Hat intensive, stationär geleitete konservative Therapie bei einer Patientin nur zu einer vorübergehenden Beschwerdebesserung geführt, konnte dieser Erfolg aber in der nachfolgenden ambulanten Behandlung nicht gehalten werden und scheiterte ein Versuch der Arbeitsaufnahme der Patientin wegen fehlender Belastbarkeit, so ist es für die Aufklärung über die Behandlungsalternative "Fortführung der konservativen Therapie" ausreichend, wenn der Arzt der Patientin erklärt, dass sie die konservative Therapie (zB mit den Spritzen) weiterführen könne, dass aus neurochirugischer Sicht eine operative Behandlung aber zu bevorzugen sei, weil damit die Chancen, tatsächlich eine dauerhafte Beschwerdebesserung zu erreichen, erhöht waren (Kammergericht, Urteil vom 16.11.2015 - 20 U 137/13).

1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 25.04.2013 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 13 0 339/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Das Urteil ist ebenso wie das angefochtene, vorläufig vollstreckbar.

3. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Fall: 

I.

Auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils wird Bezug genommen.

Die Klägerin macht wegen unterlassener Aufklärung über die Möglichkeit der Fortsetzung der konservativen Therapie als Behandlungsalternative zu der am 20.1.10 durchgeführten Operation an der Bandscheibe in Höhe L5/S1 Schmerzensgeld (mindestens 45.000,00 EUR), Schadensersatz (10.751,86 EUR) geltend, ferner begehrt sie die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung.

Die 1950 geborene Klägerin erlitt im September 2009 einen Bandscheibenvorfall ohne Lähmungserscheinungen. Sie wurde wie folgt konservativ behandelt:

• 22.9.09: Akupunktur, lokale Infiltrationen Prednison, Schmerztherapie

• 5.10.09: dto.

• 9.-21.10.09 Infiltration in Bandscheibe, Schmerztherapie, FangoPackungen, Lagerungstherapie (stationär)

Lt. Entlassungsbrief besserten sich letztlich die Beschwerden, eine operative Intervention sei "zur Zeit nicht indiziert", man bitte "um Fortsetzung der intensiven konservativen Therapie. Ab dem 22.10.09 bis zum Jahresende erhielt die Klägerin 12 Einheiten Fangopackungen und Massagen.

Am 12.1.10 stellte sich die Klägerin in der Neurochirurgischen Hochschulambulanz der Beklagten zu 1. vor. Es wurde die Indikation zur operativen Therapie gestellt, mit der sich die Klägerin einverstanden erklärte. Sie wurde am 19.1.10 stationär auf genommen, unterzeichnete das Aufklärungs- und Einwilligungsformular und wurde und am 20.1.10 durch den Beklagten zu 2. operiert (erweitere interlaminäre Fenster in Höhe L5/SI links sowie eine Sequestrektomie in mikrochirurgischer Technik). Es wurden 2 Revisionsoperationen (26.1.10 und 3.2.10) erforderlich, ferner erlitt die Klägerin am 6.2.10 eine tiefe Venenthrombose am linken Unterschenkel. Die Klägerin wurde am 10.2.10 entlassen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, bei ausreichender Aufklärung über die Risiken, hätte sie sich gegen eine Operation entschieden. Es hätte noch die Möglichkeit der Fortsetzung der konservativen Behandlung als zumindest gleichwertige Alternative bestanden, über die sie hätte aufgeklärt werden müssen. Den am 9.5.11 erlittenen weiteren Bandscheibenvorfall führt sie ebenfalls auf die Eingriffe der Beklagten zurück.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts sowie ergänzend auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. B. Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme über den Inhalt des Aufklärungsgesprächs (Anhörung der Klägerin und des Beklagten zu 2., Vernehmung des Zeugen S (Ehemann der Klägerin) und nach Einholung von Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass die Klägerin ausreichend über die Risiken der Operation aufgeklärt worden sei. Die Fortsetzung der konservativen Therapie sei keine echte Behandlungsalternative gewesen, daher habe hierüber nicht aufgeklärt werden müssen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Landgerichts Bezug genommen.

