MRT des Kopfes - hier übersah der Radiologe etwas(19.10.2023) Wird ein Patienten mit Kopfschmerzen an einen Radiologen zum MRT überwiesen, so darf der Radiologe auch vor einem sichtbaren Nebenbefund außerhalt des Gehirnschädels (hier: im Ohrgang) nicht die Augen verschließen. Auch wenn er in medizinischer Sicht nicht selbst verpflichtet ist, diesen Zufallsbefund abzuklären, hat er den Befund im Arztbrief an den überweisenden Behandler aufzunehmen. Übersieht der Radiologe diesen erkennbaren Nebenbefund, stellt dies einen Diagnosefehler dar. Die Arzthaftungsklage des Patienten wurde letztlich aber abgewiesen, weil es dem Patienten nicht gelang, nachzuweisen, dass sein Gesundheitsschaden gerade auf diesem Fehler des Radiologen beruhte (Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 10.10.2023 - 4 U 634/23).

Der Fall:

Wegen andauernder Kopfschmerzen suchte der Kläger seinen Hausarzt auf, der ihn zu einem Radiologen zum MRT überwies, um die Ursache abklären zu lassen. Das beklagte MVZ ließ durch seinen Radiologen am 20.5.2014 ein MRT des Schädels erstellen "zur Abklärung der Kopfschmerzen". Der Radiologe bewertete den Befund als altersentsprechend und unauffällig (wie der Gerichtssachverständige später feststellte, war auf dem MRT aber in der linken Felsenbeinspitze sowie im linken Mastoid eine diskrete Signalalteration erkennbar sei, die weite Teile des Innenohres einschließlich der Cochlea und der Bogengänge betraf). Wegen Schwindels, Kopfschmerzen und Ohrdruck suchte der Kläger eine HNO-Ärztin auf, die am 14.9.2015 ein CT fertigte, das ein Perlgeschwulst des Ohres (Cholesteatom) zeigte. Nach dessen operativer Entfernung litt der Kläger unter Lähmungen im Gesicht. Der Kläger warf dem Radiologen vor, er habe grob fehlerhaft den erkennbaren Befund übersehen. Durch die Verzögerung der Behandlung sei das Geschwulst weiter gewachsen, was bei rechtzeitiger Diagnose und Behandlung vermieden worden wäre. Er klage auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Das Landgericht wies die Klage als unbegründet ab - zwar bestehe ein einfacher Behandlungsfehler des Radiologen, das Gericht konnte aber nicht feststellen, dass dieser Fehler für den Schaden ursächlich sei. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Die Entscheidung:

Das Oberlandesgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Es liege zwar ein einfacher Diagnoseirrtum vor, dem Kläger sei jedoch der Beweis für die Kausalität der zeitlichen Verzögerung der Behandlung für den eingetretenen Schaden nicht gelungen. 

Der Radiologe, dem ein Patient mit einer bestimmten Fragestellung zur weiteren Untersuchung überwiesen wird, könne sich nicht auf den Auftragsumfang beschränken. Aufgrund der ihm gegenüber dem Patienten obliegenden Fürsorgepflicht habe er für die Auswertung eines Befundes all die Auffälligkeiten zur Kenntnis und zum Anlass für gebotene Maßnahmen zu nehmen, die er aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereiches unter Berücksichtigung der in seinem Fachbereich vorausgesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten sowie der Behandlungssituation feststellen müsse. Vor in diesem Sinne für ihn erkennbaren „Zufallsbefunden“ dürfe er nicht die Augen verschließen. Vorliegend sei ein solcher Zufallsbefund auf den von erstellten MRT-Sequenzen zu sehen. Zwar hätte der Radiologe nicht selbst ein CT empfehlen müssen, weil die vorliegende Signalveränderung für das Vorliegen eines Cholesteatoms noch nicht hinreichend spezifisch sei. Als Nebenbefund könne die Beschreibung dieser Normabweichung aber für den eigentlichen Behandler, der seinen Patienten sowie dessen Beschwerdeproblematik besser kenne, ein entscheidender Hinweis sein. Werde dieser Befund nicht beschrieben, gehe der behandelnde Arzt indes vom Normalzustand aus, so dass eine weitere Abklärung unterbleibe. 

Ein (rechtlich schwerwiegenderer) Befunderhebunsfehler liege jedoch nicht vor. Ein solcher Befunderhebunsfehler sei nur gegeben, wenn eine Verpflichtung des Arztes bestand, den Nebenbefund, der sich außerhalb des Gehirnschädels befand, selbst zu bewerten oder weitere Befunderhebungen in eigener Zuständigkeit zu veranlassen. Dies war aber aus Sicht des Gerichtssachverständigen (dem sich das Gericht anschloss) aber nicht der Fall. 

Das Gericht bewertete den Fehler des Radiologen aber als einfachen Fehler, u.a. weil die Schädelbasis nicht vom Auftragsumfang (“Kopfschmerzen“) des Hausarztes umfasst gewesen sei. 

Bei einem einfachen Behandlungsfehler (hier: Diagnoseirrtum) habe der Patient zu beweisen, dass sein Gesundheitsschaden gerade auf dem Fehler beruhe. Dieser Beweis sei dem Kläger auch aus Sicht des Oberlandesgerichts nicht gelungen.

Praxisanmerkung:

Letztlich entscheidend war die Einschätzung des Gerichtsgutachters. Dessen Wertung, dass der Radiologe hier auch den Bereich außerhalb des Schädels hätte betrachten müssen (obgleich sich sein Auftrag auf das Schädelinnere bezog) und den "diskreten" Befund hätte erkennen sollen, ist aber kritisch zu hinterfragen: Wenn der Radiologe sich nicht auf den Auftragsumfang beschränken kann, wie weit soll dann seine Tätigkeit reichen? In der praktischen Umsetzung bereitet das Urteil dem Radiologen Probleme, weil sich unter Beachtung der hier dargestellten Anforderungen der Pflichtenkreis des Radiologen erweitert, ohne dass die zusätzliche Tätigkeit vergütet wird. Beruhigend für die Behandlungsseite ist allerdings, dass in solchen Fällen ein Befunderhebungsfehler (der die weitere Beweislast dem Arzt aufbürdet) in der Regel zu verneinen sein wird.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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