(23.6.2016) Bei der Anordnung des Ruhens der ärztlichen Approbation wegen des Vorwurfs des sexuellen Mißbrauchs einer Patientin handelt es sich um eine vorübergehende Maßnahme, die gerade dazu bestimmt ist, in unklaren Fällen oder in Eilfällen einem Arzt die Ausübung ärztlicher Tätigkeit für die Dauer eines schwebenden Strafverfahrens zu untersagen, wenn dies im Interesse der Allgemeinheit an einer ordnungsgemäßen Gesundheitsversorgung und zum Schutz von Patienten vor einem Tätigwerden von Personen, deren Zuverlässigkeit oder Würdigkeit zweifelhaft geworden ist, geboten ist (Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 31.05.2016 - 7 K 257/16).

IMG 20160425 170121Abstract:

Wird ein Arzt einer erheblichen Straftat mit berufsrechtlichem Bezug (also einer Tat, die bei der Ausübung der ärztlichen Tätigkeit erfolgt sein soll) beschuldigt, so muss der Arzt im Blick behalten, dass es neben dem Strafverfahren auch ein berufsrechtliches Verfahren geben wird. Grundsätzlich sollte er kooperativ sein. Er sollte weiter im Blick haben, dass die Behörde nicht selbst in die Sachprüfung der Tat einsteigen muss. Hat also der Arzt im bisherigen Strafverfahren geschwiegen, so kann er nicht erwarten, dass sich die Behörde im Einzelnen mit seinen erstmals im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Verteidigungen auseinandersetzt. Es ist also von Nöten sogleich eine abgestimmte, vollständige Verteidigungsstrategie aus einer Hand vorzubereiten.

Dies ist in diesem Fall nicht erfolgt. Der Arzt beauftragte verschiedene Anwälte nacheinander mit Strafverteidgung und Verteidiígung im Verwaltungsverfahren. Sein zweiter Anwalt spielte im Verwaltungsverfahren auf Zeit, anstatt sich die Strafverfahrensakte soglich von der Strafverteidigerin zu besorgen. Dies ging gründlich schief. Anstatt das gespräch mit der Behörde zu suchen und - bei wohl erdrückender Belastungslage - die Approbation freiwillig ruhen zu lassen und die Praxis vorläufig durch einen Vertreter fortführen zu lassen, kassierte der Arzt folgerichtig das Ruhen der Approbation bis zum Abschluß des Strafverfahrens.      

Der Fall:

Einem Kinderarzt wurde vorgeworfen, seiner minderjährigen Patientin F.B. bei der Behandlung in zwei Fällen in sexuell anzüglicher Weise zu nahe getreten zu sein. Im Jahr 2014 wurde ein Strafverfahren gegen den Arzt eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft erhob am 07.10.2015 Anklage vor dem Amtsgericht – Jugendschöffengericht – in Bergisch Gladbach u.a. wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in zwei Fällen. Seine Verteidigerin im Ermittlungsverfahren erhielt im Januar 2015 sowie im Mai 2015 Einsicht in die Strafakte. Die Anklageschrift wurde der Verteidigerin mit Verfügung vom 29.10.2015 übersandt. Der Kläger gab im Strafverfahren keine Stellungnahme ab. 

Mit Schreiben vom 27.11.2015 teilte die beklagte Behörde dem klagenden Arzt mit, sie beabsichtige das Ruhen der ärztlichen Approbation des Klägers aufgrund der von F. B. erhobenen Vorwürfe anzuordnen und gab dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 15.12.2015. Mit Schreiben (erst) vom 11.12.2015 meldete sich ein Anwalt für den Kläger und bat um Fristverlängerung bis zum 15.01.2016. Zur Begründung führte er aus, er wolle vor Abgabe einer Stellungnahme Einsicht in die Strafakte nehmen, die er am selben Tag angefordert habe.

Die Beklagte lehnte den Fristverlängerungsantrag aufgrund der Schwere der Vorwürfe ab, fügte ihrem Schreiben eine Kopie der Anklageschrift bei und gewährte eine Fristverlängerung bis 17.12.2015. Der Kläger nahm nicht Stellung zu den Vorwürfen.

