Steht neben dem operativen Vorgehen durch Implantation des Spinalkatheters die Möglichkeit der Fortsetzung der konservativen Therapie mit einer erneuten Änderung der Medikation und einer regelgerechten Psychotherapie medizinisch zur Wahl, so muss der Arzt über beide
Behandlungsalternativen mit unterschiedlichen Belastungen - insbesondere durch den operativen Eingriff einerseits und die zu erwartenden Nebenwirkungen andererseits - und auch mit unterschiedlichen Risiken aufklären (BGH, Beschluss v. 17.12.2013 - VI ZR 230/12).

Im vorliegenden Fall bejahte der BGH einen Aufklärungsfehler.

Die im Jahr 1945 geborene Klägerin leidet seit ihrem 15. Lebensjahr an schweren chronischen Rückenschmerzen. Im Sommer 2004 überwies der behandelnde Schmerztherapeut sie in die stationäre Behandlung des Beklagten zu 2 in einem Krankenhaus der Beklagten zu 1. Da eine Intensivierung der konventionellen medikamentösen Therapie nicht zum Erfolg führte, wurde die Schmerzbehandlung testweise über einen am 24. August 2004 gelegten Epiduralkatheter fortgesetzt. Nachdem hierdurch eine Schmerzreduzierung erreicht worden war, stellte der Beklagte zu 2 die Indikation zur Implantation eines Spinalkatheters im Bereich der Lendenwirbelsäule, durch den die Klägerin zukünftig medikamentös behandelt werden sollte. Am 26. Oktober 2004 führte der Beklagte zu 2 den Eingriff durch. Nachdem die Klägerin postoperativ über neurologische Auffälligkeiten geklagt hatte, bestätigten verschiedene Untersuchungen den Verdacht auf eine Radikulopathie. Der Katheter wurde deshalb am 27. Oktober 2004 wieder entfernt. Trotz späterer Besserung der neurologischen Symptome verblieb bei der Klägerin ein inkomplettes Cauda-equina-Syndrom.

Auch dem vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang in Bezug genommenen, nur unvollständig ausgefüllten allgemeinen Aufklärungsformular lässt sich keine konkrete Aufklärung über bestimmte Behandlungsalternativen entnehmen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist zwar die Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes. Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erfordert aber eine Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten (Urteil vom 13. Juni 2006 - VI ZR 323/04, BGHZ 168, 103 Rn. 13 mwN; Beschluss vom 19. Juli 2011 - VI ZR 179/10, VersR 2011, 1450 Rn. 6). Einer der dabei in Betracht kommenden Fälle ist der, dass als Alternative zu einer sofortigen Operation die Fortsetzung einer konservativen Behandlung medizinisch zur Wahl steht (Senatsurteile vom 24. November 1987 - VI ZR 65/87, VersR 1988, 190, 191 und vom 22. Februar 2000 - VI ZR 100/99, VersR 2000, 766, 767). Nach diesen Grundsätzen hätte die Klägerin zur Wahrung ihres Selbstbestimmungsrechts über die Alternative einer Fortsetzung der konservativen Therapie unterrichtet werden müssen.

Das Berufungsgericht geht selbst davon aus, dass für den Eingriff vom 26. Oktober 2004 lediglich eine relative Indikation bestand, weil es aus medizinischer Sicht möglich ist und vom Patienten gewollt sein kann, die Schmerzzustände weiter auf konventionellem Wege zu bekämpfen. Diese Annahme beruht auf den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen. Danach sind alle invasiven Behandlungsformen bei Rückenschmerzen umstritten und die vorliegenden Daten aus kontrollierten Studien reichen nicht aus, um die rückenmarksnahe Medikamentenapplikation eindeutig zu bewerten; es handele sich um einen Versuch, der glücken könne, der aber auch ohne Erfolg bleiben könne. Ausgehend von dieser grundsätzlichen Einschätzung hat der Sachverständige den bei der Klägerin durchgeführten Eingriff zwar auf Grund ihres langen Leidens und der zuvor durchgeführten konservativen Schmerztherapie letztlich für vertretbar, nicht aber für alternativlos gehalten. Er selbst hätte nach seiner Aussage wahrscheinlich die Therapie noch etwas weiter konservativ fortgesetzt.

