1. Wenn mit einer schwangeren Patientin im Rahmen der vorgeburtlichen Aufklärung ein Entbindungskonzept vereinbart wurde, wonach es wegen der bestehenden relativen Indikation für einen Kaiserschnitt in Betracht kommen sollte, von der zunächst primär vorgesehenen Vaginalgeburt zur Kaiserschnittgeburt im Falle einer hierfür entstehenden medizinischen Notwendigkeit wechseln zu können, ist es der Patientin unbenommen, das festgelegte Entbindungskonzept zu ändern und unmittelbar die Vornahme einer Kaiserschnittgeburt zu verlangen (OLG Hamm, Beschluss vom 16.03.2011 - 3 U 75/10 -).

2. Zur Änderung des festgelegten Entbindungskonzepts durch die Patientin ist gegenüber der Behandlerseite eine ausdrückliche und eindeutige Distanzierung von dem ursprünglich vereinbarten Entbindungskonzept erforderlich, aus welcher für die Behandlerseite deutlich wird, dass die zunächst erklärte Einwilligung für eine Vaginalgeburt nicht mehr besteht.

Tatbestand:
Die Mutter hatte bereits ein Kind durch Kaiserschnitt geboren. Deshalb bestand für die weitere Geburt eine sog. relative Indikation für einen Kaiserschnitt. In einem Vorgespräch zu der anstehenden Geburt wurde vereinbart, dass das Kind per natürlicher Vaginalgeburt zur Welt gebracht werden sollte. Wegen der relativen Indikation zum Kaiserschnitt sollten die Ärzte in der Geburt aber wechseln können hin zur Kaiserschnittentbindung, soweit dafür in der Geburt eine medizinische Notwendigkeit dafür entsteht.

Während des vaginalen Geburtsvorganges entschied sich die Mutter wegen der starken Schmerzen aber, doch zur Kaiserschnittsgeburt überzugehen. Dies teilte sie den behandelnden Ärzten mit. Die Ärzte entbanden das Kind gleichwohl auf natürlichem Wege. Wegen der damit entstandenen Schmerzen verlangte die Mutter Schmerzensgeld.

Entscheidung:
Der Wechsel des Behandlungskonzeptes war nicht rechtswidrig. Um die rechtfertigende Einwilligung für die Vaginalgeburt zurück zu ziehen (und damit die Behandlung mangels Einwilligung rechtswidrig zu machen), hätte die Mutter ausdrücklich und eindeutig erklären müssen, dass sie das bisherige Behandlungskonzept aufgibt.
Im Übrigen stellt die Nichtbeachtung des Willens der Patientin keinen Behandlungsfehler dar.  

Der Beschluss im Wortlaut:

Gründe:

1.

Die Berufung der Klägerinnen gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts Hagen hat gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO keine Aussicht auf Erfolg.

Das Landgericht hat die auf Schmerzensgeldleistung für die Klägerin zu 1) sowie auf Feststellung der materiellen und immateriellen Schadensersatzpflicht gegenüber der Klägerin zu 2) gerichtete Klage wegen im Zusammenhang mit der Geburt der Klägerin zu 2) im Krankenhaus der Beklagten zu 1) vom 03.01.2008 vermeintlich erfolgter Behandlungsfehler nach den getroffenen Feststellungen zu Recht abgewiesen. An die Feststellungen, die das Landgericht aufgrund der Begutachtung des Sachverständigen Prof. Dr. D getroffen hat, ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Die Berufung, mit der im Wesentlichen nur noch geltend gemacht wird, dass die Klägerin zu 1) angeblich zu Beginn der Behandlung am 03.01.2008 den Wunsch nach einer Kaiserschnittentbindung geäußert habe, zeigt keine Anhaltspunkte auf, die eine für die Klägerinnen günstigere Entscheidung gebieten.

a)
Eine Haftung der Beklagten lässt sich nicht aufgrund der von den Klägerinnen für den 03.01.2008 behaupteten Bitte der Klägerin zu 1) gegenüber den Behandlern im Krankenhaus der Beklagten zu 1), die Entbindung nunmehr im Wege eines Kaiserschnitts vorzunehmen, begründen.

