Eine gesonderte Vergütung für die geleisteten Rufbereitschaften und Bereitschaftsdienste nach § 612 BGB steht dem Chefarzt nicht zu, sofern er eine Gesamtvergütung bezieht, die die Beitragsbemessungsgrenze zur gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet (LAG Hamm, Urteil vom 13.03.2013 - 18 Sa 1802/12 -).

Der Fall:

Im Kern geht es um die Frage, ob ein Chefarzt für Überstunden ein weiteres Entgelt verlangen kann oder ob die Überstunden durch seinen hohen Lohn mutabgegolten sind.

Die Beklagte betreibt in M1 das St. W1-Krankenhaus. Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.10.2004 als leitender Abteilungsarzt der Hauptabteilung Nephrologie beschäftigt.

Im Frühjahr 2004 verhandelten die Parteien über den Abschluss eines Dienstvertrags. Dabei brachte der Kläger mit Schreiben vom 22.03.2004 (Ablichtung Bl. 135 f. der Akten) seine Vorstellungen zum Ausdruck. Schließlich schlossen die Parteien am 12.05.2004 einen Dienstvertrag (Ablichtung Bl. 13-31 d.A.). Dieser enthält hinsichtlich der zu zahlenden Vergütung unter § 3 die nachfolgende Regelung:

Entgelte für die Tätigkeiten im dienstlichen Aufgabenbereich

(1) Vergütung

1. Der Arzt erhält für seine Tätigkeit im dienstlichen Aufgabenbereich eine monatliche, nachträglich zahlbare Vergütung, die sich aus einer dem Lebensalter entsprechenden Grundvergütung und dem Ortszuschlag zusammensetzt und in Anlehnung an die Vergütungsgruppe 1 der AVR in der jeweils geltenden Fassung berechnet wird.

2. Der Arzt erhält eine Weihnachtszuwendung in Anlehnung an die Bestimmungen in Abschnitt XIV der Anlage 1 zu den AVR in der jeweils geltenden Fassung.

3. Der Arzt erhält in jedem Kalenderjahr ein Urlaubsgeld in Anlehnung an die Bestimmungen in Abschnitt II der Anlage 14 zu den AVR in der jeweils geltenden Fassung.

4. Sollte der Dienstgeber mit den Beschäftigten bzw. der Mitarbeitervertretung Maßnahmen, die zur Sanierung des Krankenhauses beitragen, vereinbaren, so gelten diese auch für den Arzt.

5. Der Arzt erhält eine Zulage zur monatlichen Vergütung und zur Weihnachtszuwendung in Höhe von 2.140,- €. Diese Zulage unterliegt keinen tariflichen Anpassungen bzw. Gehaltserhöhungen.

Klarstellend wird festgehalten, dass der Arzt somit insgesamt (AVR-Vergütung nach Nr. 1, 2 und Nr. 3 sowie Zulage nach Nr. 5) ein Bruttoeinkommen von 100.000,- € (in Worten einhunderttausend Euro) erhält.

6. Mit der Zulage nach Nr. 5 sind Überstunden sowie Mehr-, Samstags-, Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit jeder Art sowie Bereitschaftsdienste, Rufbereitschaftsdienste und Unterrichtserteilung abgegolten.

Nimmt der Arzt nach entsprechender Freistellung durch den Dienstgeber generell nicht am Rufbereitschaftsdienst und/oder an der Unterrichtserteilung anteilig teil, erstattet er dem Krankenhaus die dadurch entstehenden Kosten.

In § 4 des Anstellungsvertrages wurde dem Kläger ein Liquidationsrecht für gesondert berechenbare wahlärztliche Leistungen und für Gutachterhonorare eingeräumt.

Auf der Grundlage dieser vertraglichen Vereinbarungen erzielte der Kläger ein Festgehalt in Höhe von 102.657,54 € im Jahr 2009, von 105.826,25 € im Jahr 2010 und von 106.127,11 € im Jahr 2011. Aus Privatliquidationen erzielte der Kläger weitere 20.500,23 € im Jahr 2009, 19.617,20 € im Jahr 2010 und 16.516,62 € im Jahr 2011. Wegen der Zusammensetzung seiner aktuellen monatlichen Vergütung wird auf die Vergütungsabrechnung für den Monat Januar 2012 (Ablichtung Bl. 32 d.A.) Bezug genommen.

