(2.3.2019) Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft entspricht die Verwendung von Amalgam weiterhin den Regeln der zahnärztlichen Kunst. Es ist auch nicht fehlerhaft, wenn der Zahnarzt bei der Entfernung einer alten Amalgam-Füllung ausnahmsweise kein Kofferraum verwendet hat, weil ein schwieriger Zugang zum Zahn vorlag, so dass eine regelgerechte Anlage von Kofferdam zweifelhaft erschien (Landgericht Aachen, Urteil vom 22. März 2018 – 11 O 97/16 –, juris).

Zähne eines PatientenDer Fall:

Die klagende Patientin nimmt den beklagten Zahnarzt wegen einer angeblich behandlungsfehlerhaften zahnärztlichen Behandlung auf Schmerzensgeld in Anspruch.

Zahn 38 der Patientin wies eine gebrochene zweiflächige Amalgamfüllung fest, die der beklagte Zahnarzt unter Einsatz von zwei Saugern entfernte und durch eine Kunststofffüllung ersetzte. Zudem erfolgte an Zahn 38 eine Behandlung des dort vorhandenen caries profunda (cp). Die gesamte Behandlung des Zahnes 38 erfolgte ohne Kofferdam, bei dem es sich um eine Vorrichtung zur Abschirmung des behandelten Zahnes handelt. Nach der Behandlung hatte die Klägerin Gelegenheit, ihren Mund auszuspülen und Reste auszuspucken.

Die Klägerin warf dem Beklagten u.a. vor, er habe beim Aufbohren behandlungsfehlerhaft unsorgfältig gehandelt. Es habe ein Kofferdam bei der Klägerin verwendet werden müssen, um die Aufnahme giftiger Substanzen beim Aufbohren der Amalgamfüllung zu vermeiden. Bei der Behandlung sei es zu einer Amalgam- bzw. Quecksilbervergiftung gekommen. Die Klägerin habe am 28.10.2018 schwarz-silberne Amalgamstücke ausgespuckt. Seit dem 29.10.2011 hätten sich zunehmend massive körperliche Beeinträchtigung gezeigt. Die Klägerin habe unter geschwollenen Gliedmaßen und Gesicht, starkem Husten, erheblichen Bewegungseinschränkungen, starken krampfartigen Schmerzen im Brustkorb sowie Taubheitsgefühlen in Fingern und Füßen gelitten. Sie bedürfe der Pflege bei einem Grad der Behinderung von 100%.

Die Entscheidung:

Das Landgericht wies die Klage der Patientin auf Zahlung von 50.000 EUR Schmerzensgeld als unbegründet ab.

Der medizinische Sachverständige führte unter Hinweis u.a. auf medizinische Studien aus, dass die Verwendung von Amalgam weiterhin dem medizinischen Standard entspricht. Dem schloss sich dem Landgericht an.

Dass ausnahmsweise keine Abschirmung des Mundraumes (Kofferdam) verwendet wurde, sah das Gericht ebenfalls nicht als Fehler an. denn der behandelte Weisheitszahn 38 wies eine weit distale Lage auf und der zu sanierende Defekt des Zahns reichte ausweislich der Röntgenbilder sehr weit interdental in den unter dem Zahnfleisch liegenden Wurzelbereich des Zahnes. Aus technischen Gründen war daher eine regelgerechte Anwendung des Kofferdam mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich.

Praxisanmerkung:

Es ist nicht fehlerhaft, wenn der Zahnarzt in Ausnahmefällen keinen Kofferdam verwendet, soweit er dies - am besten ordentlich dokumentiert - anhand der anatomischen Lage begründen kann.

Amalgam kann weiterhin verwendet werden. In der Regel weist die Rechtsprechung Klagen gegen die Verwendung von Amalgam ab.

Update 2021: 

Durch die EU-Quecksilber-Verordnung vom 17.05.2017 ist der Umgang mit Quecksilber in der EU seit 2018 neu geregelt. Die Verordnung schränkt die Verwendung von Amalgam bei bestimmten Risikogruppen ein. So darf Amalgam seit dem 01.07.2018 nicht mehr bei der zahnärztlichen Behandlung von Milchzähnen, von Kindern unter 15 Jahren und von Schwangeren oder Stillenden verwendet werden, „es sei denn, der Zahnarzt erachtet eine solche Behandlung wegen der spezifischen medizinischen Erfordernisse bei dem jeweiligen Patienten als zwingend notwendig“ (vgl. hierzu die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis90/Die Grünen in BT-Drs. 19/3429, S. 8, zu Nr. 12). Ab dem 01.01.2019 darf Dentalamalgam nur noch in vordosierter, verkapselter Form verwendet werden. Die Verwendung von Quecksilber in loser Form durch Zahnärzte ist dann verboten. Zudem müssen Betreiber zahnmedizinischer Einrichtungen, in denen Dentalamalgam verwendet wird oder Dentalamalgamfüllungen bzw. Zähne mit solchen Füllungen entfernt werden, sicherstellen, dass sie mit Amalgamabscheidern zur Rückhaltung und Sammlung von Amalgampartikeln, auch von im Abwasser enthaltenen Partikeln, ausgestattet sind (Kerber, jurisPR-MedizinR 7/2020 Anm. 1).

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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