(17.1.2017) Betritt ein Tierarzt, der ein erkranktes Fohlen behandeln will, eine enge Pferdebox, in der auch die aufgeregte Stute angebunden mit dem Hinterteil zum Eingang der Box steht und wird er von der Stute getreten und schwer verletzt, so haftet er zu einem Viertel für den entstandenen Schaden mit, weil er die ihm dabei gebotene Sorgfalt außer Acht ließ. Es wäre sicherer gewesen, Fohlen und Stute zuerst von einander zu trennen, bevor der Tierarzt die Box des Fohlens betritt. Zu drei Vierteln haftet der Tierhalter für den Schaden und dies unabhängig von seinem Verschulden (OLG Hamm, Urteil vom 19.12.2016 - 6 U 104/15).  

 Vor aufgeregten Stuten sollte sich der Tierarzt in Acht nehmenDer Fall: 

Ein Hobbypferdezüchter war Besitzer einer bisher ungerittenen Zuchtstute und ihres ca. drei Wochen alten Fohlens. Er rief einen Tierarzt wegen eines Notfalls zu Hilfe. Der Tierarzt sollte das an Durchfall erkrankte Fohlen im Reitstall des Züchters ärztlich behandeln.

Beim Eintreffen des Tierarztes befanden sich Stute und Fohlen in einer ca. 3,18 x 3,15 m großen Pferdebox. Der Züchter hatte die Stute mit dem Kopf zur hinteren rechten Ecke gerichtet mit Halfter und Führstrick angebunden. Um das Fohlen zum Zwecke der Untersuchung und Behandlung von der Stute zu trennen, versuchte der Züchter zunächst vergeblich, dem Jungtier einen Halfter über den Kopf zu streifen. Daraufhin begab sich der Tierarzt ca. 1 m weit in den vorderen Teil der Box, um das Fohlen von vorn am Kopf des Tieres zu fixieren. In diesem Moment drehte sich die Stute mit der Kruppe in Richtung Boxentür um und trat aus, wobei sie den Tierarzt am linken Oberschenkel traf und schwer verletzte.

Der Tierarzt erlitt Frakturen, Muskel-, Kreuzband-, Gelenkkapsel- und Meniskusverletzungen, er musste operiert und stationär behandelt werden.

Die Entscheidung:

Der Tritt ist aus Sicht des OLG Hamm eine typische Tiergefahr bei Pferden. Für diese haftet der Züchter als Tierhalter. 

Der Tierarzt habe den Unfall aber zu einem Viertel mit verschuldet. Vor dem Betreten der Pferdebox sei für den Tierarzt unschwer erkennbar gewesen, dass er in der für beide Pferde erheblich zu gering dimensionierten Pferdebox an jeder Stelle vom Huf der – sichtlich erregten – Stute habe getroffen werden können. Züchter und Tierarzt hätten an diesem Tag  mit einem Widerstand der Stute gegen die gebotene Trennung von Muttertier und Fohlen gerechnet, wobei das Anbinden der Stute ihren Erregungszustand noch erhöht habe.

In dieser Situation habe der Tierarzt die Pferdebox nicht betreten dürfen. Nach den Ausführungen des tiermedizinischen Sachverständigen habe mit einer Reaktion der Stute in einer so kurzen Zeitspanne gerechnet werden müssen, die keine menschliche Abwehrhandlung mehr zugelassen hätte. Um die beiden Pferde zu trennen, habe eine wesentlich weniger risikobehaftete Methode zur Verfügung gestanden, bei der der Schaden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre. Nach den Ausführungen des Sachverständigen hätten die Stute und ihr Fohlen durch ein Hinaus- und Wiederhineinführen beider Pferde aus und in die Pferdebox, ggf. unter Inanspruchnahme einer Nachbarbox und u.U. in mehreren solchen Versuchen, voneinander getrennt werden können, indem die Boxentür zwischen Stute und Fohlen geschlossen worden wäre. Dieses zum Trennen der Tiere geeignete Vorgehen wäre dem Tierarzt auch zumutbar gewesen und hätte die Gefahr einer Verletzung erheblich verringert.

Praxisanmerkung:

Die Entscheidung verdeutlicht die Gefahrenlage der Tierärzte bei der Behandlung von großen Nutztieren wie Pferden. Der Tierarzt sollte verlangen, dass der Halter die für eine ordnungsgemäße Behandlung notwendigen Vorbedingungen schafft. Diese Bedingungen waren hier noch nicht gegeben. Da jeder, der mit Tieren zu tun hat, von Anfang an eingeschärft bekommt, nach Möglichkeit nicht direkt hinter einem Pferd entlang zu laufen, hat der Tierarzt auch bereits gegen elementare Sicherheitsregeln verstoßen. Insofern ist die Entscheidung nachvollziehbar. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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