(2.4.2019) Der Bundesgerichtshof sieht keinen Grund für eine Haftung des Arztes, der lebensverlängernde Maßnahmen bei einem an starker Demenz erkrankten und bewegungsunfähigen Patienten ergreift, auch wenn diese Schmerzen und Leiden hervorrufen (z.B. Krämpfe, offene Wunden durch Druckgeschwüre etc.) und hat eine Haftungsklage der Hinterbliebenen des Patienten abgewiesen (Bundesgerichtshof, Urteil vom 2. April 2019 - VI ZR 13/18).  

intensive Betreuung eines dezenten Patienten in einer KlinikDas Oberlandesgericht München verurteilte 2017 die Klinik zur Zahlung eines Schmerzensgeldes mit folgender Begründung: 

Ist der Patient wegen finaler Demenz nicht mehr in der Lage, über seine Behandlung zu entscheiden und leidet der Patient seit längerem an offenen Wunden (Dekubiti) und anderen schweren Erkrankungen, so muss der Behandelnde mit dem Betreuer des Patienten besprechen, ob die Sondenernährung fortgeführt oder nun eine rein palliative, sterbebegleitende Behandlung begonnen wird mit der Folge eines alsbaldigen Todes des Patienten. Der Wille des Patienten war hier wegen dessen demenzieller Erkrankung nicht mehr feststellbar und er hatte auch keine Patientenverfügung hinterlassen. Hat der Arzt dies nicht mit dem Betreuer vertieft erörtert, so haftet er den Erben auf Schmerzensgeld wegen des durch die Fortführung der Behandlung und die dabei erlittenen Schmerzen des Patienten. Denn der Arzt ist nach § 1901 b Abs. 1 BGB verpflichtet zur umfassenden Information des Betreuers des Patienten. Musste der Patient über einen Zeitraum von ca. 21 Monaten bis zum Eintritt des Todes massive gesundheitliche Beeinträchtigungen (insbesondere Dekubiti, Krämpfe, Fieber, Schmerzen, Atembeschwerden, Pneumonien, Gallenblasenentzündung) durchleiden, so ist dafür ein Schmerzensgeld von EUR 40.000 angemessen (Oberlandesgericht München, Urteil vom 21. Dezember 2017 – 1 U 454/17).

Die Klinik legte Revision ein und hat nun vom BGH Recht bekommen:

Weiterleben ist kein "Schaden"

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die Revision des beklagten Klinikträgers das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zu. Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte Pflichten verletzt hat. Denn jedenfalls fehlt es an einem immateriellen Schaden. Hier steht der durch die künstliche Ernährung ermöglichte Zustand des Weiterlebens mit krankheitsbedingten Leiden dem Zustand gegenüber, wie er bei Abbruch der künstlichen Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod. Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Auch wenn ein Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten mag mit der Folge, dass eine lebenserhaltende Maßnahme gegen seinen Willen zu unterbleiben hat, verbietet die Verfassungsordnung aller staatlichen Gewalt einschließlich der Rechtsprechung ein solches Urteil über das Leben des betroffenen Patienten mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden.

Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Ersatz der durch das Weiterleben des Patienten bedingten Behandlungs- und Pflegeaufwendungen zu. Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen ist es nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere dienen diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten (Quelle: Pressemitteilung des BGH).

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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