Wegen fehlerhafter postoperativer Aufklärung, grob fehlerhafter operativer Entfernung eines Lymphknotens am Hals und fehlerhafter postoperativer Behandlung, die zu einer Schädigung des Schulterhebenervs führten, ist die Klinik der Patientin zur Zahlung von Schmerzensgeld (EUR 60.000) und Ersatz der materiellen Schäden verpflichtet (LG Dortmund, Urteil vom 14.4.2016 - 4 O 230/13). Die nachbehandelnde niedergelassene Neurologin haftet als Gesamtschuldnerin in gleicher Weise, weil sie die Nachbehandlung grob fehlerhaft ausführte.  

Schulter MRTDer Fall:

Die klagende Patientin litt unter Fieber und Gewichtsabnahme und wurde stationär bei der Beklagten zu 1 aufgenommen.

Eine Sonografie zeigte vergrößerte Lymphknoten, u.a. am Hals.

Um einen Krebs auszuschließen wurden Kernspintomografien von Hals, Brust und Bauch angefertigt. Diese ergaben den Nachweis leicht vergrößerter Lymphknoten am Hals und der Achsel. Die Ärzte empfahlen eine Entfernung der Lymphknoten im Hals rechts, um diesen histologisch zu untersuchen (eine Probenentnahme wurde wegen der Gefahr einer Streuung evon Krebszellen abgelehnt). Der niedergelassene HNO-Arzt der Klägerin hatte eine plausible Erklärung für die Schwellung der Lymphknoten gegeben, weshalb die Patientin einer Entfernung kritisch gegnüberstand. Die Klinikärzte drangen unter Hinweis auf die Krebsgefahr aber auf eine (vollständige) und baldige Entfernung. 

Im Rahmen der Aufklärung der Patientin wurde über eine mögliche Schädigung des Schulterhebenervs, nicht aber über alternative Behandlungsmöglichkeiten gesprochen.  

Die Klägerin wurde am 7.5.2010 konsiliarisch operiert. 

Am ersten postoperativen Tag war die Klägerin ausweislich des Pflegeprotokolls beschwerdefrei. Im weiteren postoperativen Verlauf klagte die Klägerin über Schmerzen im Bereich des rechten Arms. So finden sich in der Dokumentation der Beklagten zu 1 nahezu täglich Eintragungen über Beschwerden der Klägerin.

Am 14.5.2010 wurde die Klägerin nach einer MRT-Untersuchung der Wirbelsäule aus der stationären Behandlung entlassen.

Am 09.06.2010 suchte die Klägerin aufgrund weiterhin bestehender Schmerzen im rechten Arm sowie einer eingeschränkten Armhebemöglichkeit erstmalig die Praxis der Beklagten zu 2.) auf. Sie gab gegenüber der Beklagten zu 2.) an, seit einer Operation im Haus der Beklagten zu 1.) unter einer Lähmung im Bereich des rechten Arms zu leiden.

Im Rahmen der Erstuntersuchung stellte die Beklagte zu 2.) die Diagnose einer gesicherten Affektion des Nervus accessorius rechts sowie des Verdachtes auf ein beidseitiges Carpaltunnelsyndrom und leitete eine medikamentöse Behandlung mit Tolperison Hexal ein.

Am 18.06.2010 wurde eine regelrechte motorische EMG-Messung der Handnerven links und rechts durchgeführt.

Eine letzte Untersuchung fand am 31.08.2010 in der Praxis der Beklagten statt. Die gestellte Diagnose blieb bestehen. Auch wurde weiterhin konservativ behandelt.

Bei weiterhin persistierenden Beschwerden und bei weiterhin bestehender Armhebeschwäche stellte sich die Klägerin auf eigene Veranlassung am 04.11.2010 in der neurochirurgischen Klinik im Klinikum Dortmund vor. Im Rahmen der neurologischen Untersuchung wurde eine Accessoriusparese (Ausfall des Schulterhebenervs) rechts diagnostiziert. Es schloss sich ein stationärer Aufenthalt vom 22.11.2010 bis zum 26.11.2010 an. In mikrochirurgischer Technik wurde am 23.11.2010 der Nerv freigelegt und genäht. Dennoch trat im weiteren Verlauf keine Besserung ein.

