(26.9.17) Niedergelassene Ärzte, die zum Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigung herangezogen werden, können nichts dagegen einwenden, dass die Dienste in Kliniken stattfinden. Die Kassenärztlichen Vereinigungen dürfen die Notdienste in Kliniken positionieren und dies ist auch sinnvoll, weil diese dann für Patienten leichter zu finden sind. Vier Notdienste im Quartal hindern einen niedergelassenen Arzt auch nicht an der Führung seiner Praxis (Bundessozialgericht, Beschluss vom 2. August 2017 – B 6 KA 11/17 B). 

Krankenwagen nach Sturz

Anmerkung:

Nicht nur die Kliniken bieten Notdienste an, sondern - was viele Patienten gar nicht wissen - auch die Vereinigung der niedergelassenen Ärzte (Kassenärztliche Vereinigung, KÄV). Trotzdem suchen viele Patienten am Wochenende oder nachts auch mit kleinen Erkrankungen die Notaufnahmen der Kliniken auf, was diese oft überlastet. Viele Patienten wissen nicht, dass sie die Notdienste der KÄV in Anspruch nehmen können, die entweder in eigenen Räumlichkeiten zu finden sind oder die einen mobilen Notdienst betreiben, der die Patienten sogar zu Hause aufsucht (für Berlin: Näheres dazu hier, zu erreichen unter Tel. 030-31 00 31). Betreiben die KVen einen Notdienst in eigenen Räumlichkeiten, so wissen die Patienten aber oft gar nicht, wo diese Räumlichkeuiten sind. Die KÄV Thüringen hat daher diese Notdienste neu organisiert und in eine Klinik verlegt. Dagegen wehrten sich nun zwei Hausärzte mit einer Klage - u.a. fördere dies die Kliniken, mit denen die Hausärzte ja in Konkurrenz stünden. Das Bundessozialgericht hat diese Klage nun letztinstanzlich zurück gewiesen. 

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 25. August 2016 (L 11 KA 12/14wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10 000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Fall:

I. Die in einer Berufsausübungsgemeinschaft als Ärzte für Allgemeinmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der beklagten KÄV teilnehmenden Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zur Teilnahme am ärztlichen Notdienst.

Auf der Grundlage eines Beschlusses der Vertreterversammlung der Beklagten vom 5.11.2008 erfolgte in deren Bezirk eine Neustrukturierung der Notdienste, die ua die Zusammenlegung mehrerer kleiner Notdienstbereiche, die Einrichtung flächendeckender Notdienstzentralen sowie die Festlegung des Notdienstes mit Sitz- und Fahrdiensten unter Bindung an einen Fahrdienst zum Gegenstand hatte. Die Notdienstzentrale, in der die Kläger den Bereitschaftsdienst abzuleisten hatten, befindet sich in einem Krankenhaus in der selben Gemeinde, in der die Praxis der Kläger gelegen ist. Mit Bescheiden vom 17.12.2009 verpflichtete die Beklagte die beiden Kläger, ab dem 1.1.2010 am Notdienst ihres Notdienstbereichs teilzunehmen und den Notdienst in der Notdienstzentrale im Krankenhaus in E. abzuhalten.