aa)
Eine solche Haftung der Beklagten scheidet zunächst unter dem Gesichtspunkt eines etwaigen Behandlungsfehlers aus. Der Sachverständige hat hierzu in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass nach den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe bei der Klägerin zu 1) nur eine relative Indikation für eine primäre Kaiserschnittentbindung gegeben war, weil ihr erstes Kind schon ebenfalls im Wege eines Kaiserschnitts entbunden wurde. Er hat dargelegt, dass aus etwaigen anderen Gründen weder von vornherein noch im Verlaufe der Geburt eine zwingende Indikation für einen Kaiserschnitt bestanden hat. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung beim Landgericht hat der Sachverständige ergänzend bekundet, dass es unter Berücksichtigung der übrigen Umstände nicht als Behandlungsfehler anzusehen ist, wenn einem Wunsch der Klägerin zu 1) nach einem Kaiserschnitt seitens der Beklagten nicht entsprochen worden ist.

bb)
Eine Haftung der Beklagten kann auch nicht deshalb angenommen werden, wenn man das Vorbringen der Klägerinnen dahin verstehen will, dass aufgrund des angeblich geäußerten Wunsches nach einer Schnittentbindung durch die Klägerin zu 1) ihre erforderliche Einwilligung für die Durchführung der tatsächlich vorgenommenen Vaginalentbindung gefehlt haben soll. Insoweit ist in tatsächlicher Hinsicht für die weitere rechtliche Betrachtung gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aufgrund des in den Krankenunterlagen dokumentierten Ablaufs, der hierzu vom Sachverständigen vorgenommenen Bewertung und dem hiermit übereinstimmenden Vortrag der Klägerinnen in ihrer Klageschrift vom Senat als bindend zugrundezulegen, dass mit der Klägerin zu 1) im Rahmen der am 30.12.2007 vorgenommenen Aufklärung durch die Beklagte zu 3) ein Behandlungskonzept vereinbart wurde, wonach es wegen der bestehenden relativen Indikation für einen Kaiserschnitt nach bereits erfolgter Kaiserschnittgeburt alternativ in Betracht kommen sollte, von der zunächst primär vorgesehenen Vaginalgeburt zur Schnittentbindung im Falle einer hierfür entstehenden medizinischen Notwendigkeit wechseln zu können (vgl. allgemein zur Bedeutung eines Entbindungskonzepts BGH, NJW 1989, 1538 ff.; BGH, NJW 1993, 781, 782; OLG Stuttgart, VersR 1991, 1141, 1144; OLG Hamm, Urteil vom 08.03.2004  3 U 125/03 -). Der gebärenden Mutter als natürlicher Sachwalterin des ungeborenen Kindes ist es im Falle einer zumindest relativen Indikation zu einer anderen Entbindungsart indes unbenommen, das einmal festgelegte Entbindungskonzept zu ändern, wobei nach den allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB unter der erforderlichen Berücksichtigung des Empfängerhorizonts hierfür zu verlangen ist, dass der Behandlerseite ausdrücklich deutlich gemacht wird, dass nunmehr von dem ursprünglich vereinbarten Entbindungskonzept abgewichen werden soll (vgl. Bender, Entbindungsmethoden und ärztliche Aufklärungspflicht, NJW 1999, 2706, 2709). Eine solche eindeutige Distanzierung von dem ursprünglich vereinbarten Entbindungskonzept, welches eine primäre Vaginalgeburt beinhaltete, liegt nach der bereits der Klageschrift zu entnehmenden Schilderung der Umstände des Ablaufs der Geburt durch die Klägerin zu 1) nicht vor. Demnach war der Wunsch der Klägerin zu 1) nach einem Kaiserschnitt im Rahmen des Geburtsverlaufs ersichtlich nur unter dem Eindruck der immer stärker werdenden Wehen und der hierdurch ebenfalls wachsenden Schmerzen geprägt, was letztlich auch die von den Klägerinnen behauptete Reaktion der Behandlerseite belegt, welche einen Kaiserschnitt mit der Begründung abgelehnt haben sollen, dass die Wehen doch "so schön" seien. Dass die Klägerin zu 1) unter diesen Umständen mit der Äußerung eines Wunsches auf Vornahme einer Schnittentbindung das zuvor vereinbarte Entbindungskonzept und damit dessen elementare Grundlage, nämlich die für einen Wechsel erforderliche medizinische Notwendigkeit, aufgeben wollte mit der weitreichenden Folge eines Zurückziehens der bestehenden Einwilligung für eine Vaginalgeburt, war für die Behandlerseite weder ersichtlich noch erkennbar. Deshalb waren die Durchführung und Fortsetzung der Vaginalgeburt keineswegs rechtswidrig.

