Verbandskostenregress(3.11.2022) der Verbandskostenregress gegen eine internistisch – chirurgisch tätige Gemeinschaftspraxis u.a. wegen Verordnung von teuren silberhaltigen Feuchtverbänden zur Behandlung eines offenen, lymphodematösen Beins im Wege der Einzelfallprüfung ist unzulässig, so das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz in einer aktuellen Entscheidung. Das Gericht monierte hier, dass das Prüfgremium eine Einzelfallprüfung durchgeführt hatte, ohne zuvor eine Richtgrößenprüfung angesetzt zu haben. Denn die Richtgrößenprüfung ist zwingend vorrangig (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.8.2022 - L 5 KA 15/21). 

Der Fall: 

Die Behandlung einer multimorbiden älteren Patienten mit einem offenen Bein und extremen Lymphödemen in einer Gemeinschaftspraxis verschlang in den Jahren 2012-2015 hohe Verbandskosten, insbesondere für silberhaltige Feuchtverbände und elastische Binden.

Die gesetzliche Krankenversicherung der Patientin leitete daraufhin ein Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren vor dem Prüfgremium ein. Das Prüfgremium prüfte den Einzelfall. Es konnte die Höhe der Ausgaben auch nach Stellungnahme der behandelnden Ärzte nicht nachvollziehen und hielt diese deshalb für unwirtschaftlich. Wegen dieser Unwirtschaftlichkeit ordnete das Prüfgremium einen Verbandskostenregress von rund 30.000 € an.

Die Ärzte legten Rechtsmittel ein. Schließlich musste nun das Landessozialgericht über den Fall entscheiden.

Die Entscheidung:

Das LSG kam zu dem Schluß, dass einer Einzelfallprüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnung von in das Richtgrößenvolumen des Vertragsarztes fallenden Verbandmitteln der Vorrang der Richtgrößenprüfung entgegen stehe. Dies gelte auch dann, wenn bei dem betroffenen Vertragsarzt keine Richtgrößenprüfung durchgeführt wurde. Die vom Gesetzgeber zum Schutz des Vertragsarztes vorgesehene Toleranzgrenze für sein gesamtes Verordnungsvolumen von Leistungen nach § 31 SGB V würde unterlaufen, wenn es der freien Wahl der Prüfgremien überlassen wäre, anstelle der Richtgrößenprüfung Einzelfallprüfungen durchzuführen. Dies ergebe sich aus Sinn und Zweck von § 84 Abs. 6, § 106 Abs. 5a SGB V aF Diese Rechtsauffassung werde auch vom Bundessozialgericht (BSG, 11.09.2019 - B 6 KA 21/19 R) geteilt: Es gelte der Vorrang der Richtgrößenprüfung. 

Praxisanmerkung:

Eine im Einzelfall sehr teure - und damit möglicherweise unwirtschaftliche - Verordnung von Verbandsmitteln schadet dem verordneden Arzt aus Sicht des LSG also nicht. Erst wenn der Arzt mit den Gesamtverordnungskosten die Richtgrößengrenze überschreitet, kann es zu einer Kürzung der Verbandskosten kommen. 

Für den niedergelassenen Arzt bedeutet dies, dass er die Richtgrößengrenze im Blick behalten muss. Diese sind in den Heilmittel-Richtgrößenvereinbarungen der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen festgelegt. Einzelne teure Behandlungen sind dagegen regelmäßig unproblematisch, solange die Richtgrößengrenze nicht überschritten wird. Sollte der Arzt das Recht größten Volumen und mehr als 15 % überschritten haben (und damit auffällig geworden sein), so kann er dennoch diese Überschreitung u.a. durch Praxisbesonderheiten rechtfertigen.

Sicherheitshalber sollte der Arzt hinreichend dokumentieren, warum bestimmte (teure) Verbandsmittel medizinisch erforderlich sind. Und zwar indem der Arzt, wenn auch kurz, in der Dokumentation ausführt, warum andere, preiswertere Verbandsmittel nicht zum Erfolg geführt haben oder nicht vertragen wurden.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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