(13.6.2019) Inzwischen seien ärztliche Fernbehandlungen nach der Musterberufsordnung der Ärzte erlaubt, schreibt die FAZ im Zusammenhang mit dem Start der ärztlichen Plattform zavamed.com, die mit "Ihr Arzt im Netz" wirbt. Ob das so stimmt, soll hier hinterfragt werden.

Fernbehandlung online oder per Telekommunikationsmedien - nun erlaubt?Fernbehandlung ist in aller Munde. Die Idee, Patienten einfach und zeitsparend aus der Ferne zu behandeln und mit Medikamenten zu versorgen, erscheint bestechend und zudem lukrativ, muss der Online-Arzt doch keine Praxis vorhalten. Auch könnten so im Idealfall Patienten in strukturschwachen Regionenen oder immobile Patienten ärztlich versorgt werden. Dies könnte einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung des Ärztemangels z.B. auf dem Land liefern. Fernbehandelnde Ärzte stellen aber auch eine Konkurrenz für die niedergelassenen Ärzte dar. 

Tatsächlich ist zum 18.12.2018 auch die Regelung in der Berufsordnung der Ärzte (MBO-Ä) bezüglich der Fernbehandlung liberalisiert worden. Ist damit die ärztliche Fernbehandlung "erlaubt"?

§ 7 Abs. 4 der Musterberufsordung für Ärzte lautet nun:

Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.

Der erste Satz der Vorschrift beinhaltet (nach wie vor) das grundsätzliche Fernbehandlungsverbot. Es ist laut dem 2. Satz erlaubt, Kommunikationsmedien zur Unterstützung der klassischen Behandlung einzusetzen - die klassische Behandlung ist diejenige, bei der der Arzt den Patienten in der Praxis oder Klinik oder bei einem Hausbesuch sieht und selbst untersucht. Es ist also kein Problem, wenn der Arzt den Patienten an einem Tag in der Praxis untersucht und dann an einem weiteren Tag - aufbauend auf diese Untersuchung - nach telemmedizinischer Besprechung mit dem Patienten z.B. ein Rezept ausstellt, das der Patient dann nur noch abholt und einlöst. Denn der Arzt "kennt" den Patienten ja bereits. 

Satz 3 erlaubt "im Einzelfall" eine reine telemedizinische Behandlung (bzw. fernbehandlung), wenn dies ärztlich vertretbar ist. Die Betonung liegt hier aber auf "im Einzelfall". Dies stellt also den Ausnahmefall dar. Meines Erachtens ist die reine Fernbehandlung daher nur ärztlich vertretbar, wenn der Arzt bei der telemedizinischen Befragung des Patienten sicherstellen kann, dass er nichts übersieht. Und hier stellt sich das wesentliche Problem der Fernbehandlung: Der Arzt sieht den Patienten nicht. Ihm fehlt der klinische Eindruck, das "Gesamtbild" des körperlichen Zustandes. Wie geht der Patient? Wie steht er, wie atmet er, wie sehen seine Haut, seine Zunge, seine Augen aus? Wie soll er also ausschließen, dass der Patient, der z.B. meint, Asthma zu haben, nicht tatsächlich unter einer ernsthaften Lungenentzündung leidet? Oder dass sein Husten nicht vielmehr auf einer Vergiftung beruht? Wie kann der Arzt sicher wissen, dass der Patient "nur" Asthma hat? Wie kann er beurteilen, ob ein einmal verordnetes Medikament in der Dosis angepasst werden muss, um Nebenwirkungen zu mindern oder die Wirkung sicher zu stellen? Hier hat die in Satz 3 benannte "ärztliche Sorgfalt" besonderes Gewicht: Der Arzt muss eine Befunderhebung "sorgfältig" durchführen. Ohne klinischen Eindruck ist eine sorgfältige Behandlung aber nicht möglich.  

In der Synopse (Zusammenschau) zu der MBO-Ä heißt es auch: "Telemedizinische Primärarztmodelle sind dabei zu vermeiden". Der erste Arzt-Patienten-Kontakt soll also körperlich erfolgen - der Arzt soll den Patienten sehen. Und weiter heißt es in der Synopse: "Danach dürfen Ärztinnen und Ärzte unterstützend über Kommunikationsmedien ärztlich beraten und behandeln, soweit mindestens einer oder einem an der Behandlung beteiligten Ärztin oder Arzt die Patientin oder der Patient sowie der krankhafte Zustand bzw. die Beschwerden aufgrund einer persönlichen Untersuchung bekannt sind". Mit anderen Worten soll die telemedizinische Untersuchung auf den klinischen Eindruck "unterstützend" aufbauen, den ein Arzt bereits in einer persönlichen Untersuchung gewonnen hat. In der Synopse wird klar gestellt: "Digitale Techniken können und sollen die ärztliche Tätigkeit unterstützen, sie dürfen aber die notwendige persönliche Zuwendung von Ärztinnen und Ärzten nicht ersetzen."

Überdies muss der fernbehandelnde Arzt den Patienten über die Besonderheiten der Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien "aufklären". Was dies genau beinhaltet, ist noch nicht geklärt. Es ist davon auszugehen, dass der Arzt dem Patienten mitteilen muss, dass seine Erkenntnismöglichkeiten eingeschränkt sind und dass damit das Risiko besteht, dass der Arzt bisher unbekannte Erkrankungen übersieht. Und dieser Hinweis müsste so prominent gestaltet werden, dass der Patient ihn nicht überliest. Ob Patienten, die ordnungsgemäß über dieses Risiko aufgeklärt worden sind, sich dann noch für eine reine Online-Behandlung entscheiden, ist mehr als fraglich. 

Fazit:

Reine Online-Behandlungen bleiben verboten. Mit ihnen setzte der Arzt den Patienten gesundheitlichen Risiken aus. Auch setzte sich der Arzt damit Arzthaftungsrisiken aus. Auch Angebote, bei denen sich der Patient nach Ausfüllen eines Online-Fragebogens z.B. ein Folgerezept für ein Medikament holt, sind kritisch zu sehen. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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