Folgereichtig ordnete die Behörde am 18.12.2015 das Ruhen der Approbation des Klägers an. Zugleich ordnete sie die sofortige Vollziehbarkeit an, so dass eine Klage keine aufschiebende Wirkung hat (d.h. das Ruhen der Approbation bleibt auch dann wirksam, wenn der Arzt dagegen klagt). Auch wenn die Schuld des Klägers im Strafverfahren noch nicht bewiesen sei, überwiege das Interesse an der Sicherung des Patientenschutzes. Es seien bereits in der Vergangenheit mehrere Ermittlungsverfahren gegen den Kläger anhängig gewesen. Das Ruhen der Approbation beeinträchtige zwar das Recht des Klägers auf freie Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 GG und könne zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen führen. Es bestehe jedoch die Möglichkeit einer Praxisvertretung zur Reduzierung des wirtschaftlichen Schadens.

Der Arzt sah sich in unerlaubter Weise vorverurteilt, bestritt die ihm vorgeworfenen Taten und erhob Klage gegen den Ruhensbescheid. Er beabsichtige, seine Tätigkeit als Arzt einzustellen und in den vorzeitigen Ruhestand zu treten. Es sei jedoch für die Dauer von drei Monaten nach Praxisübergabe an ein Gesundheitszentrum erforderlich, dass er weiter in der Praxis als zugelassener Arzt tätig sei.

Die Entscheidung:

Diese hat das Verwaltungsgericht zu Recht zurückgewiesen. 

Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO kann das Ruhen der Approbation angeordnet werden, wenn gegen einen Arzt wegen eines Verdachts einer Straftat, aus der sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergeben kann, ein Strafverfahren eingeleitet ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Gegen den Kläger wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Ein Strafverfahren umfasst das Ermittlungs-, Zwischen-, Haupt- und Vollstreckungsverfahren. Es besteht nicht die Notwendigkeit, dass das Strafgericht bereits das Hauptverfahren eröffnet hat oder eine rechtskräftige Verurteilung vorliegt. Eine nach den Ermittlungsergebnissen hinreichende Wahrscheinlichkeit einer strafgerichtlichen Verurteilung ist ausreichend, vgl. OVG Saarland, Urteil vom 29.11.2005 - 1 R 12/05 -; OVG Lüneburg, Beschluss vom 15.07.2003 - 8 ME 96/03 –; OVG NRW, Beschluss vom 06.06.1988 - 5 B 309/88 -; OVG NRW, Beschluss vom 19.07.2013 - 13 A 1300/12 -.

Die Staatsanwaltschaft Köln hat gegen den Antragsteller ein Ermittlungsverfahren unter dem Aktenzeichen 251 Js 222/14 wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in zwei Fällen sowie der fahrlässigen Körperverletzung eingeleitet und Anklage vor dem Amtsgericht – Jugendschöffengericht – in Bergisch Gladbach (50 Ls – 251 Js 222/14 – 76/15) erhoben. Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungsergebnisse hat sich der strafrechtliche Verdacht so weit verdichtet, dass davon auszugehen ist, dass der Kläger mit erheblicher Wahrscheinlichkeit verurteilt wird.

Der Kläger hat sich im Strafverfahren nicht zu den Vorwürfen eingelassen. Erst im Verwaltungsverfahren hat er Umstände zu seiner Entlastung vorgetragen. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass es vorrangig Aufgabe der Strafgerichte ist, Straftatbestände abschließend festzustellen und die Frage der Schuld zu beurteilen. Das Verwaltungsgericht ist zwar zu einer eigenständigen Überprüfung des Gewichts der strafrechtlichen Vorwürfe verpflichtet, aber nicht gehalten, selbst in eine Amtsermittlung einzutreten und gewissermaßen einen zum Verfahren vor dem Strafgericht parallelen Strafprozess durchzuführen, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.07.2013 - 13 A 1300/12 -.

Im Übrigen sind die erstmals im vorliegenden Klageverfahren vorgetragenen Einwände des Klägers nicht geeignet, die Vorwürfe derart zu erschüttern, dass eine Verurteilung nicht mehr wahrscheinlich erscheint.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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