Es ist aufklärungsfehlerhaft, wenn der Orthopäde die Patientin nicht über eine mögliche Erweiterung der arthroskopischen Schulter-Dekompressions-Operation um eine Naht der Supraspinatussehne, einen Umstieg auf einen offenen Eingriff (Mini-Open-Technik) und eine hierdurch bedingten Heilungsverzögerung aufgeklärt hat. Der Klägerin steht dafür ein Schmerzensgeld von EUR 2.000 zu (OLG Köln, Urteil vom 9.3.2016 - 5 U 36/15).

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Der Fall:

Die am 1958 geborene Klägerin, die als selbständige Physiotherapeutin beruflich tätig ist, litt an Schmerzen in der linken Schulter. Am 8.6.2007 ließ sie eine Magnetresonanztomografie durchführen. Nach der Beurteilung des Radiologen lag ein Impingement Grad III mit Teilruptur im Supraspinatus und ausgeprägten Ergüssen in den Bursen vor. Am 12.6.2007 stellte sich die Klägerin beim Beklagten zu 1), einem niedergelassenen Facharzt für Orthopädie, vor (im Folgenden: Beklagter). Dieser leitete unter der Diagnose einer Teilruptur der Supraspinatussehne bei Verdacht auf Tendinitis Calcarea in Auflösung eine konservative Behandlung mit Injektionen, Physiotherapie und Antiphlogistika ein.

Am 7.8.2007 schilderte die Klägerin progrediente Schmerzen in der linken Schulter. Die am 9.8.2007 durchgeführte Magnetresonanztomografie zeigte eine Peritendinitis der gesamten Rotatorenmanschette, während sich ein Teildefekt am Ansatz des Musculus supraspinatus nicht nachvollziehen ließ. Der Beklagte empfahl der Klägerin am gleichen Tag die operative Versorgung und führte mit ihr ein Aufklärungsgespräch. Die Klägerin unterzeichnete einen proCompliance-Aufklärungsbogen "Arthroskopie von Schultergelenk und subacromialer Bursa", in dem der geplante Eingriff handschriftlich mit "AC li Schulter, Bursektomie, Sehnenglättung, needling, befundab. AD" bezeichnet ist.

Am 20.8.2007 führte der Beklagte die Schulterarthroskopie mit subacromialer Dekompression durch, stellte intraoperativ eine partielle Ruptur der Supraspinatussehne fest und nahm in Mini-Open-Technik eine Naht vor.

Die Beschwerden der Klägerin dauerten im wesentlichen an. Später erhielt sie von einem anderen Arzt eine arthroskopische Naht der Supraspinatussehne.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin u.a. geltend, der Beklagte habe sie nicht über die Möglichkeit einer Sehnennaht und eines Umstiegs auf ein offenes Verfahren aufgeklärt. Auf ihre Frage habe er vielmehr angegeben, dass sie in drei Wochen ihrer Berufstätigkeit wieder nachgehen könne.

Das Landgericht bejahte den Aufklärungsfehler und sprach der Klägerin dafür ein Schmerzensgeld von EUR 2.000 nebst Ersatz der Kosten für das von der Klägerin eingeholte medizinische Sachverständigengutachten (Privatgutachten) zu.

Die Entscheidung:

Das OLG Köln bestätigte den Aufklärungsfehler und die der Klägerin vom Landgericht zugestandenen Zahlungsansprüche.

Aus Sicht des OLG klärte der Beklagte die Klägerin nicht auf über eine mögliche Erweiterung der Operation um eine Naht der Supraspinatussehne, einen Umstieg auf einen offenen Eingriff und eine hierdurch bedingten Heilungsverzögerung (laut Sachverständigem ca. 6 Wochen).

Diese Punkte sind aus Sicht des OLG aufklärungspflichtig.

Eine Aufklärung der Patientin konnte der Beklagte aber nicht beweisen.

