(23.8.2019) Verschreibt ein Hausarzt und Psychologe ohne vorherige fachärztliche Diagnose Methylphenidat (Ritalin) als Betäubungsmittel an seinen Patienten, so kann die zuständige Ordnungsbehörde Einischt in dessen Behandlungsunterlagen fordern, um die Einhaltung der Regeln des Betäubungsmittelgesetzes zu prüfen (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 04. Juli 2019 – 20 BV 18.68).

Einsicht in Behandlungsunterlagen des PatientenDer Fall:

Der Kläger ist Diplom-Psychologe und betreibt eine allgemeinmedizinische Praxis in München. Sein Sohn leidet nach seinen Angaben unter ADHS. Er verschrieb seinem Sohn Methylphenidat (Ritalin), das unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. 

Mit Schreiben der beklagten Ordnungsbehörde an den Kläger vom 26. August 2013 erklärte die Beklagte, dass sie Ermittlungen wegen des verschriebenen Rezeptes anstelle. Sie habe Anlass zur Überprüfung, ob die Verschreibung ärztlich begründet nach § 13 BtMG gewesen sei. Der Kläger solle Unterlagen, die die ärztliche Begründetheit der Verschreibung nachwiesen, bis zum 16. September 2013 bei der Beklagten vorlegen.

Der Kläger übersandte der Beklagten u.a. einen Facharztbrief des Zentrums für Neurologie/Psychiatrie vom 19. September 2013 über seinen Sohn. Die Übersendung der Behandlungsunterlagen  verweigerte der Kläger mit Hinweis auf seine ärztliche Schweigepflicht. 

Mit Bericht des internen Fachdienstes der Beklagten vom 23. Oktober 2013 wurde die Verschreibung von Methylphenidat (Ritalin) im vorliegenden Fall als unbegründet angesehen. Eine gesicherte fachärztliche Diagnose habe zum Zeitpunkt der Verschreibung des Betäubungsmittels nicht vorgelegen. Der Facharztbrief datiere erst nach den Verschreibungszeitpunkten.

In der Folgezeit stellte der Kläger weitere Rezepte für Ritalin, auch für andere Patienten, aus. 

Die beklagte Ordnungsbehörde verlangte die Übersendung von Patientenlisten und Behandlungsunterlagen betreffend dieser Fälle. 

Der klagende Arzt verweigerte die geforderte Einsicht in die Unterlagen. 

Die Beklagte erließ schließlich einen strafgeldbewehrten Bescheid, der den Kläger zur Vorlage der Behandlungsunterlagen verpflichtete. Dagegen klagte der Arzt. Das Verwaltungsgericht gab dem Kläger Recht.

Die Beklagte ging in Berufung.

Die Entscheidung:

Der VGH wies die Klage des Arztes gegen die Verpflichtung zur Herausgabe von Informationen ab:

Rechtsgrundlage der Ziffern I. 1. und I. 2.des angefochtenen Bescheids sind die § 22 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und § 24 Abs. 1 BtMG. Danach hat die zuständige Behörde die Befugnis zur Überwachung des Betäubungsmittelverkehrs. Gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 1 BtMG sind die mit der Überwachung beauftragten Personen befugt, Unterlagen über den Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung oder das der Herstellung folgende Inverkehrbringen ausgenommener Zubereitungen einzusehen und hieraus Abschriften oder Ablichtungen anzufertigen, soweit sie für die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen von Bedeutung sein können. Der Kläger verschreibt als Arzt die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel im Rahmen einer ärztlichen Behandlung. Damit nimmt er am Betäubungsmittelverkehr teil.

Die in § 24 BtMG vorgeschreibene Mitwirkungspflicht des Arztes und der Umstand, dass die zuständige Behörde nach § 22 Abs. 2 BtMG auch Maßnahmen gemäß Absatz 1 Nr. 1 auf schriftlichem Wege anordnen kann, sprechen dafür, dass der Kläger auch zur Übersendung der Unterlagen verpflichtet werden kann.

Einer konkreten Gefahr bedarf es dabei nicht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erlaubt Eingriffe in die Recht des Arztes nur, wenn sie anlassbezogen sind. 

Im vorliegenden Fall handelt sich nicht um eine reine Routine- oder Stichprobenkontrolle, sondern um eine anlassbezogene Kontrolle. Für anlassbezogene Kontrollen nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 BtMG sind Anhaltspunkte notwendig, welche auf einen möglichen Verstoß gegen § 13 BtMG hindeuten. Hier liegen solche besondere Anhaltspunkte vor, welche die von der Beklagten getroffene Anordnung im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtfertigen. Der Kläger hat ohne vorherige fachärztliche Diagnose Methylphenidat als Betäubungsmittel verschrieben - dies stellt eine Indiztatsache dar, welche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Handelns des Klägers begründen kann.

Zudem hat der Kläger mehreren Patienten Ritalin verschrieben. Nach der interdisziplinären evidenz- und konsensbasierten (S3) Leitlinie „Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitatsstorung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter“ (AWMF-Registernummer 028-045 S. 11 Nr. 1.1.2, Stand: 2.5.2017, gültig bis 1.5.) sollte bei Erwachsenen die diagnostische Abklärung von ADHS durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Neurologie, Facharzt für psychosomatische Medizin oder durch ärztliche oder psychologische Psychotherapeuten vorgenommen werden. Der Kläger ist hingegen praktischer Arzt und Psychologe, so dass auch fraglich ist, ob solch eine fachlich empfohlene Diagnose bei den im Bescheid benannten Personen erfolgt ist.

Praxishinweis: 

Bei der Verschreibung von Betäubungsmitteln sollte der Arzt den Grund für die Verschreibung gut dokumentieren. Er sollte auch Behandlungsunterlagen auf entsprechende schriftliche Anforderung der Ordnungsbehörde herausgeben. Wie das vorliegende Urteil zeigt, ist er dazu verpflichtet, wenn er fachfremd Medikamente verschreibt. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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