(28.6.2017) Werden Ärzte als Sachverständige für Gerichte tätig, so haben sie bestimmte Regeln zu beachten. Andernfalls können sie den Vergütungsanspruch verlieren. Bei der psychiatrischen Begutachtung muss der Sachverständige die psychiatrische Untersuchung im wesentlichen Umfang selbst durchführen - andernfalls ist das Gutachten unverwertbar und auch nicht zu entlohnen. Die Begutachtung ist nicht in diesem Sinne selbst durchgeführt, wenn die Untersuchungsdauer so kurz ist, dass schlechterdings unmöglich ist, sich in der vorgegebenen Zeit einen Eindruck von dem Probanden zu verschaffen. 30 Minuten reichen bei einem außerordentlich mit dem Krankheitsbild erfahrenen psychiatrischen Sachverständigen aus (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.8.2016 - L 6 VG 3508/12).

Behandlungsunterlagen des Patienten als Grundlage der BegutachtungDer Fall:

Im vorliegenden Fall war streitig, ob ein tätlicher Angriff auf den Kläger mit einer Gaspistole zu einer PTBS (posttraumatischen Belastungsstörung) geführt hatte, so dass dem Kläger Ansprüche auf Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zustanden.

Der Kläger wurde u.a. von einem Psychiater begutachtet. Dieser befasste sich ausführlich mit den Vorakten sowie den Fragestellungen des Gerichts und den vorgetragenen Argumenten des Klägers, übertrug dann die erste Exploration und Untersuchung zunächst an einen Neurologen. Der Neurologe berichtete das Ergebnis seiner Exploration dem Sachverständigen. Der Sachverständige untersuchte dann im Beisein des Neurologen 30 Minuten lang den Kläger und sprach mit ihm. Das Gutachten des Psychiaters ist vom Neurologen (…) und dem Psychiater (…) , letzterer mit dem Vermerk „Aufgrund eigener Untersuchung und Urteilsbildung einverstanden“, unterschrieben worden. Das Gutachten verneint eine PTBS.

Der Kläger ist der Auffassung, das Gutachten sei unverwertbar.

Die Entscheidung:

Das Gericht hat keine Zweifel an der Verwertbarkeit des Gutachtens und wies die Klage auf Entschädigung ab.

Gemäß § 407a Abs. 2 Satz 1 ZPO ist der Sachverständige nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt. Die zentralen Aufgaben der Begutachtung muss der Sachverständige selbst erbringen. Inwieweit die Durchführung der persönlichen Untersuchung des Probanden zum sogenannten unverzichtbaren Kern der vom Sachverständigen selbst zu erfüllenden Zentralaufgaben zählt, hängt von der Art der Untersuchung ab. Je stärker die Untersuchung auf objektivierbare und dokumentierbare organmedizinische Befunde bezogen ist, umso eher ist die Einbeziehung von Mitarbeitern möglich. Bei psychologischen und psychiatrischen Gutachten muss der Sachverständige die persönliche Begegnung mit dem Probanden und das explorierende Gespräch im wesentlichen Umfang selbst durchführen. Es unterliegt stets im Einzelfall der Einschätzung des medizinischen Sachverständigen, welchen Zeitrahmen er für die Begutachtung für erforderlich hält.

Das Gericht ist der Meinung, das Zeitfenster von 30 Minuten reiche bei einem außerordentlich mit dem Krankheitsbild erfahrenen psychiatrischen Sachverständigen aus, um zu einer abschließenden Einschätzung zu gelangen. Er könne dabei die neurologische (Vor-)Untersuchung an einen Neurologen übertragen. Der Neorologe liefere einen erlaubten Hilfsdienst.

Praxisanmerkung: 

Beabsichtigt ein Sachverständiger, Hilfsdienste zu verwenden, so ist es der sicherste Weg, darüber Einvernehmen mit dem Gericht herzustellen und dieses Einvernehmen zu dokumentieren. 

Allgemein hat der medizinische Sachverständige § 407 a ZPO zu beachten. Danach gilt: 

  1. Der Sachverständige hat unverzüglich zu prüfen, ob der Auftrag in sein Fachgebiet fällt und ohne die Hinzuziehung weiterer Sachverständiger sowie innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist erledigt werden kann. Ist das nicht der Fall, so hat der Sachverständige das Gericht unverzüglich zu verständigen.
  2. Der Sachverständige hat unverzüglich zu prüfen, ob ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Der Sachverständige hat dem Gericht solche Gründe unverzüglich mitzuteilen. Unterlässt er dies, kann gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden.
  3. Der Sachverständige ist nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt.
  4. Hat der Sachverständige Zweifel an Inhalt und Umfang des Auftrages, so hat er unverzüglich eine Klärung durch das Gericht herbeizuführen. Erwachsen voraussichtlich Kosten, die erkennbar außer Verhältnis zum Wert des Streitgegenstandes stehen oder einen angeforderten Kostenvorschuss erheblich übersteigen, so hat der Sachverständige rechtzeitig hierauf hinzuweisen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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