Keine Vertragsstrafe für junge Ärztin nach deren Kündigung(17.4.2023) Ein Arbeitgeber kann von einer Ärztin in Weiterbildung für den Fall ihrer Kündigung des Weiterbildungsvertrages vor Abschluss der Facharztweiterbildungszeit nicht die Zahlung von drei Monatsgehältern als Vertragsstrafe verlangen. Denn eine solche Vertragsstrafe ist unverhältnismäßig und daher unwirksam (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.10.2022 - 8 AZR 332/21). 

Der Fall:

Eine vertragsärztliche Gemeinschaftspraxis und eine Assistenzärztin schlossen Anfang 2016 einen Arbeitsvertrag. Danach war die damals 31jährige Ärztin als ärztliche Mitarbeiterin zur Weiterbildung zur Fachärztin in der Gemeinschaftspraxis beschäftigt. Der Vertrag sah u.a. vor, dass (nach Beendigung einer Probezeit), die Ärztin den Vertrag für die Dauer von 42 Monaten nicht mehr kündigen konnte. Sollte sie dies dennoch tun, verpflichtete sie der Arbeitsvertrag, der Gemeinschaftspraxis eine Vertragsstrafe von drei Bruttomonatsgehältern zu zahlen. Mit dem Antritt des Arbeitsverhältnisses bei der Gemeinschaftspraxis (später: MVZ) begann für die Ärztin der erste Abschnitt ihrer 60-monatigen Weiterbildung zur Fachärztin für Dermatologie und Venerologie.

Während ihrer Weiterbildung führte die Ärztin im ambulanten Dienst eine Sprechstunde durch. Dabei standen ihr die ausbildenden Ärzte bei Bedarf unterstützend zur Verfügung. Außerdem überwachten diese die Weiterbildung der Ärztin, indem sie deren Weiterbildungsnachweise prüften. Diese Tätigkeit nahm zwischen 20 und 40 Minuten täglich in Anspruch.

Mit Schreiben vom 29.1.2018 kündigte die Ärztin das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 28.2.2018. Zur Begründung berief sie sich auf familiäre Umstände, die einen Wohnortwechsel zu ihrem Ehemann zwingend notwendig machten.

Das MVZ verlangte von der Ärztin die Zahlung einer Vertragsstrafe von über 13.000 € und verweigerte der Ärztin die Zahlung ausstehenden Gehaltes.

Die Ärztin klagte daraufhin auf Zahlung des ausstehenden Lohnes, das MVZ klagte seinerseits auf Zahlung der Vertragsstrafe. 

Nachdem das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht eine Pflicht zur Zahlung einer Vertragsstrafe verneint hatten, rief das MVZ das Bundesarbeitsgericht (BAG) an.

Die Entscheidung:

Das BAG entschied nun im Sinne der Ärztin und stellte fest, dass die Ärztin nicht verpflichtet ist, die im Arbeitsvertrag festgelegte Vertragsstrafe zu bezahlen:

Die Vertragsstrafenregelung des Arbeitsvertrags stelle eine Allgemeine Geschäftsbedingung dar, die die junge Ärztin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Deshalb sei die vertragsstrafenregelung unwirksam. Die Bestimmung führte nämlich zu einer Übersicherung der Arbeitgeberin. Denn die Arbeitgeberin könnte auch dann eine volle Vertragsstrafe fordern, wenn die Ärztion direkt nach Beendigung der Probezeit kündigte. Zu diesem frühen Zeitpunkt hätte der Arbeitgeberin aber noch gar kein entsprechender Schaden entstehen können, für dessen Ausgleich eine Vertragsstrafe sorgen soll. In diesem Zusammenhang arbeitete das Bundesarbeitsgericht heraus, dass die Arbeitgeberin zwar einen bestimmten Aufwand für die Weiterbildung der Ärztin betreiben muss. Dieser rechtfertige aber nicht eine derart hohe Vertragsstrafe. Die Vertragsstrafe ließe sich auch nicht damit rechtfertigen, dass eine Nachbesetzung der Stelle - wie die Arbeitgeberin geltend gemacht hat - nicht innerhalb eines Monats hätte erfolgen können. Zwar erkennt das BAG an, dass ein Arbeitgeber durchaus ein berechtigtes Interesse haben kann, sich die Arbeitskraft eines Arbeitnehmers durch eine lange Vertragsdauer zu sichern und auch, dass er ein Interesse hat, diese lange Laufzeit mit einer Vertragsstrafe abzusichern. Allerdings gibt das BAG hier zu bedenken, dass gerade die Kombination eines langfristigen Kündigungsausschlusses mit einer hohen Vertragsstrafe die betroffenen Arbeitnehmer besonders stark beeinträchtige. 

Praxisanmerkung:

Die Ausführungen des Gerichts lassen sich ohne weiteres auch auf Weiterbildungsassistenten im Krankenhaus übertragen.

Krankenhäuser und Gemeinschaftspraxen/MVZ werden also nicht in der Lage sein, langfristige Weiterbildungsverträge mit Assistenzärzten durch Vertragsstrafen abzusichern. Es gilt vielmehr der Grundsatz: "Reisende soll man ziehen lassen". Und die forensichse Erfahrung zeigt, dass eine langfristige Bindung junger Ärzte an eine Weiterbildungsstätte am besten gelingt, indem man die jungen Ärzte gut ausbildet und eine gute kollegiale Bindung zu ihnen aufbaut. In den letzten Jahren ist aber zu beobachten, dass dies insbesondere den Krankenhäusern immer weniger gelingt. Dies führt vermehrt zu Rechtsstreitigkeiten zwischen Krankenhäusern und jungen Ärzten. Junge Ärzte vermissen häufig ein strukturiertes Ausbildungskonzept in den Krankenhäusern. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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