Widerspruchsverfahren(10.11.2022) Die Regelung in § 45 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV, wonach ein Widerspruch eines Arztes gegen einen belastenden Verwaltungsakt der KV bzw. der Zulassungsausschüsse als zurückgenommen gilt, wenn die bei Einlegung des Widerspruchs nach § 46 Ärzte-ZV zu entrichtende Gebühr nicht fristgerecht gezahlt wird, ist mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und unwirksam (Bundessozialgericht, Urteil vom 7.9.2022 - B 6 KA 11/21 R). 

Der Fall:

Streitig ist die Nachbesetzung einer vertragsärztlichen Stelle in einem medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) auf dem Gebiet der Frauenheilkunde und Geburtshilfe.

Die Klägerin betreibt ein zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenes MVZ. Sie erbringt vertragsärztliche Leistungen an ihrem Vertragsarztsitz in Suhl sowie in der Filiale Neuhaus am Rennweg (im Folgenden: Neuhaus) der u.a. auch der streitgegenständliche Versorgungsauftrag betreffend Frauenheilkunde und Geburtshilfe zugewiesen ist. Die Klägerin beschäftigte auf diese Stelle seit April 2017 die angestellte Ärztin Frau B., die zuvor auf ihre Zulassung zugunsten der Anstellung verzichtet hatte. Frau B. war seit Mai 2017 arbeitsunfähig erkrankt, woraufhin mehrere, nahtlos aneinander anschließende und von der Beigeladenen zu 7) genehmigte Vertretungen durch Frau Dipl. med. U. folgten.

Frau B. teilte der Klägerin im September 2017 mit, dass sie ihre ärztliche Tätigkeit krankheitsbedingt werde nicht mehr weiterführen können. Daraufhin beantragte die Klägerin beim Zulassungsausschuss die Erteilung einer Genehmigung zur Nachfolgeanstellung von Frau Dipl. med. U. und im Dezember 2017 die Verlegung der Anstellung von Frau B. in eine andere Filiale in N. (Bahnhofstraße 1).

Der Zulassungsausschuss fasste hierzu am 09.01.2018 insgesamt vier Beschlüsse: Er gab dem Antrag auf Verlegung der Anstellung von Frau B. an einen anderen Standort in N., Bahnhofstraße 1 statt (Bescheid vom 15.02.2018 - Z 26/18 -) und stellte auf der Grundlage einer Mitteilung der Klägerin vom 15.11.2017 fest, dass die Genehmigung zur Beschäftigung der angestellten Ärztin, Frau B. in der Filiale N., Bahnhofstraße 1, am 09.01.2018 endete (Az. Z 27/18). Der Zulassungsausschuss stellte ferner fest, dass die Klägerin kein Recht zur Nachbesetzung des Sitzes auf dem Fachgebiet der Frauenheilkunde in der Filiale N., Bahnhofstraße 1, habe und der Versorgungsauftrag zur Anstellung einer Ärztin/eines Arztes zum 9. Januar 2018 ersatzlos ohne Nachfolger ende (Bescheid vom 15.02.2018 - Z 28/18 -) und schließlich der Antrag der Klägerin auf Anstellung von Frau Dipl. med. U. in der Filiale in Neuhaus, Bahnhofstraße 1, mit Wirkung vom 1. Januar 2018, abgelehnt werde (Bescheid vom 15.02.2018 - Z 29/18 -).

Hiergegen legte das klagende MVZ Widersprüche ein.