Die Klägerin ist nun im Alltag aufgrund des quasi funktionslosen Arms stark eingeschränkt. 

Die Entscheidung:

Das Gericht hörte drei Professoren als medizinische Sachverständige und bejahte dann die Haftung der Beklagten.

A. Haftung der Beklagten zu 1, der Klinik:

Die Klinik hat die Klägerin fehlerhaft aufgeklärt (I.), die Operation grob fehlerhaft durchgeführt (II.) und auch die postoperative Behandlung fehlerhaft durchgeführt (III.).

I. Aufklärungsfehler

Die Klinik klärte die Patientin nicht über die alternative Behandlungsmöglichkeit der Entnahme der Lymphknoten der Achsel auf. Diese war weniger risikoreich. 

Die Beklagte zu 1 wurde mit dem Einwand, die Klägerin hätte der Behandlung auch bei ordnungsgemäßer Aufkläörung zugestimmt (hypothetische Einwilligung) nicht vom Gericht gehört. Denn die Klägerin hatte schon vorher Bedenken gegen die Entfernung, eben weilihr HNO-Arzt dafürb eine für sie plausible Erklärung gegeben hatte und es ihr auch nicht gesundheitlich so schlecht ging.

II. grob fehlerhafte Operation

Es fehlt die Dokumentation des operativen Zugangsweges, so dass nicht mehr beurteilt werden kann, ob dem Operateur die Tragweite des Nervenverlaufs klar war. 

Nach den Leitlinien ist es zwar ausreichend, wenn eine Operation in Vollnarkose und unter Assistenz erfolgt. Weitere Einzelheiten sind nicht zwingend festgelegt. Dennoch geht die Kammer mit dem Sachverständigen Prof. Dr. F2 davon aus, dass sich bei der operativen Vorgehensweise ein Standard etabliert hat, der sich aus dem Operationsbericht erkennen lassen muss. Danach muss sich im Operationsbericht zunächst die Indikation wiederfinden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Operation konsiliarisch erfolgt. Außerdem muss die Anamnese aufgenommen werden. Es ist dann im Vorspann zu beschreiben, welche Operationsalternative, aus welchem Grund angewandt wird. Insbesondere muss im Fall bestehender Alternativen mitgeteilt werden, warum in welcher Region operiert wird. Auch gehört in den Operationsbericht aufgenommen, wie die Vorstellung des Patienten erfolgt ist und welche Narkoseform gewählt wird. Schließlich ist gerade bei einer Lymphknotenexstirpation die lokale Situation zu beschreiben, wo der Lymphknoten liegt und wie sich die Hautverhältnisse darstellen, ob sich beispielsweise Hautveränderungen zeigen. Im Anschluss ist zu vermerken, wie die Schnittführung erfolgt, ob beispielsweise entlang der Hautspalten operiert wird oder eine besondere Schnittführung angewandt wird. Danach gehört beschrieben, wie operiert wird, in welcher Tiefe und mit welchen Hilfsmitteln. Dies kann z.B. dadurch erfolgen, indem beschrieben wird, in welcher Halsregion operiert wird und wie der Musculus sternocleidomastoideus beiseitegeschoben wird. Vermerkt werden muss, in welcher Situation sich der Lymphknoten befindet, ob eine Entzündung vorliegt und in welcher Form er entnommen wird, vollständig oder nur teilweise. Letztlich ist zu beschreiben wie sich der Operateur zurückzieht, wie also die Wunde verschlossen wird, ob eine Blutstillung notwendig ist und ob eine Drainage oder aber ein Druckverband verwandt wird.

