(31.10.2016) Die Zulassungsgremien der KV sind nicht verpflichtet, ein Zulassungsentziehungsverfahren wegen anhaltender staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen oder eines gerichtlichen Strafverfahrens auszusetzen und die Entscheidung in der Strafsache abzuwarten. Sind Honorarberichtigungsbescheide gegen den Arzt ergangen (hier u.a. wegen Implausibiltät und Abrechnungen von Behandlungen bereits verstorbener Patienten) und sind diese nicht offensichtlich rechtswidrig und hat der Arzt sich dazu auch nicht substantiiert eingelassen, so können die Gremien die Zulassung entziehen, ohne in eine detaillierte Prüfung einzutreten (SG Marburg, Urteil vom 07. September 2016 – S 12 KA 179/16). 

ärztliche Zulassung kann unabhängig von Strafverfahren wegen Abrechnungsbetruges entzogen werden Der Fall:  

Die Beteiligten streiten um eine Zulassungsentziehung wegen gröblicher Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten, insb. wegen verschiedener fehlerhafter Honorarabrechnungen, u.a. aufgrund zeitbezogener Plausibilitätsprüfungen der Quartale II/08 bis III/13.

Der 1948 geborene und jetzt 67-jährige Kläger wurde 1990 als Facharzt für Anästhesie mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er ist in einer Einzelpraxis tätig.

In der Vergangenheit kam es mehrfach dazu, dass der Zulassungsausschuss dem Kläger Schreiben wegen Nichtwahrnehmung des ärztlichen KV-Notdienstes nicht zustellen konnte. 

Die Beigeladene zu 1) setzte mit Bescheiden ab 2012 mehrfach Honorarrückforderungen wegen zeitbezogener Plausibilitätsprüfung sowie wegen Abrechnung von Leistungen an verstorbenen Patienten gegen den Kläger fest. Dagegen vom Arzt eingelegte Widersprüche wurden zurückgewiesen.

Die Beigeladene zu 1) machte mit Datum vom 07.01.2013 gegenüber der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main eine Verdachtsmitteilung wegen Falschabrechnung. Das daraufhin eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren ist zwischenzeitlich abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft hat mit Schriftsatz vom 21.07.2016 Anklage erhoben. Nach einem Amtshilfeerbitten stellte sie den Zulassungsgremien eine CD mit dem Inhalt der Strafakte zur Verfügung. 

Der Kläger beantragte mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 30.10.2015, die Entscheidung über die Eröffnung eines Zulassungsentziehungsverfahrens mit dem Ziel, den Entzug der ärztlichen Zulassung so lange zurückzustellen, bis das strafrechtliche Ermittlungsverfahren bei der Eingreifreserve der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main beendet sei. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren sei vorgreiflich. Die Plausibilitätsprüfungen erfolgten computermäßig-statistisch, ohne die Besonderheiten seiner schmerztherapeutischen Ambulanz zu berücksichtigen. Auch die Größe der Ambulanz sei unbekannt. Die Praxis habe nicht nur einen, sondern fünf Behandlungsräume, in denen parallel Anwendungen durchgeführt werden würden. Die Implausibiltäten und Abrechnungen verstorbener  Patienten beruhten auf Verwechslungen und Personalfehlern. Ein vorsätzliches, grob fahrlässiges oder leichtfertig fehlerhaftes Abrechnungsverhalten oder ein Verstoß gegen sonstige Pflichten, die über das übliche Maß hinausgingen, seien nicht nachvollziehbar dargelegt und unter Beweis gestellt worden.

Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen lud den Kläger unter Datum 06.11.2015 zu einer mündlichen Verhandlung am 24.11.2015. Der Kläger beantragte aber mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 12.11.2015 die Vertagung, weil er sich bereits zu einer Fortbildungsveranstaltung angemeldet habe. Der Zulassungsausschuss entzog mit Beschluss vom 24.11.2015 dem Kläger die Zulassung unter Hinweis auf die Honorarrückforderungen aufgrund der Plausibilitätsprüfungen. Hiergegen legte der Kläger am 15.01.2015 Widerspruch ein, den er nicht weiter begründete.