Hinsichtlich der Teilnahme des Klägers an Rufbereitschaftsdiensten trifft § 2 Abs. 3 Nr. 1 des Dienstvertrags die nachfolgende Regelung:

Der Arzt ist innerhalb seines ärztlichen Aufgabenbereiches für den geordneten und wirtschaftlich geführten Dienstbetrieb in seiner Abteilung verantwortlich und hat ihn abzustimmen mit den anderen Diensten des Krankenhauses. Er hat die Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaftsdienste entsprechend den Regelungen der Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) sicherzustellen.

Der Arzt ist verpflichtet, an diesen Diensten der Abteilung mit den anderen Fachärzten der Abteilung turnusgemäß im Wechsel teilzunehmen (durchschnittlich mindestens 10 Rufbereitschaftsdienste im Monat).

In den Jahren 2009 bis 2011 leistete Kläger regelmäßig etwa 15 Rufbereitschaftsdienste monatlich, davon etwa 30 % an Wochenenden und Feiertagen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 01.03.2012 ließ der Kläger u.a. Vergütungsnachzahlungen für die von ihm in den Jahren 2009 bis 2011 geleisteten Rufbereitschaftsdienste geltend machen (Ablichtung Bl. 36 ff. d.A.).

Mit seiner am 27.07.2012 erhobenen Klage hat er diese Ansprüche weiter verfolgt. Er hat die Ansicht vertreten, die Regelung in § 2 Abs. 3 Nr. 1 des Dienstvertrags, nach der er verpflichtet sei, "durchschnittlich mindestens 10 Rufbereitschaftsdienste im Monat" zu leisten, sei wegen Intransparenz gemäß § 307 BGB unwirksam. Damit sei auch die Vergütungsregelung in § 3 Abs. 1 Nr. 6 des Dienstvertrags jedenfalls insofern unwirksam, als durch die Funktionszulage in Nr. 5 auch Rufbereitschaftsdienste abgegolten seien. Zudem habe die Regelung in § 3 Abs. 1 Nr. 5 des Dienstvertrags ohnehin nur den Zweck gehabt, sicher zu stellen, dass er ein Gehalt in Höhe von mindestens 100.000,- € erhalte; die Zulage sei keine Gegenleistung für Bereitschaftsdienste gewesen. Da der Dienstvertrag keine wirksame Regelung zur Leistung von Rufbereitschaftsdiensten sowie deren Vergütung enthalte, sei für die geleisteten Rufbereitschaftsdienste ein zusätzliches Entgelt zu zahlen. Der Kläger müsse sich nicht entgegenhalten lassen, er könne für die zusätzlich geleisteten Rufbereitschaftsdienste keine gesonderte Vergütung erwarten. Vielmehr bestehe auch bei Oberärzten und Chefärzten hinsichtlich geleisteter Rufbereitschaftsdienste eine Vergütungserwartung. Diese werde durch die Regelungen in § 9 Abs. 1 AVR sowie § 8 Abs. 3 TVöD dokumentiert. In Anlehnung an die Regelungen der AVR sowie des TVöD hat der Kläger bezogen auf seine Rufbereitschaftsdienste aus dem Jahre 2009 einen zusätzlichen Vergütungsanspruch in Höhe von mindestens 24.499,29 € ermittelt, für die Dienste aus dem Jahre 2010 einen zusätzlichen Vergütungsanspruch in Höhe von 24.810,27 € und für 2011 einen zusätzlichen Vergütungsanspruch in Höhe von 24.963,90 €. Wegen der Einzelheiten der Berechnungen wird auf Seite 9 der Klageschrift (Bl. 9 d.A.) Bezug genommen. Der Kläger hat zudem die Erwägung angestellt, dass für die Rufbereitschaftsdienste eine Bereitschaftsdienstvergütung zu zahlen sei. Hieraus ergebe sich ein noch höherer Vergütungsanspruch.

Die Entscheidung:

Das LAG Hamm wies die Klage des Chefarztes auf Zahlung weiterer Vergütung ab.

Zwar kann die pauschale Abgeltung von Bereitschaftsdiensten und Rufbereitschaften im Arbeitsvertrag tatsächlich unwirksam sein, wenn nicht klar ist, in welchem Umfang solche Dienste auf den Arbeitnehmer zukommen. Hier kam das LAG aber zu einem anderen Ergebnis. Denn aufgrund der „herausgehobenen Vergütung“ des Chefarztes komme es nicht darauf an. Selbst wenn die pauschale Abgeltungsklausel unwirksam sei, könne er kein zusätzliches Geld verlangen.