Widerspruch, Klage und Berufung gegen diese Bescheide sind erfolglos geblieben. Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Beklagte sei berechtigt gewesen, die Notdienstbezirke im Hinblick auf die zurückgehende Zahl der Hausärzte in Thüringen, demographische Veränderungen im Bereich der Patienten und die Sicherung der Qualität des ärztlichen Notdienstes neu zuzuschneiden und insbesondere zu bestimmen, dass der Notdienst in besonderen Notdienstzentralen abzuleisten sei. Die Ausgestaltung des zur Sicherstellungsverpflichtung einer KÄV rechnenden Not- bzw Bereitschaftsdienstes obliege der KÄV; insoweit komme ihr eine weite Gestaltungsfreiheit zugute. Rechte des einzelnen Vertragsarztes seien nur verletzt, wenn die Vorgaben der KÄV nicht mehr von sachbezogenen Erwägungen getragen seien oder einzelne Ärzte bzw Arztgruppen unzumutbar belastet würden. Das sei hier nicht der Fall. Der Umstand, dass sich in Folge der Zusammenlegung der Notdienstbezirke und der Neustrukturierung insgesamt die Zahl der Bereitschaftsdienste für den Kläger zu 1. erhöht habe, belege nicht, dass die Neuregelung der Beklagten insgesamt rechtswidrig sei. Für einzelne Ärzte habe sich auch eine Reduzierung der Einsätze ergeben, und selbst der Kläger zu 1. habe nach der Neustrukturierung insgesamt weniger Stunden für den Bereitschaftsdienst aufwenden müssen als zuvor. Soweit die Zahl der Bereitschaftsdienste der beiden Kläger die Grenze von vier Einsätzen im Quartal im Laufe der Jahre deutlich überschreiten sollte, bestehe eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht der Beklagten, die aber in diesem Verfahren noch nicht greife. Soweit sich im Übrigen die Kläger auf die Verlängerung der Fahrzeiten sowie die Gestaltung der Rechtsverhältnisse zwischen den Mitarbeitern in der Notdienstzentrale und der Beklagten und andere technische Aspekte beriefen, liege schon keine Verletzung eigener Rechte vor (Urteil vom 25.8.2016).

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machen die Kläger geltend, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG), und rügen im Übrigen eine Abweichung des angefochtenen Urteils von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).

Die Entscheidung:

II

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.

1. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtsfrage nur, wenn sie im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig ist, klärungsbedürftig ist und Bedeutung über den Einzelfall hinaus hat. Die von den Klägern in diesem Zusammenhang angeführten Fragen wären in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht zu klären.

niedergelassene Ärzte können nicht einwenden, die Verträge der Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Kliniken über die Einrichtungen von Notdienstzentralen in Klinken seien rechtswidrig

a. Die Kläger werfen zunächst die Frage auf, ob "auch bei einer unwirksamen Entleihung der Krankenschwester zu den (gemeint: dem) Notdienst des Kassenarztes als Bestandteil der Organisation des (gemeint: der) kassenärztlichen Notfallversorgung durch die beklagte Kassenärztlichen Vereinigung, der (gemeint: die) Überprüfung durch das Gericht aufgrund des weiten Gestaltungsspielraums bei der Organisation des Notdienstes der Kassenärztlichen Vereinigung, mithin selbst bei einer bußgeldbewerten Arbeitnehmerüberlassung verschlossen bleibt". Diese Frage wäre in dem angestrebten Revisionsverfahren von vornherein nicht klärungsfähig, weil das LSG keine Feststellungen dazu getroffen hat, auf der Grundlage welcher vertraglichen Vereinbarungen in der Notdienstzentrale im Krankenhaus in E. medizinisch-​technisches Hilfspersonal tätig wird. Die Auffassung der Kläger, insoweit könne es sich nur um eine gesetzeswidrige Arbeitnehmerüberlassung handeln, verbleibt im Bereich bloßer Spekulationen. Im Übrigen könnten die Kläger eine gerichtliche Prüfung dieser vertraglichen Vereinbarungen nicht erreichen, weil insoweit ihre eigenen Rechte aus dem Mitgliedschaftsverhältnis zur beklagten KÄV nicht tangiert sind. Die Kläger können in Verfahren gegen Bescheide der KÄV, mit denen sie zur Ableistung des Bereitschaftsdienstes herangezogen werden, nur geltend machen, die Heranziehung sei für sie etwa im Hinblick auf die Frequenz der Dienste oder die Länge bestimmter Fahrzeiten unzumutbar bzw benachteilige sie im Verhältnis zu anderen Ärzten oder anderen Arztgruppen unverhältnismäßig. Ob die vertraglichen Vereinbarungen, die die Beklagte im Zusammenhang mit der Einrichtung der Notdienstzentrale im Krankenhaus in E. mit dem Krankenhausträger bzw mit den bei diesem beschäftigten Arzthelferinnen trifft, rechtmäßig sind, betrifft grundsätzlich die Rechtsphäre der Kläger nicht. Diese sind in der Notdienstzentrale nicht als Arbeitgeber der Mitarbeiterinnen anzusehen, die dort nach Abstimmung zwischen KÄV und Krankenhaus eingesetzt werden.

