Zum Schmerzensgeld eines Patienten wegen mangelhafter Aufklärung vor einer chiropraktischen Behandlung (Oberlandesgericht Frankfurt, Urteil vom 13.01.2015 – 8 U 141/13).

Der Fall:

Der Kläger litt an Schmerzen an der Halswirbelsäule, die auf einer degenerativen Veränderung der Bandscheiben der Halswirbelsäule beruhten. Deshalb suchte er den beklagten Arzt auf. Dieser führte eine manuelle Behandlung des Halses durch. Ob es sich dabei um eine Manipulation (durch Hochziehen des Kopfes nach links) oder eine schlichte Mobilisation handelte, ist zwischen den Parteien streitig. Ob der Arzt den Patienten zuvor über die Risiken der Behandlung -also insbesondere das Risiko eines Bandscheibenvorfalles- und Behandlungsalternativen aufklärte, ist zwischen Arzt und Patient ebenfalls streitig. In unmittelbarer zeitlicher Nähe zu der Behandlung erlitt der Patient einen Bandscheibenvorfall am Hals. Wegen der damit einhergehenden Schmerzen verklagte er den Arzt auf Schmerzensgeld.

Die Entscheidung:

Das OLG gab dem Patienten nun Recht und sprach ihm ein Schmerzensgeld von EUR 2.000 zu.

Hinsichtlich des vom klagenden Patienten behaupteten Behandlungsablaufes in Form einer Manipulation ist aus Sicht des OLG davon auszugehen, dass der Kläger als Patient hieran genauere konkrete Erinnerungen hat als der Beklagte als Arzt, der täglich eine Vielzahl von Patienten zu behandeln hat. Dieser dürfte sich damit kaum an genaue Einzelheiten einer stattgehabten, länger zurückliegenden Behandlung erinnern können. Vielmehr ist anzunehmen, dass der Beklagte im Wesentlichen seine Behandlungsunterlagen als Gedächtnisstütze verwendet, um die Behandlung zu rekapitulieren.

Den Hinweis des Arztes, in seiner Behandlungsdokumentation sei eine Mobilisation vermerkt (und nicht eine Manipulation) ließ das Gericht nicht gelten. Denn es handelte sich nicht um eine fälschungssichere EDV-Dokumentation nach § 630 f I 2 und 3 BGB. Eine EDV-Dokumentation ohne Sicherung gegen Veränderungen ist nicht mehr zulässig und sollte auch keinen Beweiswert wie eine herkömmliche schriftliche Dokumentation ohne Änderungen haben, selbst wenn der Arzt nachvollziehbar darlegt, dass sie nicht nachträglich verändert wurde und dass sie medizinisch plausibel ist (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., 2014, B Rn. 204 m.w.N.). An einer solchen nachvollziehbaren Darlegung fehlt es vorliegend allerdings. In der Aufklärungsdokumentation vom ….2010 finden sich zwar umfangreiche Feststellungen zu den Risiken einer chirotherapeutischen Behandlung, nicht jedoch solche zu möglichen Behandlungsalternativen, die ebenfalls aufklärungspflichtig sind. Der Beklagte hat in seiner informatorischen Anhörung vor dem Senat allerdings ausgeführt, den Kläger auch über alternative Behandlungsmethoden aufgeklärt zu haben. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig nachvollziehbar, dass sich zwar die Risikoaufklärung umfangreich dokumentiert in den Behandlungsunterlagen wiederfindet, nicht aber die in der informatorischen Anhörung vor dem Senat behauptete Aufklärung über alternative Behandlungsmethoden. Im Übrigen hat der Beklagte auch nicht – was allerdings dahingestellt bleiben kann - dargelegt, über eine entsprechende fälschungssichere Software zu verfügen.

Das OLG sah auch einen Aufklärungsfehler des Arztes:
Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 30.07.2012 ausgeführt, dass vor einer Manipulation an der Wirbelsäule über das Risiko der Verletzung der Arteria vertebralis aufgeklärt und des Weiteren darauf hingewiesen werden sollte, dass es bei einem präformierten, aber klinisch stummen Bandscheibenvorfall zum radikulären Syndrom kommen könne (Bl. 141). Es steht allerdings nach der informatorischen Anhörung der Parteien im Termin vom 02.12.2014 nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Beklagte mit dem Kläger ein Aufklärungsgespräch zu Behandlungsrisiken und Behandlungsalternativen geführt hat.