Der beklagte Berufungsausschuss für Ärzte lud den Kläger unter Datum vom 19.02.2016 zu einer mündlichen Verhandlung am 09.03.2016. Zuvor hatte er dessen Prozessbevollmächtigten mit E-Mail am 20.01.2016 über den vorgesehenen Termin informiert.

Der Kläger nahm an der Sitzung des Beklagten nicht teil. Mit Telefaxschreiben seines Prozessbevollmächtigten, das am 09.03.2016 um 11:33 Uhr kurz vor der für 14:00 Uhr anberaumten Sitzung bei dem Beklagten einging, teilte er mit, dass weder er noch sein Prozessbevollmächtigter an der Verhandlung teilnehmen würden. Er beantragte, den Termin aufzuheben. Sein Prozessbevollmächtigter habe lediglich eine Ladung per E-Mail erhalten, eine gesonderte Ladung an ihn sei nicht erfolgt. Nach der Disziplinarordnung sei er mit einer Ladungsfrist von 14 Tagen persönlich zu laden. Ferner wies er darauf hin, dass die Übersendung des Akteninhalts des Ermittlungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main per CD ohne seine vorherige Zustimmung unzulässig gewesen sei und ein Verstoß gegen das informelle Selbstbestimmungsrecht des Beschuldigten im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren darstelle. Die daraus gezogenen Erkenntnisse unterlägen einem Verwertungsverbot.

Der Beklagte lehnte mit Beschluss vom 09.03.2016, ausgefertigt am 13.04.2016, den Vertagungsantrag ab und wies den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 19.04.2016 die Klage erhoben. Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 15.07.2016 hat der Kläger die Aussetzung des Verfahrens beantragt, was die Kammer mit Beschluss vom 01.08.2016 abgelehnt hat.

Die Entscheidung:

Das SG Marburg wies die Klage gegen die Zulassungsentziehung als unbegründet zurück. Der angefochtene Bescheid vom 09.03.2016 ist rechtmäßig. Er war daher nicht aufzuheben.

Der Arzt hat gegen das Gebot der peinlich genauen Abrechnung verstoßen. Auf ein Verschulden des Arztes kommt es dabei gar nicht an. Gegen die Plausibiltätsprüfung mittels Tagesprofilen hat das SG nichts einzuwenden. Bei einem Verdacht auf Abrechnungsbetrügereien ist eine Übermittlung von Daten aus strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 13 Abs. 2 Satz 1 EGGVG bereits vor Erhebung der öffentlichen Klage rechtmäßig und kann die Verwendung der übermittelten Daten in dem Zulassungsentziehungsverfahren somit zulässig sein. Das Zulassungsentziehungsverfahren war daher nicht auszusetzen.

Soweit der Kläger zu seiner Verteidigung auf die Besonderheiten seiner schmerztherapeutischen Praxis verweist, verkennt er, dass die Beigeladene zu 1) für die Quartale II/08 bis III/13 zeitbezogene Plausibilitätsprüfungen vorgenommen hat und als Grund für die Überschreitung plausibler Tages- oder Quartalszeiten die vermehrte Abrechnung von Gesprächsleistungen mit vorgegebenen Zeitangaben festgestellt hat. Insofern geht der Kläger fehl in der Annahme, er könne mehrere Patienten gleichzeitig behandeln, ohne dass sich dies in vollem Umfang auf seine Arbeitszeit niederschlage. Alle im EBM angegebenen Plausibilitätszeiten sind grundsätzlich so bemessen, dass eine parallele Leistungserbringung ausgeschlossen ist. Beratungs- und Gesprächszeiten beinhalten ausschließlich das Gespräch mit dem Patienten. Das schließt es aus, dass zeitgleich weitere Leistungen bei dem Patienten selbst oder gar bei weiteren Patienten vorgenommen werden. Soweit der Kläger im der Klage zum Az.: S 12 KA 179/16 vorausgegangenen Verwaltungsverfahren angegeben hat, während einer dreißigminütigen Infusion, abgerechnet nach Nr. 30710 (Infusion, Dauer mindestens 30 Minuten) und 30760 EBM (Dokumentierte Überwachung im Anschluss an die Gebührenordnungsposition 30710), müsse er nicht bei dem Patienten verweilen, sondern könne andere Patienten behandeln, so trifft dies nur für einen Teil der Leistung zu. Insofern gehen diese beiden Leistungen auch nicht mit dreißig Minuten in die Zeitprofile ein, sondern nur, da es allein auf die ärztliche Tätigkeit ankommt, mit 4 und 5 Minuten, insgesamt also nur mit 9 Minuten.