Gegen das Urteil des Landgerichts hat die Klägerin in vollem Umfang Berufung eingelegt.

Die Klägerin trägt vor,

1. Das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die konservative Therapie keine echte Behandlungsalternative darstelle, über die hätte aufgeklärt werden müssen. Das Landgericht habe dabei auch wesentliche Teile des Sachverhalts übergangen.

Wie der Arztbrief des Vivantes-Klinikums vom 20.10.09 (Anlage K 5) belege, habe die Klägerin auf die nur achttägige konservative Therapie vom 14. bis 21.10.09 gut angesprochen. Die Klägerin habe unter dieser Behandlung nur ein leichtes Schmerzmittel nehmen müssen. Demzufolge hätten die dort behandelnden Ärzte eine operative Therapie abgelehnt und die Fortsetzung der intensiven konservativen Therapie empfohlen. Die Klägerin sei im Zeitpunkt der Operation am 20.1.10 nicht (konservativ) austherapiert gewesen. Nach der Entlassung aus dem Vivantes Klinikum am 21.11.09 habe die Klägerin unstreitig keine Physiotherapie, sondern nur noch - bis zum 15.12.09 - einige Einheiten Massage und Fangopackungen erhalten. Danach habe es bis zur Operation unstreitig keine Behandlungen mehr gegeben. Somit sei nur eine fragmentarische, nämlich nur acht Tage andauernde konservative Behandlung, durchgeführt worden.

2. Die Annahme des Gutachters, der Muskelaufbau (Physiotherapie) sei angesichts der Schmerzen der Klägerin nicht möglich gewesen, sei völlig aus der Luft gegriffen und ohne Tatsachengrundlage erfolgt. Selbst der Beklagte zu 2. habe bei seiner Anhörung ausgesagt, man habe die konservative Therapie fortführen können.

3. Der Gerichtsgutachter habe sich mit den ihm von der Klägerin vorgelegten Studien und Fachartikel zu den Erfolgschancen der konservativen Therapie nur unzureichend auseinander gesetzt. Aus diesen ergebe sich, dass die Klägerin weder hinreichend intensiv noch lange genug konservativ behandelt worden sei. Es treffe auch nicht zu, dass es sich bei den genannten Studien nur um so genannte Beobachtungsstudien handele. Der Sachverständige habe die Risiken der konservativen Therapie unzutreffend und dramatisierend dargestellt.

4. Es sei daher angezeigt, einen anderen Gutachter zu beauftragen, bzw. hilfsweise, eine ergänzende Stellungnahme des bisherigen Gutachters einzuholen.

5. Bei sachgerechter Aufklärung hätte die Klägerin die konservative Behandlung wieder aufgenommen. Die Klägerin habe auch nicht gesagt, dass die konservative Behandlung zu keiner nennenswerten Besserung geführt habe, vielmehr sei das Gegenteil der Fall gewesen. Die Klägerin verfolgt ihre erstinstanzlichen Anträge, auf die Bezug genommen wird, weiter. Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten tragen vor:

1. Die Klägerin sei entgegen ihrer Auffassung nicht weitergehend als geschehen über die Möglichkeit einer konservativen Weiterbehandlung aufzuklären gewesen, da sie - wie das Landgericht unter Berufung auf den Sachverständigen zutreffend festgestellt habe - bereits im Sinne chronischer Kompressionssymptome schwer erkrankt gewesen sei, was zu der Annahme führe, dass die Fortsetzung der konservativen Therapie nicht erfolgversprechend gewesen sei und wegen des Schmerzzustandes der Muskelaufbau nicht habe durchgeführt werden können. Auch im Hinblick auf die bei Fortführung der konservativen Therapie bestehenden Risiken, sei es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte zu 2. ein - wenn auch nur relativ indiziertes - operatives Vorgehen empfohlen habe. Der Arztbrief vom 20.10.09 - also rund 3 Monate vor der Operation - stehe dem nicht entgegen.

