(30.1.2018) Eine Urologin scheiterte mit dem Versuch, eine therapeutische Behandlung von Blasenfunktionsstörungen durch transurethrale Injektion von Botox in die Blase nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung der Patientin abzurechnen. Das Landessozialgericht NRW wies die GOÄ-Abrechnung der Urologin zurück und legt Vertragsärzten, die mit der Höhe der gesetzlichen Gebühren unzufrieden sind, nahe, ihre Zulassungen zurück zu geben (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Dezember 2017 – L 11 KR 95/17).

GOÄ 1802 Eingriffe in die HarnblaseDer Fall:

Die 1936 geborene Klägerin ist Mitglied der beklagten gesetzlichen Krankenversicherung. Sie leidet seit längerer Zeit an massiver Urininkontinenz in Form einer idiopathisch überaktiven Blase.

2014 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme einer Therapie von Blasenfunktionsstörungen mit Botox durch die klagende, in eigener Praxis niedergelassene Urologin. Nach einer dem Antrag beigefügten Rechnung für "Mustermann" nach der GOÄ sollten die Kosten für die begehrte Behandlung insgesamt 245,50 EUR betragen. Aus der Musterrechnung ergab sich u.a. die Abrechnungsposition nach Ziff. 1802 GOÄ, "Transurethrale Eingriffe i.d. Harnblase, besonders schwieriger Operationssitus, mehrfache Injektionen im Abstand von 1 cm in den Austreibermuskel der Harnblase". Dem Antrag war ein erläuterndes Begleitschreiben beigefügt. Unter anderem wird zum Ablauf der Behandlung dort ausgeführt:

"Nach der Gabe eines Lokalanästhetikums ist die Blase zu entleeren und mit steriler Kochsalzlösung auszuspülen. Generell wird die Blase mit ausreichend Kochsalzlösung gefüllt, um eine adäquate Visualisierung für die Injektionen zu gewährleisten.( ...) Die rekonstituierte Injektionslösung wird mithilfe eines flexiblen oder starren Zytoskops in den Musculus detrusor vesciae (Austreibermuskel der Harnblase) injiziert. ( ...) Es erfolgen insgesamt 20 Injektionen im Abstand von ca. 1 cm. ( ...) Innerhalb der von Urologen abrechenbaren EBM-Ziffern gibt es keine eigenständige Abrechnungsziffer für transutherale Injektionen der Harnblasenmuskulatur. Stattdessen unterfallen die aufwändigen Injektionen als intramuskuläre Injektionen dem Anhang 1 zum EBM. Dort sind all jene Leistungen aufgeführt, die nicht gesondert berechnungsfähig sind. ( ...)".

Mit Bescheid vom 17.03.2014 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme ab. Zur Begründung verwies sie darauf, dass die begehrte Leistung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung bei medizinischer Notwendigkeit über die Nutzung der Krankenversichertenkarte zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung gewährt werde. Einer gesonderten Antragsstellung bedürfe es nicht. Eine zusätzliche Vergütung nach der GOÄ komme leistungsrechtlich nicht in Betracht.

Die Entscheidung:

Auch das LSG gab der beklagten Krankenversicherung Recht und wies die Klage der Patientin auf Kostenübernahme zurück. Werde eine Leistung von dem EBM umfasst, so könne sie nicht privat abgerechnet werden.

Die Ärztin habe selbst eingeräumt, dass die Injektion von den Regelungen des EBM erfasst wird. Dies sei auch richtig: Nach der Anlage 1 zum EBM sei die "Injektion, intrakutan, subkutan, submukös, subkonjunktival oder intramuskulär" in der Grundpauschale enthalten (EBM 26310 bzw. 26311). Von diesem Wortlaut sei die Injektion in den Austreibermuskel der Harnblase umfasst, denn es handele sich um eine intramuskuläre Injektion. Die Ärztin könne daher keine gesonderte Vergütung nach GOÄ verlangen.