Soweit die Berichtigungsbescheide bestandskräftig sind, kann sich der Beklagte ebenso wie das Gericht hierauf berufen, ohne in eine detaillierte Prüfung einzutreten, jedenfalls dann, wenn es wie hier vorliegend an der Offensichtlichkeit einer Rechtswidrigkeit der Bescheide fehlt oder an einem substantiierten Vorbringen des Vertragsarztes. Leistungen für bereits Verstorbene hat der Kläger in den Quartalen I/09 bis II/11, also über zehn Quartale hinweg erbracht. Insbesondere die Abrechnung über mehrere Quartale hinweg bei einzelnen Verstorbenen kann nicht mit der bloßen Behauptung, es handele sich um ein Versehen, entkräftet werden. Auch soweit der Kläger das Ergebnis der zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung für die Quartale III/12 bis III/13 angefochten hat, ist nicht ersichtlich, weshalb die Bescheide rechtswidrig sein sollten. Die Klage hat der Kläger trotz Fristsetzung der Kammer bisher nicht begründet.

Praxisanmerkung:

Die plumpen Versuche des Arztes, das Verfahren zur Zulassungsentziehung fortwährend zu verzögern, sei es mittels ständiger Terminsverschiebungswünsche oder dem Antrag auf Aussetzung des Zulassungsentziehungsverfahrens bis zum Abschluß des Strafverfahrens, sind gescheitert. Im Zulassungsentziehungsverfahren kann ein Arzt also nicht "auf Zeit spielen".

Es ist hier nicht erkennbar, warum der Arzt bei der erdrückenden Beweislage überhaupt auf Zeit gespielt bzw. die Vorwürfe bestritten hat. Damit hat er seine Lage weiter verschlechtert.

In einer solchen Situation wäre eine umfassende Kooperation, verbunden mit einer Einsicht in das Fehlverhalten und dem Aufdenwegbringen einer Veränderung der Abrechnungskultur in seiner Praxis sicherlich erfolgversprechender gewesen. In solchen Fällen ist eine kooperative Gesamtlösung, die sowohl Strafverfahren, als auch Honorarrückforderungen, Zulassungs- und Approbationsentzug umfasst, besser für den betroffenen Arzt. Es ist doch ohne weiteres nachvollziehbar und voraussehbar, dass die Zulassungsgremien die Zulassung alsbald entziehen, wenn ein Arzt falsch abrechnet und dies nach Hinweis darauf auch noch wiederholt und so die Gefahr weiterer fehlerhafter Abrechnungen entsteht. 

Ich kann auch nicht nachvollziehen, was den Kollegen, der den Arzt vertrat, dazu bewogen haben könnte, das Verfahren zu verzögern und die Bescheide der Zulassungsgremien in derart aussichtsloser Weise anzugreifen. Möglicherweise entsprang dies dem ausdrücklichen Wunsch des (uneinsichtigen) Arztes. Als Anwalt muss man aber auch nicht alles mitmachen.  

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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