Der Kläger hat in seiner informatorischen Anhörung vor dem Senat den Behandlungsablauf in der Praxis des Beklagten am ….2010 nachvollziehbar geschildert und im Einzelnen dargelegt, dass nach Untersuchung und Anfertigen von Röntgenbildern der Beklagte ohne eine weitere Aufklärung über Risiken und mögliche Behandlungsalternativen die chiropraktische Behandlung an der HWS vorgenommen hat. Der insoweit beweisbelastete Beklagte hat hingegen ausgeführt, den Patienten vor einer chiropraktischen Behandlung an der HWS immer aufzuklären, da sich erst während der Behandlung selbst ergebe, ob eine Manipulation möglich sei oder ob lediglich mobilisiert werden könne. Die zwei unterschiedlichen Methoden habe er allerdings nicht so detailliert erklärt. Er habe aber als alternative Behandlungsmethoden auf Akupunktur, physiotherapeutische Behandlung und medikamentöse Therapie hingewiesen.

Wie bereits ausgeführt, ist hinsichtlich eines genauen erinnerten Behandlungsablaufes davon auszugehen, dass der Patient hieran genauere konkrete Erinnerungen hat als der Arzt, der täglich eine Vielzahl von Patienten zu behandeln hat, und sich damit kaum an genaue Einzelheiten einer stattgehabten, länger zurückliegenden Behandlung erinnern dürfte.

Entgegen der Rechtsansicht des Beklagten steht - wie bereits ausgeführt - auch nicht aufgrund des dokumentierten Aufklärungsgesprächs in den vorgelegten Behandlungsunterlagen fest, dass ein solches tatsächlich stattgefunden hat (Bl. 25).

Das OLG ließ auch den Einwand des Arztes, der Patient hätte auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung der Behandlung zugestimmt (sog. hypothetische Einwilligung) nicht gelten:

Dass vorliegend von einer hypothetischen Einwilligung des Klägers habe ausgegangen werden können, hat der Beklagte in nicht ausreichendem Maße dargetan. Die Annahme einer hypothetischen Einwilligung unterliegt strengen Voraussetzungen, damit nicht das Recht des Patienten zur Aufklärung auf diesem Wege unterlaufen wird. Erst wenn die Behandlungsseite substantiiert vorgetragen hat, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung den Eingriff in gleicher Weise von ihr hätte durchführen lassen, muss der Patient plausible Gründe dafür darlegen, dass er sich in diesem Falle in einem echten Entscheidungskonflikt befunden haben würde (BGH Urteil vom 17.03.1998, Az. VI ZR 74/97, Rz. 11, zitiert nach juris).

Der Beklagte hat bereits nicht substantiiert vorgetragen hat, dass der Kläger bei ordnungsgemäßer Aufklärung den Eingriff in gleicher Weise von ihm hätte durchführen lassen. Nicht ausreichend ist es insofern, wenn der Beklagte darauf hinweist, dass der Kläger sich mit beachtlichen und schmerzhaften Beschwerden sowie dem Wunsch nach Schmerzlinderung eigeninitiativ bei ihm in der Praxis am ….2010 vorgestellt habe. Auch die Ausführungen des Beklagten, dass die bei dem Kläger eingetretene Beschwerdesymptomatik auch als Gelegenheitsursache bei geringer Alltagsbelastung hätte eintreten können, stellen keinen ausreichend substantiierten Vortrag dar.

Anmerkung:

Auffällig ist, dass das OLG den Gesichtspunkt der besseren Erinnerung des Patienten an den Eingriff bei seiner Entscheidung in den Vordergrund stellt. Dies ist eine nachvollziehbare und lebensnahe Erwägung. Denkt man dies konsequent weiter, so kommt der Dokumentation des Arztes eine entscheidende Bedeutung zu: Der Arzt kann dann einen Behandlungsablauf (und insbesondere eine Aufklärung) nur dann belegen bzw. beweisen, wenn er diesen ordnungsgemäß und in einer manipulationssicheren Weise dokumentiert hat. Hier fiel dem Arzt auf die Füße, dass er lediglich eine einfache, nicht den aktuellen Anforderungen entsprechende Praxis-EDV verwendete. Diese sah das OLG in konsequenter Auslegung der patientenschützenden Norm des § 630 f BGB als nicht ausreichend an.

Das Schmerzensgeld fiel mit EUR 2.000 deshalb vergleichsweise niedrig aus, weil bei dem Patienten bereits eine Grundschädigung der Halswirbelsäule vorlag (Vorschaden).

Zum Thema:

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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