b)
Soweit mit der Berufung ergänzend beanstandet wird, dass der Klägerin zu 1) zunächst wehenfördernde Mittel gegeben worden seien, hat der Sachverständige im Rahmen seiner Anhörung beim Landgericht hierzu ausdrücklich ausgeführt, dass dies bei Beginn der Geburt keinen Behandlungsfehler darstellt.

2.
Auch die übrigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO liegen vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Berufungsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.


Hinweis:
Auch wenn die Mutter in der Entbindung spontan wünscht, dass das Entbindungskonzept geändert wird (von der Vaginalgeburt zum Kaiserschnitt), muss aus Sicht des OLG Hamm die dann doch durchgeführte Entbindung durch Vaginalgeburt nicht rechtswidrig sein. Die Nichtbeachtung des Wunsches der Patientin zur Kaiserschnittgeburt ist erst dann rechtswidrig, wenn der Wunsch ausdrücklich und eindeutig geäußert wurde. Das Gericht weist darauf hin, dass die klagende Patientin mit den behandelnden Ärzten vereinbart hatte, dass das Entbindungskonzept geändert werden kann, wenn der Wechsel von einem zum anderen Entbindungskonzept medizinisch notwendig ist. Das Gericht sah dies hier nicht als gegeben an, weil es der Meinung war, der Wunsch der Patientin sei durch die immer stärker werdenden Schmerzen der Patientin geprägt gewesen. Deshalb ging das Gericht davon aus, dass die Patientin das vereinbarte Entbindungskonzept als elementare Grundlage der Einwilligung nicht für die Ärzte erkennbar aufgeben wollte.

Die Entscheidung ist deshalb fehlerhaft, weil es die Hürden für einen Wechsel des Entbindungskonzeptes zu hoch legt. Das OLG Hamm stellt in unnatürlicher Weise auf den Blickwinkel der Ärzte ab. Das Gericht verlangt von der Patientin quasi, dass sie den Ärzten erklärt, sie wolle unabhängig von der medizinischen Indikation das Behandlungskonzept ändern. Dies kann in einer Entbindungssituation, die von starken Schmerzen und Stress geprägt ist, von der Patientin nicht verlangt werden. Das Urteil läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass das vorher festgelegte Behandlungskonzept in der laufenden Entbindung von der Patientin nicht mehr geändert werden kann. Damit wird das Selbstbestimmungsrecht der Patientin ausgehöhlt. Zugleich wird der von der Patientin in der Entbindung geäußerte Wunsch entwertet. Es muss dem Patienten möglich sein, sich auch in einer laufenden Behandlung von einem Konzept zu lösen, mag dies auch nicht "medizinisch notwendig" sein. Andernfalls könnten die Ärzte unter Hinweis auf eine medizinische Notwendigkeit einen von ihrer Meinung abweichenden Behandlungswunsch immer ignorieren.
Dem Patienten kann hier nur geraten werden, sich nicht auf ein Behandlungskonzept vorab festzulegen. Soweit der Patient dies doch tun will, soll er sich Änderungen vorbehalten. Der Patient geht den sichersten Weg, wenn er den Inhalt des Vorgespräches mit dem Arzt noch einmal schriftlich zusammenfasst und dem Arzt vor Beginn der Behandlung zusendet (z.B. per E-mail) und ihn zugleich bittet, sich zu äußern, wenn dies von dem Besprochenen abweicht. Des weiteren sollte sie in der Entbindung ausdrücklich erklären, dass sie sich von dem Konzept des Wechsels "nur bei medizinischer Indikation" lösen will und unabhängig davon das Konzept wechseln will. Dies sollte unter Zeugen geschehen, ansonsten kann es in einem Rechtsstreit nicht nachgewiesen werden.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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