Dazu das OLG:

Während sich der Beklagte, der an das mit der Klägerin geführte Gespräch keine konkrete Erinnerung mehr hatte, bei seiner Anhörung, insbesondere aufgrund des Ankreuzens einer Sehnennaht als möglicher Eingriff im schriftlichen Aufklärungsbogen, sicher war, dass er über eine mögliche Naht im Bereich der Rotatorenmanschette und über die Anwendung der Mini-Open-Technik mit der Klägerin gesprochen habe, hat die Klägerin dies bestritten. Über einen Eingriff im Bereich der Rotatorenmanschette sei - so die Klägerin - nicht gesprochen worden. Entgegen den Ausführungen des Beklagten in der Berufungsbegründung hat das Landgericht schlüssig begründet, warum es sein kann, dass in dem Aufklärungsgespräch, in dem unstreitig die Risiken der Arthroskopie erörtert wurden, ein möglicher Eingriff im Bereich der Rotatorenmanschette und ein Umstieg auf ein offenes Verfahren unerwähnt blieben und warum die Angaben des Beklagten nicht überzeugender sind als die der Klägerin. Eine Naht im Bereich der Rotatorenmanschette war nach den unmittelbar vor dem Aufklärungsgespräch erhobenen Befunden deutlich unwahrscheinlicher geworden, so dass sie, auch wenn sie üblicherweise vom Beklagten in ähnlich gelagerten Fällen angesprochen werden mag, am 9.8.2007 unerwähnt geblieben sein kann. Während die Magnetresonanztomografie vom 12.6.2007 nach der Beurteilung des Radiologen eine Teilruptur im Supraspinatus gezeigt hatte, ließ sich ein entsprechender Defekt im Rahmen der Magnetresonanztomografie vom 9.8.2007 nicht nachvollziehen. Obwohl eine Sehnennaht nach den Angaben des Beklagten nach seiner damaligen Praxis stets zu einem offenen Eingriff in Mini-Open-Technik führte, findet sich zudem im schriftlichen Aufklärungsbogen über den vorgedruckten Text hinaus kein Hinweis auf diesen für einen Patienten wichtigen Gesichtspunkt. Auch dies spricht dafür, dass die Aufklärung unterblieben sein kann.

Eine Aufklärung über die Heilungsverzögerung, die durch die Operationserweiterung in Gestalt einer Sehnennaht und den Umstieg auf ein offenes Verfahren bedingt ist, hat der Beklagte zu keinem Zeitpunkt vorgetragen. Dies gilt für die erste Instanz, seine persönliche Anhörung und auch für die Berufungsbegründung. Dieser Umstand würde schon allein dazu führen, dass die Aufklärung nicht ordnungsgemäß war.

Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass der von dem Beklagten erhobene Einwand einer hypothetischen Einwilligung nicht durchgreift, weil die Klägerin für den Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung einen Entscheidungskonflikt plausibel dargestellt hat.
Sie hat bei ihrer Anhörung angegeben, dass sie sich nach einer Aufklärung über eine mögliche Operationserweiterung, einen Verfahrensumstieg und eine hierdurch bedingte Heilungsverzögerung für die Einholung einer zweiten Meinung und wegen ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit und der Notwendigkeit einer entsprechenden Umorganisation gegen einen Eingriff zu dem in Aussicht genommenen Zeitpunkt entschieden hätte. Dass die Klägerin zumindest ernsthaft vor die Frage gestellt worden wäre, ob sie den Eingriff zu dem damaligen Zeitpunkt vornehmen lassen sollte oder nicht, ist wegen der besonderen Auswirkungen eines möglicherweise langen Heilungsverlaufs auf die berufliche Tätigkeit eines Selbständigen nachvollziehbar.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserheblichen Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls.

Anmerkung:

Das OLG betont bei der Diskussion um den Inhalt des Aufklärungsgespräches, dass über den vorgedruckten Teil des Formulars hinaus kein (Anm.: handschriftlicher oder sonstiger) Hinweis auf ein Gespräch über die aufklärungspflichtige Tatsache zu finden ist. Das OLG stellt damit - ganz im Sinne der herrschenden Rechtsprechung - klar, dass allein ein Hinweis im Formular nicht ausreicht. Es muss über den Hinweis auch gesprochen worden sein. Wer belegen will, dass er einen bestimmten Punkt auch gesprochen hat, umkringelt oder unterstreicht Stichworte im Aufklärungsformular. Dies wird von den Gerichten regelmäßig als ausreichender Nachweis für ein Gespräch über diesen Punkt angesehen. 

Zum Thema:

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
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