2. Soweit die Klägerin in der BerufungSinstanz geltend mache, eine Operation sei nicht indiziert gewesen und sich somit auf einen Behandlungsfehler berufe, sei sie mit dem Vorbringen präkludiert.

3. Der Sachverständige habe sich sehr wohl mit den von der Klägerin vorgelegten Studien auseinander gesetzt.

4. Für die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 412 ZPO bestehe kein Anlass. Einen entsprechenden Antrag habe die Klägerin bereits in der 1. Instanz stellen müssen.

5. Es sei weder ersichtlich noch dargetan, dass sich die Schmerzen der Klägerin durch die konservative Behandlung (weiter) gebessert hätten.

6. Auch im Falle weiter gehender Aufklärung' über die Möglichkeit der Fortsetzung der konservativen Therapie hätte die Klägerin diese nicht fortgesetzt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Obergutachtens und Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. S. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Akten Bezug genommen.

Die Entscheidung:

II.

Die Berufung war zurückzuweisen, da die Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ordnungsgemäß über Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist. Daher steht ihr kein Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB des Behandlungsvertrages oder § 823 Abs. 1 BGB zu.

a. Die Wahl der Behandlungsmethode ist primär Sache des Arztes; dieser darf in aller Regel davon ausgehen, dass der Patient der entsprechenden ärztlichen Entscheidung vertraut und keine eingehende medizinisch - fachliche Unterrichtung erwartet. Der Arzt muss deshalb dem Patienten im Allgemeinen ungefragt nicht erläutern, welche Behandlungsmethoden theoretisch in Betracht kommen und was für oder gegen die eine oder andere dieser Methoden spricht, solange er eine Therapie anwendet, die dem medizinischen Standard genügt. Wählt der Arzt eine medizinisch indizierte, übliche Behandlungsmethode, bedarf es der Aufklärung über eine anderweitige, gleichfalls indizierten, üblichen Methode dann nicht, wenn die tatsächlich gewählte Therapie hinsichtlich ihrer Heilungsaussichten einerseits und ihrer Belastungen und Risiken für den Patienten andererseits der Behandlungsalternative vorzuziehen ist oder wenn sie hinsichtlich der Erfolgsaussichten sowie der Art und Richtigkeit der mit ihr verbundenen Belastungen und Risiken der Behandlungsalternative jedenfalls gleichwertig ist. Stehen hingegen für den konkreten Behandlungsfall mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden zur Verfügung, die gleichwertig sind, aber unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen haben, besteht somit für den Patienten eine echte Wahlmöglichkeit, dann muss ihm durch eine entsprechende vollständige Aufklärung die Entscheidung darüber überlassen bleiben, auf welchem Weg die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will. Über Behandlungsalternativen ist also aufzuklären, wenn die Behandlungsalternativen zu jeweils wesentlich unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten (vgl. zu alledem Geiß/Greiner, 6. Auflage, Teil C, Rdrn. 21 ff; Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 7. Auflagen, Rdnr. 375 ff. m.w.N.).

b. Unstreitig war die durchgeführte Operation relativ indiziert. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. S, der die eher apodiktischen Angaben des erstinstanzlichen Sachverständigen insoweit erläutert und mit Leben gefüllt hat, lag zwar keine absolute Indikation zur Operation vor, weil die Klägerin keine Lähmungserscheinungen aufwies. Jedoch sei es allgemeine Lehrmeinung in der Neurochirurgie, dass bei fortbestehenden, durch konservative Behandlung nicht dauerhaft verbesserbaren Beschwerden aufgrund eines massiven Bandscheibenvorfalls, wie er bei der Klägerin vorlag, eine Operation durchgeführt werden dürfe.