Kassenärztliche Vereinigungen sind berechtigt, ihre Notdienstzentralen in Kliniken einzurichten

b. Weiterhin werfen die Kläger die Frage auf, ob das von ihnen als willkürlich bewertete Vorgehen der Beklagten, die Notdienstpraxis im Krankenhaus einzurichten, dem Krankenhaus unrechtmäßig einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft, weil die den Bereitschaftsdienst ausübenden Ärzte gehalten seien, die Patienten dem Notdienst des Krankenhauses zuzuweisen. Auch diese Frage wäre nicht klärungsfähig, weil rechtlich geschützte Interessen der Kläger durch die Entscheidung der Beklagten, eine Notdienstzentrale in den Räumen des Krankenhauses einzurichten, erkennbar nicht verletzt sind. Im Übrigen liegt auch keine Klärungsbedürftigkeit vor. Der Senat hat bereits entschieden, dass die KÄVen zentrale Notfallpraxen auch an Krankenhäusern einrichten dürfen und die zum Notdienst eingeteilten Vertragsärzte dort den Dienst verrichten müssen (BSG SozR 4-​2500 § 75 Nr 11 RdNr 18). Damit entfällt auch der von den Klägern angeführte Klärungsbedarf hinsichtlich der (möglichen) Folgen wirtschaftlicher Vorteile für das Krankenhaus, in dem sich die Notdienstzentrale befindet. Der in diesem Zusammenhang von den Klägern angedeutete Aspekt, dass sich das Krankenhaus über die ambulante Notfallversorgung in seinen Räumen stationäre Patienten "verschaffen" könne, spielt bei der Frage, ob Vertragsärzte verpflichtet sind, den Notdienst dort zu versehen, wo sich die Notdienstzentrale befindet, keine Rolle.

kassenärztlicher Notdienst in Klinik ist sinnvoll aus Sicht des BSG, weil leichter zu finden für Patienten

Im Übrigen unterliegt es keinem Zweifel, dass die Einrichtung von zentralen Notdienstpraxen, deren Anschriften bekannt sind und die die Patienten ohne größeren Aufwand aufsuchen können, der Sicherstellungsverpflichtung der KÄV für die Versorgung der Versicherten auch zu den sprechstundenfreien Zeiten gemäß § 75 Abs 1b Satz 1 SGB V in der Fassung des GKV-​VSG vom 16.7.2015 (BGBl I 2015, 1211) entspricht. Es ist gerade unter dem Aspekt von (möglichen) Qualitätsdefiziten im vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst in den letzten Jahren immer wieder bemängelt worden, dass die Patienten nicht wüssten, wo sie im Notfall zügig ärztlich versorgt werden könnten, und sich gerade deshalb an das nächstgelegene Krankenhaus wenden, dessen Anschrift regelmäßig bekannt oder ohne großen Aufwand zu ermitteln sei. Wenn an der zentralen Anlaufstelle für die ärztliche Versorgung einer Gemeinde, nämlich dem Krankenhaus, auch die Notdienstzentrale der KÄV eingerichtet ist, wird dieses Qualitätsdefizit gemindert.

c. Nicht klärungsfähig ist weiterhin die Frage, welche Mindestinfrastruktur in den Räumen einer Einrichtung zur Ausübung des Notdienstes im Krankenhaus vorhanden sein muss und ob die Ausrüstung der Räumlichkeiten des Krankenhauses in E., in denen sich die Notdienstzentrale befindet, dem genügt. In der Allgemeinheit, in der die Kläger die Frage aufgeworfen haben, könnte sie in einem Revisionsverfahren ohnehin nicht geklärt werden, weil der Senat keine allgemeinen Rechtsgrundsätze zur Ausgestaltung von Bereitschaftsdienstpraxen in Krankenhäusern ungeachtet der jeweiligen räumlichen Verhältnisse, der Verfügbarkeit von Räumlichkeiten des Krankenhauses uä entwickeln könnte. Im Übrigen wäre die Frage hier nicht klärungsfähig, weil das LSG keine näheren Feststellungen zu der Ausgestaltung der Notdienstzentrale in den Räumen des Krankenhauses getroffen hat. Wenn es den Klägern auf die Einzelheiten dazu angekommen wäre, hätten sie entsprechende Beweisanträge stellen müssen; das ist ausweislich der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 25.8.2016 nicht geschehen.