So hätte an Stelle eines invasiven Verfahrens zunächst die Medikamentendosierung weiter erhöht werden können, auch wenn dies höchstwahrscheinlich mit weiteren starken Nebenwirkungen verbunden gewesen wäre. Des Weiteren hat der Sachverständige im Einklang mit den beiden im vorgerichtlichen Schlichtungsverfahren erstatteten Gutachten die große Rolle psycho-sozialer Faktoren bei der Ausprägung und dem Verlauf chronischer Schmerzen betont. Im vorliegenden Fall wäre deshalb aus seiner Sicht eine über eine bloße Gesprächstherapie hinausgehende regelgerechte Psychotherapie angezeigt gewesen.
[12] Nach diesem Beweisergebnis ist das Berufungsgericht zwar mit Recht davon ausgegangen, dass die Implantation des Spinalkatheters vertretbar war.
[13] Neben diesem invasiven Vorgehen stand aber eine Fortsetzung der konservativen Therapie mit einer erneuten Änderung der Medikation und einer regelgerechten Psychotherapie medizinisch zur Wahl. Da beide Behandlungsalternativen mit unterschiedlichen Belastungen - insbesondere durch den operativen Eingriff einerseits und die zu erwartenden Nebenwirkungen andererseits - und - wie die eingetretenen Behandlungsfolgen zeigen - auch mit unterschiedlichen Risiken für die Klägerin verbunden waren, hätten ihr beide Alternativen näher erläutert werden müssen. Dies gilt, worauf die Beschwerde mit Recht hinweist, erst recht in Anbetracht der vom Sachverständigen als zweifelhaft eingeschätzten Erfolgsaussichten eines invasiven Vorgehens (vgl. Senatsurteil vom 22. Dezember 1987 - VI ZR 32/87, VersR 1988, 493, 494).

Der Annahme einer Aufklärungspflicht steht auch nicht entgegen, dass nach den Angaben des Beklagten zu 2 bei seinen persönlichen Anhörungen der erstbehandelnde Arzt ihm gegenüber erklärt hat, "psychologisch [sei] alles abgeklärt" (Seite 8 der Sitzungsniederschrift vom 2. Dezember 2010) beziehungsweise "bei der Klägerin [sei] im Prinzip alles Konservative gelaufen" (Seite 2 des Berichterstattervermerks vom 28. März 2012). Denn nachdem der Beklagte zu 2 die Behandlung der Klägerin übernommen hatte, musste er die Therapiewahl eigenverantwortlich überprüfen (vgl. OLG Naumburg, VersR 1998, 983 f.; MünchKommBGB/Wagner, 6. Aufl., § 823 Rn. 753; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12. Aufl., Rn. 281). Dazu musste er sich hinreichend präzise Kenntnisse über den vorangegangenen Behandlungsverlauf verschaffen und durfte sich nicht allein auf die pauschale mündliche Äußerung des erstbehandelnden Arztes verlassen. Entsprechendes gilt für die laienhafte eigene Einschätzung der Klägerin in den Fragebögen.

Anmerkung:
Bemerkenswert ist, dass alle invasiven Behandlungsformen bei Rückenschmerzen umstritten sind und die vorliegenden Daten aus kontrollierten Studien nicht ausreichen, um die rückenmarksnahe Medikamentenapplikation eindeutig zu bewerten. Damit ist dies nur eine Art Heilversuch, nicht aber ein anerkanntes Verfahren. Auch wenn Patientin schon lange an Rückenbeschwerden litt und auch schon konservative Behandlungen erhalten hatte, war damit die Fortsetzung der konservativen Therapie noch eine Option. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Risiken einer Fortsetzung konservativer Therapien geringer sind als die einer operativen Behandlung. Somit muss der Arzt die Patientinüber die Möglichkeit einer Fortsetzung der konservativen Therapie aufklären. Tut er dies nicht, haftet er für die Folgen der Operation, hier ein Kauda-Equina-Syndrom mit anhaltenden Schmerzen und Inkontinenz. Das von dem Arzt verwendete Aufklärungsformular war allerdings nur unvollständig ausgefüllt und konnte damit den Arzt nicht entlasten.

Zum Thema:

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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