Den Hinweis der Ärztin, die Einzelleistung werde über die Grundpauschale des EBM unzureichend honoriert, sieht das LSG nicht als hinreichenden Grund an, den Versicherten gesetzlich vorgesehene Leistungen nur per GOÄ-Privatrechnung und somit außerhalb des Systems der vertragsärztlichen Versorgung zukommen zu lassen. Auf die von Vertragsärzten vorgetragene Behauptung der nicht kostendeckenden Honorierung bestimmter Leistungen könne es schon deshalb nicht ankommen, weil die Kostendeckung von einer Vielzahl von Faktoren abhänge, von denen einige von ihnen selbst zu beeinflussen sind (z.B. die Kostenstruktur und der Standort der Praxis, die Qualität des Dienstleistungsangebotes u.a.). Wie das Bundessozialgericht wiederholt betont habe, liege dem Zuschnitt der vertragsärztlichen Vergütung insgesamt eine "Mischkalkulation" zugrunde. Dies bedeutete, dass es durchaus Leistungen geben könne, bei denen selbst für eine kostengünstig organisierte Praxis kein Gewinn zu erzielen sei. Entscheidend sei nämlich, dass der Vertragsarzt insgesamt Anspruch auf eine leistungsgerechte Teilhabe an der Gesamtvergütung habe, der in aller Regel dazu führe, dass das aus der vertragsärztlichen Tätigkeit erzielbare Einkommen Ärzten hinreichenden Anreiz biete, an der vertragsärztlichen Versorgung mitzuwirken (BSG, Urteil vom 14.03.2001 - B 6 KA 54/00 R -). Dass der Vertragsarzt die Erfüllung seiner Behandlungspflichten von Erwägungen zur Höhe der Vergütung abhängig mache, solle mit dem Verbot des Verlangens von durch die Versicherten zu leistenden Zahlungen gerade unterbunden werden.

Ärzte, die die Vergütung im vertragsärztlichen Bereich teilweise oder generell für unzureichend hielten, mögen auf ihre Zulassung verzichten und ihre Dienstleistungen allein privatärztlich anbieten. Solange sie aber an der Vertragsarztzulassung festhielten, könne es aus Sicht des LSG keinem Zweifel unterliegen, dass sie auch die mit den Vorteilen der Einbindung in das Sondersystem korrespondierenden Verpflichtungen, vor allem die ihnen obliegende Behandlungspflicht, in systemkonformer Weise zu erfüllen haben (BSG, Urteil vom 14.03.2001 - B 6 KA 54/00 R -).

Praxisanmerkung:

Da ein Arzt nicht alleine von der privatärztlichen Tätigkeit leben kann (von wenigen Ausnahmen abgesehen), ist der Hinweis des Gerichts, wem dies nicht passe möge doch die Zulassung zurückgeben und sich auf die privatärztliche Tätigkeit zurückziehen, zynisch und praxisfern. Und eine gesunde Mischkalkulation ist vielen niedergelassenen Ärzten gar nicht möglich, weil es zu wenige EBM-Leistungen gibt, die hoch entlohnt werden. Stattdessen gibt es viele Ziffern, die vergleichsweise niedrig entlohnt werden. So lässt sich kaum eine gesunde Mischung aus niedrig und hoch entlohnten Leistungen herstellen. Der Arzt kann dann nur "auf Masse" arbeiten, um eine angemessene Gesamtvergütung aus der Behandlung gesetzlich versicherter Patienten zu erzielen. Darunter kann dann allerdings die Qualität leiden. Wie der von der Urologin in dem Begleitschreiben zu der Musterrechnung beschriebene Behandlungsweg zeigt, ist die Spritzenbehandlung des Harnblasenmuskels aber überaus zeitaufwändig.

Überdies sind die gesetzlichen Entgelte des Arztes insgesamt budgetiert. Selbst wenn der Arzt also viel arbeitet, kann er dadurch nur bedingt höhere Einnahmen generieren. Zusatzeinnahmen wie IGEL, Gutachtertätigkeíten und ähnliches bleiben oft hinter den Erwartungen zurück und sind mit einigem organisatorischen Mehraufwand verbunden.

Da die Einnahmenreihe von Arztpraxen insofern regelmäßig unbeweglich ist, richten Ärzte den Blick vermehrt auf die Reduzierung laufender Kosten der Praxis. Hier lassen sich oft noch erhebliche Einsparungen erzielen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
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