(20.10.2016) Gegen die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung als Facharzt für Chirurgie mit hälftigem Versorgungsauftrag neben einer bestehenden, auf die Hälfte zu reduzierender (bisher vollen) Zulassung als Hausarzt am selben Arztsitz bestehen keine rechtlichen Bedenken. Dies gilt auch dann, wenn der Arzt die Reduzierung nur erklärt unter der Bedingung der Erteilung der beantragten Sonderbedarfszulassung (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11. Mai 2016 – L 11 KA 102/14).

Streit um die Erteilung einer SonderbedarfszulassungDer Fall:

Streitig ist die Sonderbedarfszulassung des Klägers als Facharzt für Chirurgie in G mit hälftigem Versorgungsauftrag neben bestehender, auf die Hälfte zu reduzierender (bisher voller) Zulassung als Hausarzt am selben Arztsitz.

Der Kläger ist seit dem 1999 Facharzt für Chirurgie und seit dem 2001 auch Facharzt für Allgemeinmedizin. Er verfügt über die Zusatzbezeichnung Chirotherapie. Seit dem 2001 nimmt er in einer hausärztlichen Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) in G als Facharzt für Allgemeinmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Seit 2011 ist er dort auch Durchgangsarzt. Wegen der schlechten chirurgischen Versorgung vor Ort wurde der Kläger befristet zur Erbringung spezifisch fachärztlicher Leistungen, insbesondere teilradiologischer Leistungen (von 2003 bis 2010) und ambulanter Operationen (2005 bis 2012) zugelassen).

Anfang 2011 beantragte der Kläger beim Zulassungsausschuss, ihn für den Vertragsarztsitz der BAG als Facharzt für Chirurgie - unter Reduzierung des hausärztlichen Versorgungsauftrags auf die Hälfte - im Wege einer Sonderbedarfsfeststellung gemäß § 26 i.V.m. § 24a Bedarfsplanungs-​Richtlinie Ärzte (BedarfsplRL-​Ä) zur fachärztlichen Versorgung mit hälftigem Versorgungsauftrag nach § 19a Abs. 2 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-​ZV) zuzulassen. Der Bedarf für sein fachärztliches Tätigwerden bestehe weiterhin. Genehmigungen nach § 73 Abs. 1a Satz 3 SGB V könnten ihm als Allgemeinmediziner nach der neueren Rechtsprechung des BSG allerdings nicht mehr erteilt werden.

2011 sprach sich die zu 6.) beigeladene Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-​Lippe (KV WL) für eine solche Zulassung mit dauerhafter Bindung an die Gemeinde G aus. Der Kreis Olpe (139.666 Einwohner) sei mit Chirurgen zwar etwas überversorgt, in der kreiszugehörigen Gemeinde G (17.706 Einwohner) gäbe es jedoch keinen Chirurgen und von den anderen sei nur Dr. B in B in zumutbarer Zeit (ca. 30 min) mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar.

Gleichwohl lehnte der Zulassungsausschuss den Antrag Anfang 2011 mit der Begründung ab, dass der aktuelle Versorgungsgrad mit Chirurgen im Planungsbereich Olpe bei 167 % liege und die entsprechenden Praxen von G aus auch zumutbar erreicht werden könnten. 

Dagegen legte der Arzt Widerspruch ein und klagte schließlich. 

Die Entscheidung:

Wie schon das Sozialgericht gab auch das LSG NRW dem klagenden Arzt Recht. Das LSG entschied, dass das Sozialgericht den Berufungsausschuss zu Recht verurteilt hat, über den Widerspruch des Klägers gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses von 2011 erneut zu entscheiden.

Einem Arzt können zwei Zulassungen mit jeweils hälftigem Versorgungsauftrag erteilt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob die Vertragsarztsitze - wie hier vom Kläger begehrt - im Bezirk derselben oder zweier Kassenärztlicher Vereinigungen (KVen) liegen (BSG, Urteil vom 11.02.2015 - B 6 KA 11/14 R -).

Dass der Arzt den teilweisen Verzicht auf seine Zulassung als Hausarzt nur unter der Bedingung seiner gleichzeitigen Zulassung als Chirurg am Arztsitz in G erklärte, ist zulässig. Denn nur so kann der Arzt sein anerkennenswertes Interesse am Schutz der wirtschaftlichen Verwertbarkeit seiner bestehenden Zulassung schützen. Andernfalls würde auch die vom VÄndG beabsichtigte Flexibilisierung der beruflichen Tätigkeit von (Vertrags-​) Ärzten ins Leere laufen. Auch würde dann die vom Gesetzgeber gewollte bessere Bewältigung von Unterversorgungssituationen scheitern. 