Der Sachverständige hat insoweit auch sehr deutlich gemacht, dass eine solche Operation auch gegenüber einer Fortsetzung der konservativen Behandlung befürwortet werden dürfe, da die Fortsetzung der konservativen Behandlung keine dauernde Besserung mehr erwarten lasse und die Gefahr bestehe, dass der Körper bei weiterer konservativer Behandlung ein Schmerzgedächtnis entwickelt, d.h., dass der Schmerz sich chronifiziert und dem Patienten dann auch mit einer Operation nicht mehr geholfen werden kann. Insoweit stellt die Operation eine echte Alternative zur konservativen Behandlung dar, dann handelt es sich unproblematisch um eine Alternative d.h. mit unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen.

Im Hinblick darauf, dass der Sachverständige verdeutlicht hat, dass er eine weitere konservative Behandlung zwar nicht als fehlerhaft, aber als gegenüber einer operativen Behandlung als wenig erfolgversprechend ansah, weil es zum einen weder einen festgelegten Kanon von konservativen Behandlungsmethoden gibt, noch eine Festlegung dazu, wie intensiv diese zu erfolgen hat, so dass er aus neurochirurgischer Sicht die Klägerin, die von ihrem niedergelassenen Orthopäden auch zum wiederholten Mal zur Abklärung einer chirurgischen Intervention stationär eingewiesen worden war, als konservativ austherapiert ansehen musste, genügt auch die Aufklärung, die der Beklagte zu 2) nach seinen Angaben in der Anhörung gemacht hat, als Alternativaufklärung. Denn im Hinblick auf die konkrete Vorgeschichte der Klägerin und die Tatsache, dass eine intensive, stationär geleitete konservative Therapie nur zu einer vorübergehenden Beschwerdebesserung geführt hat, die Klägerin aber in der nachfolgenden ambulanten Behandlung den eingetretenen Erfolg jedoch nicht halten konnte und einen Versuch der Arbeitsaufnahme wegen fehlender Belastbarkeit wieder abbrechen musste, war es ausreichend, der Klägerin darzustellen, dass sie die konservative Therapie (zB mit den Spritzen) weiterführen könne, dass aus neurochirugischer Sicht eine operative Behandlung aber zu bevorzugen sei, weil damit die Chancen, tatsächlich eine dauerhafte Beschwerdebesserung zu erreichen, erhöht waren. Damit war sie im Großen und Ganzen über die Vor- und Nachteile der konservativen und operativen Behandlung informiert und konnte - vor dem Hintergrund ihrer andauernden Erfahrungen mit der konservativen Behandlung - selbstbestimmt die Einschätzung vornehmen, ob sie die Risiken des operativen Eingriffs für die Chancen dieser Behandlung in Kauf zu nehmen bereit war.

Soweit die Klägerin meint, die Ärzte hätten sich für die Operation entschieden und darauf habe sie schlicht vertraut, steht das dieser Wertung nicht entgegen. Aus neurochirurgischer Sicht durfte der Eingriff angeraten werden; dass er nicht absolut indiziert war, sondern sie ihn auch hätte lassen und sich weiter konservativ behandeln lassen konnte, war der Klägerin ersichtlich klar gemacht worden. Dann muss der selbstbestimmte Patient das Selbstbestimmungsrecht, so schwierig dies im Einzelfall ist, auch ausüben und kann sich nicht darauf zurückziehen, man habe ihn/sie "überfahren". Denn hier erfolgte die Alternativberatung tatsächlich schon bei Vereinbarung des stationären Termins, die Klägerin hatte insofern Zeit, sich zu überlegen, ob sie den Termin wahrnehmen werde, und hätte dann, als in der Risikoaufklärung am Vortag die konservative Variante noch einmal kurz erwähnte, die Möglichkeit gehabt, diese Entscheidung noch einmal zu überdenken. Dass sie sich insoweit auf die Einschätzung der Ärzte der Beklagten zu 1) verlassen hat, ist ihr gutes Recht, aber dann auch nicht im Rahmen einer Aufklärungsrüge fruchtbar zu machen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen. Es handelt sich um einen Fall, dessen Schwerpunkt im Tatsächlichen (Gewichtung der Behandlungsalternativen) liegt.

Zum Thema:

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
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