(27.7.2018) Zwar ist der Cluster-Kopfschmerz eine schwerwiegenden Erkrankung. Es fehlt aber derzeit an ausreichenden Indizien dafür, dass durch den Einsatz von Medizinal-Cannabisblüten ein therapeutischer Erfolg zumindest möglich erscheint. Weil mithin keine Aussicht auf eine spürbare Verbesserung des Krankheitsverlaufs der Cluster-Kopfschmerzen durch die Versorgung von Cannabis besteht, hat der Patient keinen Anspruch auf einstweilige Versorgung mit diesem Medikament (Landessozialgericht Hessen, Beschluß vom 20.02.2018 - L 8 KR 445/17 B ER).

CannabisblütenDer Fall:

Der Antragsteller leidet unter Cluster-Kopfschmerzen. Die ihn behandelnde Vertragsärztin hat dies dem Antragsteller mehrfach attestiert und ihm eine Verordnung vom Juli 2017 über die Cannabisblüten der Sorten Pedanios/Princeton mit dem Wirkstoff TBD/THC mit einer Tagesdosis 3 gr. bzw. Monatsdosis 90 gr. ausgestellt. Die Ärztin führt in ihrem ärztlichen Attest vom Juni 2017 u.a. aus, bei einem medizinischen Selbstversuch sei Cannabis das einzige Medikament gewesen, welches ihm bei seinem Leiden geholfen habe. Die Schwere der Erkrankung wird bestätigt durch den Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales Frankfurt vom Dezember 2017, mit dem wegen Cluster-Kopfschmerz ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt wurde. Der Antragsteller konnte sich das Cannabis aus finanziellen Gründen aber nicht selbst besorgen.

Er verlangte Zahlung der Kosten von seiner gesetzlichen Krankenversicherung. Diese holte ein MDK-Gutachten ein. Der MDK-Gutachter legte dar, dass die klinische Evidenz bei Cannabioiden bereits in der Kopfschmerzbehandlung gering sei. Selbst eine Mindestevidenz im Sinne einer vergleichenden Untersuchung mit kleiner Fallzahl werde noch nicht erreicht. Bei Cluster-Kopfschmerz sei die Datenlage noch schlechter als bei Migräne.

Daraufhin lehnte die Krankenversicherung die Kostenübernahme ab. Der Antragsteller klagte im Wege des Eilrechtsschutzes auf Kostenübernahme und unterlag vor dem erstinstanzlichen Sozialgericht. Dagegen richtet sich seine Beschwerde.

Die Entscheidung:

Das LSG wies die Beschwerde des Patienten als unbegründet zurück, dies aus folgenden Gründen:

Fraglich und letztlich nicht glaubhaft gemacht ist die weitere Voraussetzung des § 31 Abs. 6 Nr. 1 SGB V, dass zur Behandlung dieser Krankheit eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung entweder nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, sowie des weiteren, dass eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Aus den vorliegenden Unterlagen der behandelnden Ärztin ist nicht ersichtlich, welche anderen Behandlungsversuche mit Ausnahme von Sauerstoffgaben mit welchen Ergebnis durchgeführt wurden, insbesondere, welche Behandlung des Antragstellers orientiert an der Richtlinie „Clusterkopfschmerz und trigeminoautonome Kopfschmerzen“ stattgefunden hat.

Zudem fehlt es für einen Therapieversuch mit Cannaboiden bei Cluster-Kopfschmerzen an einer ausreichenden Datenlage, die für eine Wirksamkeit spricht. Gemäß § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 SGB V muss eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome bestehen. Für die symptomatische Behandlung von Cluster-Kopfschmerzen fehlt es nach derzeitigem Ermittlungsstand an in dem dargelegten Sinne ausreichenden Indizien, dass durch den Einsatz von Medizinal-Cannabisblüten ein therapeutischer Erfolg zumindest möglich erscheint. Das LSG nimmt insofern Bezug auf den MDK-Gutachter.

(Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde des Patienten gegen diese Entscheidung mit Beschluß vom 26.06.2018 (1 BvR 733/18) nicht zur Entscheidung angenommen, weil keine Grundrechtsverletzung vorliege.)

Praxisanmerkung:

Die Verordnung von Cannabis auf Rezept bleibt ein heikles und schwieriges Unterfangen. Wichtig für den behandelnden Arzt ist, dass es nach derzeitiger Studienlage keine Evidenz für eine Wirksamkeit von Cannabisblüten zur Behandlung von Cluster-Kopfschmerzen gibt.

Wer Cannabis verordnen will, muss auch dokumentieren, warum andere Medikamente oder Behandlungen keinen Erfolg gezeigt haben oder wegen der Nebenwirkungen nicht angezeigt sind. Er sollte den Patienten überdies auf das Risiko hinweisen, dass die Kasse die Kosten nicht übernimmt und dies auch mit knappen Worten dokumentieren.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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