(2.12.2016) Die Konzeption des Vertragsarztrechts schließt es gerade aus, dass die für die vertragsärztliche Versorgung maßgebenden Bedingungen – insbesondere die Honorierung der Leistungen - zwischen den daran teilnehmenden Ärzten und den gesetzlichen Krankenkassen ausgehandelt und gegebenenfalls durch "Kampfmaßnahmen" durchgesetzt werden (Bundessozialgericht, Urteil vom 30.11.2016 - B 6 KA 38/15 R).

Urteil: kein Streikrecht für niedergelassene ÄrzteDer Fall: 

Ein niedergelassener Kassenarzt schloss aus Protest gegen die Ablehnung von Honorarforderungen durch die Kassen tageweise seinei Praxis (Warnstreik). Die KV erteilte dem Arzt daraufhin einen disziplinarischen Verweis wegen Verletzung der Sprechstundenpflicht bzw. Präsenzpflicht, § 24 Absatz 2 Ärzte-ZV. Der Arzt meinte dagegen, er sei berechtigt, zur Durchsetzung seiner legitimen Forderungen zu streiken. Die disziplinarisch Maßnahme sei daher unberechtigt.

Die Entscheidung:

Das Bundessozialgericht bestätigte die Disziplinarentscheidung.

Von der Präsenzpflicht ist der Vertragsarzt nur in den Fällen entbunden, in denen die Ärzte-ZV eine Vertretung vorsieht. Zu den dort (in § 32 Ärzte-ZV) geregelten Fallgruppen – insbesondere Krankheit, Urlaub, Fortbildung - gehört die Teilnahme an einem "Warnstreik" jedoch nicht.

Das Recht der Vertragsärzte, Forderungen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen im Wege von "Arbeitskampfmaßnahmen" durchzusetzen, ist in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise durch die Bestimmungen des Vertragsarztrechts beschränkt worden.

Die Konzeption des Vertragsarztrechts erlaubt es nicht, dass die für die vertragsärztliche Versorgung maßgebenden Bedingungen – insbesondere die Honorierung der Leistungen - durch Streik oder andere Kampfmaßnahmen ausgetragen werden. Denn den Kassenärzten sind erhebliche Selbstverwaltungsrechte eingeräumt worden. Diese üben sie über die KVen aus. Zugleich haben die Kassenärzte die kontinuierliche Versorgung der Patienten sicherzustellen (Versorgungsauftrag). Es gilt das Gebot des Zusammenwirkens zwischen KVen und Ärzten. Streitigkeiten sind verbandsintern oder durch Schiedsämter zu lösen, nicht durch Arbeitskampfmaßnahmen. Der Arzt hat insofern eine Mitverantwortung für das Funktionieren der medizinischen Versorgung.

Praxisanmerkung:

Streik ist ein Mittel des Arbeitskampfes, das auch dem Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers (als Lohn- und Weisungsempfänger) gegenüber dem Arbeitgeber als wirtschaftlich Überlegenem dient: der Streikende soll auch berechtigt sein, seine Arbeitsleistung zu verweigern. Das Verhältnis zwischen Ärzten und Kassen bzw. KVen ist ein anderes. Ärzte verwalten sich über die KVen schließlich selbst. Überdies darf die Versorgung des schwächsten Gliedes in der Kette - dem Patienten - nicht durch Streiks gefährdet werden. Ähnliches gilt für Polizisten und andere Staatsbedienstete der Grundversorgung. 

Ärzte müssen ihre Forderungen also entweder durch Wahlen der KV geltend machen. Oder sie fechten Streitigkeiten mit Kassen oder KVen schlicht vor den Sozialgerichten durch. Diese Möglichkeiten sind aber beschränkt. Deshalb fliehen manche Kassenärzte frustriert in den Dienst nach Vorschrift (mit einer Vielzahl von Tagen, an denen die Praxis nur halbtäglich besetzt ist) und der vermehrten privatärztlichen Tätigkeit oder Gutachten-/Lehrtätigkeit.    

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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