Der Beklagte forderte die Klägerin in den getrennt geführten Widerspruchsverfahren jeweils mit Schreiben vom 08.03.2018 zur Entrichtung einer Verwaltungsgebühr in Höhe von 200,00 € auf ein näher bezeichnetes Konto bei der Deutschen Apotheker- und Ärztebank e.G. bis zum 05.04.2018 auf. Die Schreiben enthielten jeweils den Hinweis, dass gemäß § 45 Abs. 1 Ärzte-ZV der Widerspruch als zurück genommen gelte, wenn die Gebühr nicht innerhalb der gesetzten Frist entrichtet worden sei. Die Zahlungen gingen - was unter den Beteiligten unstreitig ist -, am 09.04.2018 (Buchungsdatum) bei der Empfängerbank ein. Die Prozessbevollmächtigten beantragten mit Schriftsatz gleichen Datums die Verlängerung der Zahlungsfrist, hilfsweise eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand analog § 27 SGB X. Die Klägerin habe die Überweisung der Verwaltungsgebühr fristgemäß am Montag, den 02.04.2018 vorgenommen. Vor der Überweisung sei der Klägerin eine ausreichende Deckung angezeigt worden, woraufhin eine Überweisungsbestätigung seitens der Bank erfolgt sei. Aufgrund technischer Probleme seien die Überweisungen entgegen der Bestätigung durch die Bank nicht ausgeführt worden. Vermutlich hätten Parallelbuchungen zu einer fehlenden Deckung geführt bzw. sei die ursprüngliche Anzeige des Kontostands falsch oder nicht aktuell gewesen. Dies habe, auch nach Nachfrage bei dem Bankinstitut, nicht geklärt werden können. Auch sei keine Mitteilung des Bankinstitutes erfolgt, dass die Überweisungsaufträge wegen fehlender Deckung nicht durchgeführt worden seien.

Der beklagte Berufungsausschuss wies die Widersprüche verbunden mit der Feststellung zurück, dass diese gemäß § 45 Ärzte - ZV als zurückgenommen gelten. Die Verwaltungsgebühren seien nicht innerhalb der gesetzten Frist bis zum 05.04.2018 eingezahlt worden.

Das Sozialgericht gab der Klage des MVZ gegen diese Entscheidung statt. Nach Auffassung des Sozialgerichts schafft § 45 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV eine vom Gesetz in den §§ 83 ff. SGG nicht vorgesehene Erschwerung des Zugangs zu den Sozialgerichten und ist daher rechtswidrig (vgl. SG Gotha v. 03.02.2021 - S 2 KA 2702/18).

Dagegen legte der beklagte Berufungsausschuss Sprungrevision zum Bundessozialgericht (BSG) ein.

Die Entscheidung:

Das BSG wies die Revision als unbegründet zurück und bestätigte, dass § 45 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV rechtswidrig ist. 

Einer Partei eines Rechtsstreits ein Rechtsmittel abzusprechen sei ein erheblicher Eingriff in deren Rechte. Dieser Eingriff bedürfe daher einer gesetzlichen Grundlage, Art 80 GG. Die Ärzte-ZV stehe aber lediglich im Rang einer Rechtsverordnung.

Der gesetzliche Rahmen der allein als relevant in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage des § 98 Abs 2 Nr 3 SGB V werde überschritten. Danach müssen die Zulassungsverordnungen Vorschriften über das Verfahren der Ausschüsse entsprechend den Grundsätzen des Vorverfahrens in der Sozialgerichtsbarkeit enthalten. Die Rechtsfolge der fingierten Widerspruchsrücknahme entspreche diesen Grundsätzen gerade nicht. Die Vorschrift des § 45 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV berechtige den Berufungsausschuss über die im SGG geregelten Vorgaben für das Widerspruchsverfahren hinaus, bei nicht fristgerechter Einzahlung der Widerspruchsgebühr den Widerspruch als fingiert zurückgenommen zu behandeln, selbst wenn es um grundrechtsintensive Entscheidungen in Zulassungssachen geht.

Zwar sieht das SGG eine fiktive Klage- bzw Berufungsrücknahme vor, wenn Kläger das Verfahren trotz gerichtlicher Aufforderung länger als drei Monate nicht betreiben. Bei diesen Rücknahmefiktionen handele es sich aber um eng begrenzte gesetzlich geregelte Ausnahmefälle, die nicht auf das Widerspruchsverfahren übertragen werden können.

Praxisanmerkung:

Wessen Widerspruch wegen nicht fristgemäßer Einzahlung der Bearbeitungsgebühr als vermeintlich zurückgenommen behandelt wurde, hat damit gute Chancen, das Widerspruchsverfahren wieder aufzunehmen und seine Rechte weiter zu verfolgen.

Der Entscheidung ist voll zuzustimmen. Es war ohnehin ungerecht, wenn Berufungsausschüsse einerseits für die Beaarbeitung von Widersprüchen teilweise lange Zeiträume benötigen und es auch wenig Möglichkeiten für den Arzt gibt, dies zu beschleunigen, andereseits aber die Berufungsausschüsse Widersprüche als zurückgenommen behandeln konnten, nur weil eine Verwaltungsgebühr nicht fristgenmäß bezahlt wurde.   

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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