründen lässt, dass bei der Verstorbenen ein nur vorübergehender Heilungserfolg hätte erzielt werden können, kann man es auch nicht als äußerst unwahrscheinlich ansehen, dass dem nicht so gewesen wäre. Im Zweifel (Beweislast liegt wegen des groben Behandlungsfehlers auf Beklagtenseite) ist es gerechtfertigt, anzunehmen, dass eine vollständige Heilung der Frau K erfolgt wäre. Damit kann angenommen werden, dass Frau K bei Heilung ihrer Krebserkrankung auch über Januar 2019 hinaus hätte im Haushalt tätig sein können. Daher ist dem Feststellungsantrag stattzugeben.