(30.6.2017) Steigt der Verlauf des Wachstums des Kopfumfangs eines Kindes kontinuierlich in immer niedrigere Perzentilen-Korridore ab und zeigen sich keine bildgebenden Hinweise auf eine postvakzinale Encephalitis bei einem mit Infanrix hexa geimpften Kleinkind, das in der Folge unter Krämpfen litt, so ist ein Impfschaden nicht hinreichend belegt, so dass Ansprüche aus dem Infektionsschutzgesetz ausscheiden (Bundessozialgericht, Urteil vom 13.2.2017 - B 9 V 93/16 B).

neugeborenes KindDer Fall:

Die 2009 geborene Klägerin wurde von Mai bis Juli 2009 mit dem Sechsfach-Impfstoff Infanrix hexa geimpft. Bis dahin war ihre Entwicklung mit Ausnahme einer leichten Abnahme der laufenden Größenzunahme des Kopfumfanges normal verlaufen.

In der Folgezeit zeigten sich bei dem Kind ca. ab Ende Juli 2009 Krämpfe, schließlich Entwicklungsverzögerungen bis hin zu epileptischen Zuständen. Die EEG-Diagnostik zeigte sich uneinheitlich. Diagnostiziert wurde eine BNS-Epilepsie (West-Syndrom) unklarer Ätiologie. Befundet wurde im weiteren eine deutliche statomotorische und psychomentale Entwicklungsstörung mit einem derzeitigen posturalen Entwicklungsalter um den 7. Lebensmonat sowie eine sekundäre, leichte Mikrocephalie.

Die Entscheidung: 

Das BSG hörte einen Sachverständigen an und bestätigte die Entscheidung, dass kein Impfschaden im Sinne des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vorliegt.

Nach dem SV ist am ehesten eine Hirnentwicklungsstörung für das vorliegende West-Syndrom ursächlich, nicht aber die Impfung. Die Hirnentwicklungsstörung ist laut SV anhand der Perzentilenkurve des Kindes belegt. Die Verlaufskurve des Kopfumfanges ist kontinuierlich in immer niedrigere Perzentilen-Korridore abgestiegen.

Mit dem SV geht das BSG zudem davon aus, dass eine postvakzinale Encephalitis/Encephalopathie bei dem Kind nicht vorgelegen hat. Eine postvakzinale Encephalitis/Encephalopathie wäre mit erheblicher Wahrscheinlichkeit durch die erste Kernspintomographie dargestellt worden. Das entsprechende MRT ist jedoch insoweit unauffällig. Auch die übrigen Untersuchungen und Verlaufsschilderungen haben keinen Anhalt für eine solche Erkrankung ergeben. Soweit der zweite SV ausführt, dass es für die postvakzinale Encephalitis nach Anwendung inaktiver Impfstoffe keinen spezifischen Nachweis gebe und die Diagnose allein durch Ausschluss anderer Ursachen und die Bewertung des Krankheitsverlaufs gestellt werden könne, kann dies eine andere Bewertung nicht begründen. Denn andere Krankheitsursachen sind keineswegs ausgeschlossen. Der erste SV hat überzeugend dargelegt, dass das bei dem Kind vorliegende West-Syndrom ursächlich auf die Hirnentwicklungsstörung zurückzuführen ist.

Darüber hinaus ist aufgrund der Studie von Bellmann u.a. davon auszugehen, dass die Impfungen lediglich in der Lage seien, ein West-Syndrom gelegenheitsursächlich einige Tage vorzuverlegen. Als Ursache oder wesentliche Teilursache könnten sie hingegen nicht konstatiert werden. Für einen theoretisch denkbaren, hiervon abweichenden Einzelfall müsste eine postvakzinale Encephalopathie nachgewiesen sein, was vorliegend jedoch gerade nicht der Fall ist. Aus diesen Gründen kommt es zudem auf die Wirkung der in den Impfstoffen enthaltenen Adjuvantien vorliegend nicht an. Auch der Nachweis einer entzündlichen Reaktion des Gehirns im Sinne einer ADEM konnte bei dem Kind nicht erbracht werden.

Praxisanmerkung:

Treten nach einer Impfung neurologische Besonderheiten auf, so ist dem Kinderarzt zu raten, ein neurologisches Konsil einzuholen.

Auch eine umfassende Dokumentation ist ratsam.

In Anbetracht der Komplexität neurologischer Prozesse sollte der Kinderarzt von Schnellschüssen bezüglich der Ursachen von Beschwerden Abstand nehmen und auch den Eltern von solchen abraten.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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