Vier Notdienste pro Quartal (oder etwas mehr) hindern niedergelassene Ärzte nicht an der Führung der eigenen Praxis

d. Nicht klärungsfähig ist schließlich die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob "durch die Durchführung der Notdienste und die dadurch notwendige Schließung der eigenen Praxis in die Berufsausübungsfreiheit eingegriffen wird". Diese Frage könnte nur geklärt werden, wenn feststünde, dass die beiden Kläger durch die Ableistung der Bereitschaftsdienste, zu denen sie die Beklagte eingeteilt hat, an der Führung einer eigenen Praxis gehindert werden. Dafür fehlen jegliche Feststellungen des LSG, und im Übrigen liegt diese Annahme auch ersichtlich fern. Für den streitbefangenen Zeitraum hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Kläger zu 1. sei zu vier Bereitschaftsdiensten im Quartal eingeteilt worden. Hinsichtlich der Klägerin zu 2. fehlen entsprechende Feststellungen. Selbst wenn das LSG formuliert hat, insoweit sei in den Folgezeiträumen von einer steigenden Heranziehungsfrequenz auszugehen, und dazu auf eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht der Beklagten verwiesen hat, liegt die der formulierten Rechtsfrage zugrundeliegende Annahme, die Kläger könnten an der Führung einer eigenen Praxis durch die Frequenz der Bereitschaftsdienste gehindert sein, neben der Sache.

2. Unzulässig ist die Beschwerde, soweit sie auf den Zulassungsgrund der Divergenz gestützt wird. Den Darlegungsanforderungen für eine Divergenzbeschwerde gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG wird nur entsprochen, wenn ein Rechtssatz der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgezeigt und diesem ein davon abweichender Rechtssatz des Berufungsgerichts gegenübergestellt wird, wenn weiterhin die Abweichung näher erläutert und schließlich dargelegt wird, dass das angefochtene Urteil auf der bezeichneten Divergenz beruht. Einen Rechtssatz der höchstrichterlichen Rechtsprechung zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie macht lediglich geltend, der Rechtsprechung des Senats zur Ableistung des Notdienstes liege ein bestimmter Begriff einer "Praxis" zugrunde, und den Merkmalen einer solchen Praxis werde der Behandlungsraum der Notdienstzentrale im Krankenhaus in E. nicht gerecht. Damit wird von vornherein keine Divergenz in den rechtsgrundsätzlichen Aussagen der Rechtsprechung des BSG und des angefochtenen Urteils belegt. Im Kern geht es den Klägern unter dem Aspekt der Divergenz lediglich darum darzulegen, dass die Bedingungen, unter denen sie in der Notdienstzentrale im W. in E. den Bereitschaftsdienst ableisten müssen, ihnen nicht zumutbar seien. Das hat jedoch keinen Bezug zu der von den Klägern angeführten Divergenz bei der Auslegung des Praxisbegriffs zwischen dem Berufungsgericht und dem Senat in dem von der Beschwerde angeführten Urteil vom 28.9.2005 - B 6 KA 73/04 R.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Danach haben die Kläger die Kosten des von ihnen ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen. Da die Kläger in einer Berufsausübungsgemeinschaft tätig sind, entspricht es der Billigkeit, dass sie die Kosten in entsprechender Anwendung des § 100 Abs 4 ZPO gesamtschuldnerisch zu tragen haben.

Die Entscheidung über den Streitwert entspricht derjenigen der Vorinstanz, die von keinem Beteiligten in Frage gestellt worden ist.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
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