Wenn man diese Erfordernisse mit dem hier abgefassten Operationsbericht vergleicht, stellt man unzweifelhaft fest, dass dieser nur rudimentär ist. Weder ist beschrieben, wo und warum die Inzision stattgefunden hat. Noch wurde der Zustand des intraoperativ vorgefundenen Bereichs, im Zusammenhang mit dem Nervenverlauf niedergelegt. Vielmehr wurde unzureichend ein teilweises scharfes Trennen des Lymphknotens vom anliegenden Gewebe beschrieben, ohne dass genaues Wissen über den Nervenverlauf dargelegt wurde. Auch fehlt es an einer Beschreibung des Einsatzes von Wundhaken, Sperren und Blutstillern. Als anatomische Landmarke wird lediglich der M. sternocleidomastoideus beschrieben. Prof. Dr. F2 hat im Rahmen seiner mündlichen Anhörung anhand einer Skizze verdeutlichen können, dass allein diese Beschreibung nicht ausreicht. Denn wenn man den hinteren Rand des Muskels als Landmarke nutzt und sodann laienhaft ausgedrückt weit unterhalb operiert, ist man weit von dem Nerven entfernt. Dies zeigt, dass eine genaue Lokalisation und Beschreibung im Operationsbericht notwendig ist. 

Werden dokumentationspflichtige Maßnahmen nicht dokumentiert, gelten sie als nicht erfolgt. 

III. fehlerhafte postoperative Behandlung

Zum einen wurde die Klägerin im Aufwachraum nur unzureichend untersucht. Es hätte ein autonomer Schulterhebetest durchgeführt werden müssen, um die Funktion des Schulterhebenervs zu prüfen. 

Zum anderen wurde postoperativ stationär nur eine internistische Untersuchung durchgeführt. Unterlassen wurde es aber, eine (fachübergreifende) Visite durchzuführen. Dies war erforderlich, weil die Klägerin konsiliarisch operiert worden war. Dann muss der Chirurg, der operiert hat, den Patienten bei vollem Bewusstsein noch einmal untersuchen. Dies erfolgte nicht.

Auch im weiteren stationären Verlauf, als die Klägerin vielfach Schmerzen in der Schulter etc. äußerte, erfolgte keine Untersuchung unter Hinzuziehung eines Neurologen. Das Gericht betont, dass die Beschwerdeangaben der Klägerin schlicht ignoriert wurden. 

B. Haftung der nachbehandelnden Neurologin, der Beklagten zu 2. 

Die Neurologin klärte die Klägerin nicht über die Schwere ihrer Erkrankung und das weitere Vorgehen auf und hat sie auch fehlerhaft behandelt (therapeutische Sicherungsaufklärung): 

Die Beklagte zu 2 stellte zwar eine Schädigung des Schulterhebenervs fest. Sie reagierte aber nicht hinreichend auf diese Diagnose. Sie hätte mit der Klinik Kontakt aufnehmen müssen, um die Diagnose abzuklären und sie hätte eine EMG-Messung durchführen müssen.

Grob fehlerhaft war es, die Patientin nicht über die Schwere der Erkrankung und das weitere Vorgehen (Nachoperation) aufzuklären.

Anmerkung:

Hier ist es im Rahmen der konsiliarischen OP zu einem massiven Informationsverlust gekommen. Weder wurde der OP-Verlauf dokumentiert, noch wurde die Nachsorge durch den Operateur sicher gestellt. Auch wurden Beschwerden der Patientin missachtet und die konservative Therapie zu lange fortgesetzt. 

Ganz maßgeblich ist es, dass Ärzte solche Informationsverluste vermeiden:

Berichte sind zeitnah zu verfassen. Im Zweifel ist eher mehr als zu wenig zu dokumentieren. Der Operateur muss sich den Patienten auf Station noch einmal ansehen. Beschwerden der Patienten ist nachzugehen. 

Zum Thema:

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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