Denn berücksichtigt man die Umstände des Streitfalls, fehlt es an der dafür erforderlichen "Vergütungserwartung" des Chefarztes.

Der Kläger schuldet als Chefarzt Dienste höherer Art. Er hat die Abteilung Nephrologie fachlich zu leiten und ist in seiner ärztlichen Tätigkeit unabhängig (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 und 2 des Arbeitsvertrages vom 12.05.2004). Der Chefarzt einer Fachabteilung ist, wenn ihm diese Leitungsbefugnisse zukommen, mit einem leitenden Angestellten vergleichbar (so auch BAG, Urteil vom 17.03.1982 - 5 AZR 1047/79). Bei leitenden Angestellten wird jedoch die Vergütung unabhängig von der üblichen Arbeitszeit vereinbart. Mehrarbeit, die sich daraus ergibt, dass der Chefarzt die ihm verantwortlich übertragenen Aufgaben erledigt, ist grundsätzlich mit der vereinbarten Vergütung abgegolten; dies gilt jedenfalls dann, wenn neben dem Gehalt auch noch ein Liquidationsrecht vereinbart ist (BAG, Urteil vom 17.03.1982 - 5 AZR 1047/79). Im Streitfall steht dem Kläger ein solches Liquidationsrecht nach § 4 des Dienstvertrages vom 12.05.2004 zu. Das Liquidationsrecht schafft schon Anreize dafür, dass der Chefarzt über die betriebliche Arbeitszeit hinaus tätig wird und dafür ein höheres Einkommen erzielt (BAG, Urteil vom 17.03.1982 - 5 AZR 1047/79). Eine bestimmte Arbeitszeit, auf die sich die Vergütung des Klägers beziehen soll, haben die Parteien demgegenüber nicht vereinbart.

Gegen das Bestehen einer objektiven Vergütungserwartung spricht die Höhe der Vergütung, die der Kläger erzielte. Der Kläger erhält eine herausgehobene Vergütung, die die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung deutlich überschreitet. Dies gilt schon dann, wenn man die Einnahmen aus privatärztlicher Liquidation unberücksichtigt lässt. Der Kläger erzielt eine vertraglich festgelegte Vergütung in Höhe von 100.000 € jährlich (§ 3 Abs. 5 S. 3 des Dienstvertrages); die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung beträgt 69.600 € jährlich im Jahr 2013, sie betrug 64.800 € im Jahr 2009 und 66.000 € in den Jahren 2010 und 2011. Wer mit seinem Entgelt, das er aus abhängiger Beschäftigung erzielt, die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet, gehört zu den Besserverdienern, die aus Sicht der beteiligten Kreise nach der Erfüllung ihrer Arbeitsaufgaben und nicht nach der Erfüllung eines bestimmten Stundensolls beurteilt werden (BAG, Urteil vom 22.02.2012 - 5 AZR 765/10).

Das Argument des Chefarztes, er verdiene dann weniger als ein Oberarzt, ließ das LAG nicht gelten. Denn der Chefarzt habe hierbei seine Erlöse aus der sogenannten Privatliquidation außen vor gelassen. Diese sei aber „Teil der Gesamtvergütung eines Chefarztes“.

Mit anderen Worten: Wer derart hoch entlohnt wird, erhält den Lohn nicht für geleistete Stunden, sondern für erbrachte Ergebnisse. Er arbeitet also ergebnisbezogen. Wer mit seinem aus abhängiger Beschäftigung erzielten Entgelt die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet, gehört zu den Besserverdienern, die aus der Sicht der beteiligten Kreise nach der Erfüllung ihrer Arbeitsaufgaben und nicht eines Stundensolls beurteilt werden. Ihnen und ihren Arbeitgebern fehlt regelmäßig die objektive Vergütungserwartung für ein besonderes Entgelt als Gegenleistung für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit.

Das LAG hat die Revision zugelassen.

Praxistipp:

Chefärzte müssen berücksichtigen, dass Überstunden etc. mit der Vergütung abgegolten sind, soweit im Dienstvertrag nichts anderes geregelt ist. Dies ist bei den Vertragsverhandlungen mit dem zukünftigen Arbeitgeber zu berücksichtigen. Um Unklarheiten zu vermeiden empfiehlt es sich, im Dienstvertrag ausdrücklich zu regeln, ob und wenn ja wie Überstunden, Rufbereitschaften und ähnliches zu vergüten sind.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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