Zwar fehlt eine ausdrückliche, zwei hälftige vertragsärztliche Zulassungen in der Person ein und desselben Arztes erlaubende gesetzliche Regelung. Allerdings entspricht diese Möglichkeit zumindest der Auffassung der Bundesmantelvertragspartner im ärztlichen Bereich. Dort wird unter dem Punkt "Begriffsbestimmungen (Glossar)" als "KV-​bereichsübergreifende Tätigkeit" u.a. der Sachverhalt erfasst, dass jemand gleichzeitig als Vertragsarzt mit zwei Teilzulassungen nach § 19a Ärzte-​ZV in Bereichen von mindestens zwei KVen tätig ist (§ 1a Nr. 15 Satz 1 Nr. 1 BMV-​Ä, Stand 01.01.2015). Und ein ausdrückliches gesetzliches Verbot dieser Konstellation kann das LSG nicht erkennen. 

Auch § 20 Abs. 1 oder 2 Satz 1 Ärzte-​ZV stehen dem nicht entgegen.

Dass gesetzliche Anforderungen an eine vertragsärztliche Tätigkeit durch eine weitere Zulassung mit einem hälftigen Versorgungsauftrag u.U. umgangen werden können, ist zwar nicht völlig auszuschließen, rechtfertigt ein Verbot der Doppelzulassung jedoch nicht. Auch Bedarfsplanungsgesichtspunkte stehen einer zweiten Teilzulassung nicht entgegen. Die dem Versorgungauftrag entsprechende Berücksichtigung der Tätigkeit wird dadurch gewährleistet, dass hälftig zugelassene Ärzte mit dem Faktor 0,5 zu berücksichtigen sind (§ 21 Abs. 2 BedarfsplRL-​Ä).

Und dadurch, dass der Arzt beide hälftige Tätigkeiten an einem Ort, nämlich dem Sitz der Gemeinschaftspraxis, erbringen wird, ist auch sichergestellt, dass die Patienten beider Fachbereiche hinreichend versorgt werden.

Ob das Ganze versorgungspolitisch sinnvoll oder grundrechtlich geboten ist, hatte das LSG nicht zu entscheiden. Da diese Form der (doppelten hälftigen) beruflichen Betätigung mit den derzeit geltenden Vorschriften über die vertragszahnärztliche Tätigkeit nicht von vornherein inkompatibel ist, müsste der Gesetzgeber sie ausdrücklich ausschließen, wenn er sie nicht wünscht. Das ist nicht der Fall (BSG, Urteil vom 11.02.2015 - B 6 KA 11/14 R -).

Der beantragten Sonderbedarfszulassung steht auch nicht entgegen, dass der Kläger dann zwei Tätigkeiten aus unterschiedlichen Versorgungsbereichen (Hausarzt und Facharzt Chirurgie) ausübt. Die insofern maßgebliche Norm des § 73 Abs. 1 SGB V ("Die vertragsärztliche Versorgung gliedert sich in ") trennt somit nicht Haus- von Fachärzten, sondern die haus- von der fachärztlichen "Versorgung". Dieser Teil der Norm trifft also über die Frage, welcher Arzt unter welchen Voraussetzungen an welcher Versorgung teilnehmen darf, bereits nach seinem Wortlaut keine Aussage.

Auch aus der Rechtsprechung des BSG oder dem Gesetzeszweck folgt nicht, dass ein Vertragsarzt ausschließlich entweder zur haus- oder fachärztlich Versorgung zugelassen werden kann.

Auch andere Gesichtspunkte sprechen nicht für die Zulassung des Klägers entweder allein als Haus- oder als Facharzt, im Gegenteil:

  • da der Arzt zugleich seine hausärztliche Tätigkeit um die Hälfte reduziert, sind zeitliche Probleme nicht erkennbar
  • das Problem der LA-Nr. kann durch Erteilung zweier Arztnummern umgangen werden; so wird es auch schon bei den Mund-Kiefer und Gesichtschirurgen erfolgreich praktiziert
  • der Einwand "bisher haben wir das aber immer anders gemacht" verfängt nicht 

Schließlich hat das LSG auch den örtlichen Sonderbedarf im Bereich Chirurgie bejaht.

Praxishinweis:

Das LSG hat in seiner progressiven Entscheidung alle üblichen Einwände gegen die Doppelzulassung beiseite gewischt. Im Sinne der vom Gesetzgeber gewünschten Flexibilisierung der ärztlichen Tätigkeit ist die Entscheidung aus Sicht der Ärzte zu begrüßen. Jeder Arzt, der eine Doppelzulassung anstrebt, muss sich aber darüber im Klaren sein, dass der praxisinterne Verwaltungsaufwand und die Anforderungen an das Praxisteam dann steigen. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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