(17.7.2019) Ärzte klären Patienten selten zu viel auf, sie klären in der Regel eher zu wenig auf über Risiken und Folgen einer Behandlung. Der Bundesgerichtshof hat nun in einem aktuellen Fall die Untergrenze für die Aufklärung definiert und klar gemacht, was dem Arzt drohen kann, der noch nicht einmal die sog. "Grundaufklärung" leistet (BGH, Urteil vom 28.05.2019 - VI ZR 27/17). 

Arzt klärt Patient aufDer Fall: 

Wegen anhaltender Rückenschmerzen in der Lendenwirbelsäule, die als Nervenwurzelsyndrom S 1 links eingeordnet wurden, ließ sich eine Frau in der beklagten Klinik behandlen. Es wurde eine Spritzentherapie verordnet. Eine Aufklärung über Folgen und Risiken dieser Behandlung bekam die Patientin nicht.

Die Spritzenbehandlung verlief zuerst ohne Probleme. Bei einer weiteren Spritzenbehandlung erhielt die Patientin präsakral 40 ml Meaverin (ein Lokalanästhetikum) und 20 mg Triamcinolon (ein synthetisches Glukokortikoid). Schon bei der Verabreichung der Spritze hatte die Patientin starke Schmerzen.

Seit diesem Zeitpunkt leidet sie unter Myoklonien (unwillkürliche Kontraktionen von Muskeln). Sie musste sich mehrfachen, auch stationären, Behandlungen unterziehen und ist aufgrund ihrer Erkrankung arbeitsunfähig und in weiten Teilen ihrer Lebensführung eingeschränkt.

Die Entscheidung:

Der Bundesgerichtshof hatte nun über die Frage zu entscheiden, ob der behandelnde Arzt (neben Behandlungsfehlern, die gerichtlich festgestellt worden waren) die Patientin mangelhaft aufgeklärt hat (Aufklärungsfehler). 

Der BGH arbeitete heraus, dass die unwillkürlichen Muskelzuckungen, unter denen die Patientin seit der Behandlung litt, kein spezifisches Risiko der Spritzenbehandlung ist, über das der Arzt sie aufklären musste.

An sich wäre der Arzt damit vom Aufklärungsfehlervorwurf entlastet gewesen. Denn über das Auftreten von Muskelzuckungen nach der Spritzenbehandlung des Rückens musste er sie nicht aufklären. 

Aber: Der Arzt klärte sie nicht auf über das größte Risiko dieser Spritzenbehandlung auf: der Patient kann dadurch im schlimmsten Fall eine Meningitis (Hirnhautentzündung, kann tödlich verlaufen oder schwere Schäden hinterlassen) erleiden. Aber grundsätzlich haftet der Arzt nicht, der einen Patienten nicht über ein bestimmtes aufklärungspflichtiges Risiko aufklärte, wenn sich eben dieses Risiko nicht verwirklichte. Somit wäre der Arzt wiederum entlastet worden, weil es hier ja nicht zu einer Meningitis kam.

Nun wies der BGH aber darauf hin, dass der Arzt die Patientin gar nicht über Folgen und Risiken der Spritzenbehandlung aufgeklärt hatte. Dies wurde dem Arzt zum Verhängnis: Die vorgenannte Ausnahme von der Haftung (Nichtaufklärung über das größte Risiko schadet nicht, wenn sich dieses Risiko gar nicht verwirklicht) greift nur ein, wenn der Arzt den Patienten zumindest grundsätzlich über die Art und Schwere des Eingriffs aufklärte und das schwerte Risiko mitteilte (sog. "Grundaufklärung") und sich das tatsächlich verwirklichte Risiko noch im Rahmen des mitgeteilten Grundrisikos hält. Da hier gar keine Aufklärung erfolgte, griff diese Entlastung des Arztes also nicht ein und der BGH bejahte schlußendlich einen Aufklärungsfehler.

Praxisanmerkung:

Zur Verdeutlichung der Problematik ein Beispiel aus der Praxis:

Patient mit Rückenschmerzen erhält Röntgenuntersuchung der Wirbelsäule mit Kontrastmittel (Myelographie), bei der anerkanntermaßen schlimmstenfalls eine Querschnittslähmung eintreten kann. Es erfolgt aber keine Aufklärung über dieses schwerste Risiko (also keine Grundaufklärung). Nun kommt es zu einem Krampfanfall. Da dieser Krampfanfall nicht typisches Risiko der Myelographie ist, musste daraüber an sich nicht aufgeklärt werden, weil aber keine Grundaufklärung vorlag, haftete der Arzt am Ende doch wegen eines Aufklärungsfehlers (vgl. Bundesgerichtshof, Urt. v. 14.11.1995, Az.: VI ZR 359/94). 

Untergrenze der Aufklärung ist damit die mündliche, rechtzeitige, durchaus auch kurze und knappe Erläuterung des Ablaufs der Diagnose, der Behandlung, der wesentlichen Folgen und Risiken eines medizinischen Eingriffs und des Verlaufs. Der Patient kann dann weiterführende Fragen stellen. 

Die Grundaufklärung stellt dagegen eine unvollständige Form der Aufklärung dar. Sie ist keine vollständige und ordnungsgemäße Risikoaufklärung - vielmehr bleibt diese Aufklärung unvollständig und damit fehlerhaft. 

Nur die ordnungsgemäße Aufklärung entlastet den Arzt von einem Aufklärungsfehlervorwurf.

Es bildet sich damit folgendes Stufenverhältnis:

  1. keine Aufklärung

    = Haftung des Arztes - und keine Entlastung wegen "Nichtaufklärung über das größte Risiko schadet nicht, wenn sich dieses Risiko gar nicht verwirklicht"

  2. Grundaufklärung (auch Basisaufklärung genannt):

    kurze Erläuterung von Art und Schwere des Eingriffs unter Nennung (nur) des schwersten damit verbundenen Risikos

    = Grundaufklärung kann Arzt entlasten, soweit "Nichtaufklärung über das größte Risiko schadet nicht, wenn sich dieses Risiko gar nicht verwirklicht" 

  3. ordnungsgemäße (volle) Aufklärung (Diagnoseaufklärung und Behandlungsaufklärung und Risikoaufklärung sowie Verlaufsaufklärung)

    = keine Haftung des Arztes

Der sicherste Weg ist eine mündliche Aufklärung, für die sich der Arzt etwas Zeit nehmen muss, auch wenn er sie oft nicht zu haben glaubt. Aufklärungsbögen unterstützten die mündliche Aufklärung und helfen beim Nachweis, soweit der Arzt dort auch individuelle Vermerke eingefügt hat. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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