Wird ein Patient, der eine Wahlleistungsvereinbarung für eine Chefarztbehandlung schloss, tatsächlich von einem anderen Arzt operiert, so ist die Operation mangels Einwilligung rechtswidrig. Die Klinik kann sich nicht zu ihrer Entlastung darauf berufen, der Eingriff wäre in seiner konkreten Ausführung nicht anders verlaufen, wenn ihn der Chefarzt vorgenommen hätte (Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens). Denn dieses Ergebnis widerspräche dem Schutzzweck des Einwilligungserfordernisses bei ärztlichen Eingriffen (BGH, Urteil vom 19.7.2016 - VI ZR 75/15).

Morbus Dupuytren der linken HandDer Fall:

Der Patient (Kläger) macht gegen die Beklagten Ansprüche auf Schmerzensgeld und Feststellung wegen einer von dem Beklagten zu 2 durchgeführten Operation geltend.

Der Kläger stellte sich am 2011 wegen eines Morbus Dupuytren an der linken Hand (bewegungseinschränkende Knotenbildung der inneren Handsehen) zur chirurgischen Handoperation im Klinikum der Beklagten zu 3 vor. Er wurde von dem Beklagen zu 1, dem Chefarzt der Beklagten zu 3, untersucht. Später schloss er eine Wahlleistungsvereinbarung mit der Beklagten zu 3 ab, in der Chefarztbehandlung vereinbart ist. Anschließend wurde der Kläger stationär aufgenommen und von dem Beklagten zu 2, dem - nicht liquidationsberechtigten - stellvertretenden Oberarzt der Beklagten zu 3 operiert. In die Operation durch den Beklagten zu 2 hatte der Kläger nicht eingewilligt.

Nach der Operation stellten sich bei dem Kläger an der operierten Hand erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen ein.

Die Entscheidung:

Der BGH bejahte einen Schadensersatzanspruch des Patienten nach § 823 I BGB.

Ein Arzt, der ohne eine auf seine Person bezogene Einwilligung des Patienten operiert hat, kann sich nicht darauf berufen, dass der Patient mit der Vornahme des Eingriffs durch einen anderen - zumal besser qualifizierten - Operateur einverstanden gewesen sei. Könnte er sich mit diesem Einwand einer Haftung entziehen, bliebe der rechtswidrige Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten sanktionslos.

Hinzu kommt, dass der Kläger ausweislich der mit der Beklagten zu 3 geschlossenen Wahlleistungsvereinbarung nur unter der Voraussetzung einer Behandlung durch den Chefarzt zur Einwilligung bereit war, § 823 Abs. 1 BGB. Der Patient schließt einen solchen Vertrag im Vertrauen auf die besonderen Erfahrungen und die herausgehobene medizinische Kompetenz des von ihm ausgewählten Arztes, die er sich in Sorge um seine Gesundheit gegen Entrichtung eines zusätzlichen Honorars für die Heilbehandlung sichern will. Demzufolge muss der Wahlarzt die seine Disziplin prägende Kernleistung persönlich und eigenhändig erbringen (Senat, Urteil vom 11. Mai 2010 - VI ZR 252/08, NJW 2010, 2580 Rn. 7). Insbesondere muss der als Wahlarzt verpflichtete Chirurg die geschuldete Operation grundsätzlich selbst durchführen, sofern er mit dem Patienten nicht eine Ausführung seiner Kernleistung durch einen Stellvertreter wirksam vereinbart hat (vgl. zu den an eine solche Vereinbarung anzulegenden Maßstäben BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 - III ZR 144/07, BGHZ 175, 76 Rn. 7 ff.). Vor diesem Hintergrund ist im Streitfall zudem das Vertrauen des Klägers, das dieser in die mit der Beklagten zu 3 geschlossene Wahlleistungsvereinbarung und damit auch in die besonderen Erfahrungen und die herausgehobene medizinische Kompetenz des Beklagten zu 1 gesetzt hat, enttäuscht worden.

Anmerkung:

Die Entscheidung ist nachvollziehbar und aus Sicht des Patienten, der sich gerade der besonderen Kompetenz des Chefarztes versichern wollte, zu begrüßen. Mit dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens, der eigentlich für die Fragen der Zurechnung eines Schadenserfolgs entwickelt wurde, kann sich die Klinik in Fällen der Vertretung des Chefarztes durch den Oberarzt nicht einer Haftung wegen fehlender Einwilligung entziehen. 

Fälle der Behandlung ohne Einwilligung eröffnen dem Patienten gute Chancen auf einen Prozesserfolg, weil er nicht nachweisen muss, dass die Behandlung fehlerhaft ausgeführt wurde - die Behandlung ist bereits rechtswidrig, weil sie ohne Einwilligung erfolgte. 

Aus Sicht der Kliniken und Chefärzte gilt:

Sie sollten besondere Aufmerksamkeit auf die Terminplanung der Operationen legen. Sollen Wahlleistungspatienten an Tagen operiert werden, an denen der liquidationsberechtigte Arzt (Chefarzt) nicht anwesend ist, sollten die Patienten entsprechend aufgeklärt werden. Es empfiehlt sich, eine Vertretervereinbarung aufzunehmen.

Dabei sind den Patienten drei Möglichkeiten vorzuschlagen:

  1. die Verschiebung des Operationstermins auf einen Tag, zu dem der Wahlarzt anwesend ist
  2. die Durchführung der Operation durch einen Vertreter des Wahlarztes mit gesonderter Abrechnung durch den Wahlarzt
  3. die Durchführung der Operation durch einen qualifizierten Facharzt des Krankenhauses, dann allerdings ohne gesonderte Berechnung von Wahlleistungen

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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