Arzt im Gespräch mit Patient(26.10.2022) Wirft eine Patientin einem Krankenhaus vor, dort habe man sie vor einer Hirnoperation falsch aufgeklärt, weil ein Aufklärungsformular verwendet wurde, wonach es "selten" zu schweren bleibenden Störungen kommt, obwohl in ihrem konkreten Fall ein bis zu fünfzigprozentiges Risiko für eine bleibende Störung (hier: unter anderem Lebensgefahr und Gerfahr neurologischer Störungen) bestand, so hat das Gericht sich mit diesem Vorbringen auseinander zu setzen und zu prüfen, ob der aufklärende Arzt damit die Risiken der Operation nicht in unerlaubter Weise verharmlost hat (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.08.2022 - VI ZR 342/21). 

Der Fall:

Im vorliegenden Fall ließ sich eine Frau wegen eines Hirntumors bei der beklagten Klinik operieren. Zuvor unterzeichnete sie ein Aufklärungsformular. In diesem Formular waren zwar diverse Risiken ausdrücklich benannt, unter anderem lebensbedrohliche Komplikationen oder epileptische Anfälle. Allerdings wurde dort auch ausgeführt:

Seien Sie durch die Aufzählung der Komplikationsmöglichkeiten bitte nicht beunruhigt, diese treten keinesfalls regelhaft auf. Im Gegenteil, sie bilden die Ausnahme. Treten dennoch Komplikationen auf, können sich Störungen und Ausfälle im Laufe der Zeit wieder zurückbilden. Nur selten kommt es zu schweren bleibenden Störungen."

Daher warf die Klägerin dem Krankenhaus vor, es habe die Risiken der Operation zwar dargestellt, dann aber an anderer Stelle verharmlost. Deshalb habe sie das Risiko fehlerhaft zu gering eingeschätzt. Die Klägerin monierte des weiteren, der Arzt habe zwar einzelne Passagen der benannten Risiken unterstrichen und damit hervorgehoben (z.B. "lebensbedrohliche Komplikation"). Allerdings habe er die Passage, dass es zu schweren und insbesondere dauerhaften Ausfällen kommen könne, nicht unterstrichen.  Bei richtiger Aufklärung auch über die schweren Risiken hätte sie eine zweite ärztliche Meinung eingeholt. 

Landgericht und Oberlandesgericht sahen dies anders und wiesen ihre Arzthaftungsklage als unbegründet ab. Dabei ging das OLG nicht auf die von der Klägerin behauptete Verharmlosung ein. Die Klägerin ging in Revision vor den BGH.

Die Entscheidung: 

Der BGH hob das Urteil des Oberlandesgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück an das Berufungsgericht.

Das tatsächlich bei einer solchen Hirnoperation bestehnde Risiko eines neurologischen Defizits ist aus Sicht des BGH mit den verwendeten Begriffen "Ausnahme" oder "selten" oder "wird sich zurückbilden" nicht zutreffend beschrieben. Allgemein gilt: Erweckt der aufklärende Arzt beim Patienten durch die unzutreffende Darstellung der Risikohöhe eine falsche Vorstellung über das Ausmaß der mit der Behandlung verbundenen Gefahr und verharmlost dadurch ein verhältnismäßig häufig auftretendes Operationsrisiko, so kommt er seiner Aufklärungspflicht nicht in ausreichendem Maße nach und es liegt ein Aufklärungsfehler vor (ständige BGH-Rechtsprechung).  

Der Bundesgerichtshof monierte, dass das Oberlandesgericht der Klägerin kein hinreichendes rechtliches Gehör geschenkt habe. Denn es habe den Vortrag der Frau zu der Verharmlosung der Risiken nicht hinreichend berücksichtigt.

Das Oberlandesgericht muss nun erneut über die Sache entscheiden und dabei die Rechtsauffassung des BGH berücksichtigen.

Praxisanmerkung:

Das in den üblicherweise verwendeten Aufklärungsformularen konkrete Risiken einer Behandlung oder Operation zwar ausdrücklich (und somit korrekt) benannt werden, dann aber an späterer Stelle diese Risiken wieder in der ein oder anderen Art und Weise eingeschränkt und damit verharmlost werden, ist in der Praxis häufig anzutreffen. Insbesondere Formulierungen, wonach sich die Risiken, soweit sie sich verwirklichen, in der Regel folgenlos wieder zurückbilden oder Folgen (sinngemäß) wieder "abheilen", habe ich in der Praxis des öfteren gesehen.

Dieses Problem hat bisher in der Rechtsprechung oft nicht die im gebührende Aufmerksamkeit erlangt. Mit der neuen BGH – Rechtsprechung scheint sich dies nun zu ändern.

Kliniken und Ärzte, die solche Formulare verwenden, sollten sich darauf einstellen. Idealerweise sollten sie die wesentlichen Risiken noch einmal handschriftlich in dem Feld "Anmerkungen/Notizen" auf dem Aufklärungsformular vermerken und gegebenenfalls auch besonders hervorheben, zum Beispiel durch ein Ausrufezeichen. Verharmlosende Abschnitte sollte der Arzt im Verlauf des Aufklärungsgesprächs einfach durchstreichen.

Cave: Maßgeblich ist letztlich immer das konkrete Aufklärungsgespräch, nicht das verwendete Formular. Das Formular ist lediglich ein Indiz dafür, ob über bestimmte Punkte gesprochen wurde oder nicht.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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