Arzt klärt Patient auf(8.2.2023) Der Arzt ist nicht verpflichtet, dem Patienten nach dem Aufklärungsgespräch über die Risiken einer Operation eine bestimmte Bedenkzeit einzuräumen, bevor dieser in die Behandlung einwilligt (Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.12.2022 - VI ZR 375/21).

Der Fall:

Wegen anhaltender Ohrenbeschwerden empfahl der behandelnde Hals-Nasen-Ohrenarzt seinem Patienten eine operative stationäre Behandlung. Zu diesem Zwecke suchte der Patient das Krankenhaus der Beklagten auf. Dort wurde eine Operation zuerst der Nase geplant. Die Ärztin A. führte ein Aufklärungsgespräch mit dem Patienten durch. Dabei erläuterte sie ihm die erheblichen Risiken der Operation. 

Auf Bitten der Ärztin A. unterschrieb der Patient seine Einverständniserklärung betreffend die streitgegenständliche Operation sogleich im Anschluss an dieses Gespräch. 

Drei Tage später wurde der Patient in dem Krankenhaus der Beklagten aufgenommen und an der Nase operiert. Bei der Operation erlitt der Patient Verletzungen der Hirnhaut, der vorderen Hirnschlagader und der linke Riechnerv wurde durchtrennt.

Mit seiner auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld gerichteten Klage machte der Patient neben Behandlungsfehlervorwürfen auch geltend, er sei nicht richtig aufgeklärt worden. Insbesondere habe man ihm nicht hinreichend Bedenkzeit eingeräumt vor der Erteilung seiner Einwilligung.

Das Landgericht wies die Klage als unbegründet zurück. Der Patient legte Berufung zum Oberlandesgericht Bremen ein. 

Das Oberlandesgericht bejahte einen Aufklärungsfehler, weil das Krankenhaus dem Patienten keine hinreichende Bedenkzeit nach § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB eingeräumt habe. Danach muss die Aufklärung des Patienten "so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung wohlüberlegt treffen kann". Wenn ein Krankenhaus aus organisatorischen Gründen die Übung habe, den Patienten unmittelbar im Anschluss an die Aufklärung zur Unterschrift unter die Einwilligungserklärung zu bewegen, könne in einem solchen Fall nicht von einer wohl überlegten Entscheidung ausgegangen werden, so das Oberlandesgericht. Diese Einwilligung werde vielmehr unter dem Eindruck einer großen Fülle von dem Patienten regelmäßig unbekannten und schwer verständlichen Informationen und in einer persönlich schwierigen Situation abgegeben. Die Ärztin A habe den Patienten unmittelbar nach dem Aufklärungsgespräch gebeten, die Einwilligungserklärung zu unterschreiben. Damit sei dem Patienten die bereits nach dem Wortlaut des § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB vorgesehene (Wohl-) Überlegungszeit nicht eingeräumt worden, weshalb die Einwilligung unwirksam sei.

Gegen dieses Urteil legte nun das beklagte Krankenhaus Revision zum Bundesgerichtshof ein.

Die Entscheidung:

Der Bundesgerichtshof gab der Revision statt, verneinte einen Aufklärungsfehler und verwies die Sache an das Oberlandesgericht zurück, damit dieses prüfe, ob ein Behandlungsfehler vorliege.

Anders als das Oberlandesgericht vermochte der BGH keinen Aufklärungsfehler zu erkennen. Grund: § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB sehe keine vor der Einwilligung einzuhaltende "Sperrfrist" vor, deren Nichteinhaltung zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen würde; diese Vorschrift enthalte kein Erfordernis, wonach zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müsste. Vielmehr sei es Sache des Patienten, wann er - nach entsprechender Aufklärung durch den Arzt - er sich für oder gegen eine Behandlkung entscheide. Er könne die Einwilligung also auch direkt nach der Aufklärung erteilen. Wünsche er dagegen noch eine Bedenkzeit, so könne von ihm grundsätzlich erwartet werden, dass er dies gegenüber dem Arzt zum Ausdruck bringe und von der Erteilung einer - etwa im Anschluss an das Gespräch erbetenen - Einwilligung zunächst absehe. Eine andere Beurteilung sei - sofern medizinisch vertretbar - allerdings dann geboten, wenn für den Arzt erkennbare konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass der Patient noch Zeit für seine Entscheidung benötige.

Praxisanmerkung:

Drängt der Arzt dagegen den Patienten aktiv, sogleich eine Einwilligung zu erteilen, obgleich eine sofortige Behandlung nicht medizinisch erforderlich ist, so kann der Patient seine Entscheidung nicht wohlüberlegt treffen - dann kann die Einwilligung fehlerhaft sein. Der Arzt sollte es also vermeiden, hier Druck auszuüben. 

Allgemein gilt, dass eine Aufklärung zum Beispiel am Abend vor einer Operation nicht mehr rechtzeitig ist (von Notfällen abgesehen). Nicht rechtzeitig ist es auch, wenn ein Patient bereits in ein Behandlungsgeschehen eingegliedert ist und zum Beispiel schon einzelne Behandlungsmaßnahmen erhalten hat und dann erst über die Risiken einer noch erfolgenden Operation aufgeklärt wird - In einer solchen Situation kann sich der Patient in der Regel nicht mehr frei gegen die Operation entscheiden.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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