Wann verjähren Arzthaftungsnsprüche?(10.6.2022) Ein Arzthaftungsanspruch eines Patienten gegen den ihn behandelnden Arzt kann nicht zeitlich unbegrenzt verfolgt werden. Nach Ablauf von drei Jahren ab Kenntnis von Schaden (Behandlungsfehler) und Schädiger tritt Verjährung ein. Wann aber hat der Patient als medizinischer Laie Kenntnis von einem Behandlungsfehler? Diese Kenntnis ist jedenfalls regelmäßig dann zu bejahen, wenn der Patient oder sein Anwalt Kenntnis von einem Privatgutachten hat, das einen Behandlungsfehler bejahte (OLG Dresden, Beschluss vom 9. Mai 2022 – 4 W 230/22). 

Der Fall:

Im vorliegenden Fall ging es um eine vermeintlich falsche Behandlung einer jungen Frau in einer psychiatrischen Klinik. Die Krankenkasse der Patienten beauftragte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, um zu klären, ob ein Behandlungsfehler vorlag. Das Gutachten bejahte einen Fehler. Der Rechtsanwalt der Patienten nahm das Gutachten zur Kenntnis.

Die Entscheidung:

Die Patienten strebte eine Klage aber erst mehr als drei Jahre später an. Die Klinik berief sich daher auf Verjährung.

Mit Erfolg, wie das OLG Dresden ausführt. Der Anwalt der Patientin hatte nämlich Kenntnis von dem Gutachten, in dem ein Behandlungsfehler bejaht wurde. Diese Kenntnis muss sich die Patientin zurechnen lassen.

Der Anspruch ist daher verjährt. 

Praxisanmerkung: 

Die Entscheidung ist inhaltlich richtig.

Wichtig für Patienten: Sie können also mithilfe der Krankenkassen (kostenfrei) prüfen lassen, ob sie falsch behandelt wurden (vgl. § 66 SGB V). Dies ist für den Patienten ja eine wesentliche Frage, die er selbst überhaupt nicht sicher beantworten kann. 

Ist ein Fehler in dem Gutachten der Krankenkasse festgestellt worden, hat der Patient drei Jahre Zeit. In diesem Zeitraum muss er entweder

  • eine Klageschrift gegen den Arzt bei Gericht einreichen oder einreichen lassen,
  • einen Mahnbescheid gegen den Arzt beantragen oder
  • ein Schlichtungsverfahren mit dem Arzt einleiten,

denn all dies verhindert eine Verjährung.

Die Aufnahme von Gesprächen mit dem Arzt beziehungsweise seiner Haftpflichtversicherung über Haftungsansprüche hemmt die Verjährung bereits.

Denkbar ist auch, dass der Arzt gegenüber dem Patienten schriftlich erklärt, dass er auf eine Verjährungseinrede ganz oder zeitweise verzichtet. 

Die Entscheidung des OLG Dresden im Volltext:

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 14.04.2022 gegen den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 14.03.2022, Az. 6 O 2414/21, wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Schmerzensgeld und Schadenersatz wegen behaupteter fehlerhaften Behandlung in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung eines Klinikums. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Das Landgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass die geltend gemachten Ansprüche verjährt seien.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist nach §§ 127 Abs. 2 S. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO eingelegt worden. In der Sache bleibt die sofortige Beschwerde ohne Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Prozesskostenhilfe kann nach § 114 Abs. 1 ZPO nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB beginnt die hier maßgebliche Verjährungsfrist von drei Jahren mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und dieAntragstellerin von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.

Hinsichtlich ärztlicher Behandlungsfehler kann die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners nicht schon dann bejaht werden, wenn dem Patienten oder seinem gesetzlichen Vertreter lediglich der negative Ausgang der ärztlichen Behandlung bekannt ist. Er muss vielmehr auch auf einen ärztlichen Behandlungsfehler als Ursache dieses Misserfolges schließen können. Dazu muss er nicht nur die wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs kennen, sondern auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn als medizinischen Laien ergibt, dass derbehandelnde Arzt von dem üblichen medizinischen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach dem ärztlichen Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren (vgl. BGH, Urteile vom 8. November 2016 - VI ZR 594/15, VersR 2017, 165 Rn. 13; vom 10. November 2009 - VI ZR 247/08VersR 2010, 214 Rn. 6; vom 23. April 1991 - VI ZR 161/90, VersR 1991, 815, juris Rn. 10; jeweils mwN). Diese Kenntnis ist erst vorhanden, wenn die dem Anspruchsteller bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners und auch die Ursache dieses Verhaltens für den Schaden als naheliegend erscheinen zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2016 - VI ZR 594/15VersR 2017, 165 Rn. 13 und Urteil vom 26. Mai 2020 – VI ZR 186/17 –, Rn. 13 - 162, beide m.w.N. - juris). Für den Beginn der Verjährungsfrist kommt es nur auf die Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen an, nicht auf deren zutreffende rechtliche Würdigung; auf Seiten des geschädigten Patienten kommt es nur auf die Kenntnis des tatsächlichen Verlaufs, nicht auf dessen exakte medizinische oder rechtliche Einordnung an (vgl. BGH, Urt. vom 20. September 1983 - VI ZR 35/82 - VersR 1983, 1158, 1159f.).

Ferner ist hinsichtlich der Kenntnis der für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebenden Umstände grundsätzlich auf die Person des Anspruchsgläubigers selbst abzustellen (vgl. dazu und zum Folgenden BGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 - IX ZR 168/17, ZIP 2019, 35 Rn. 13 mwN). Allerdings muss sich der Anspruchsgläubiger entsprechend § 166 Abs. 1 BGB und mit Rücksicht auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch die Kenntnis eines Wissensvertreters zurechnen lassen. Wissensvertreter ist jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten.

Dazu gehört etwa die Verfolgung eines Anspruchs des Geschäftsherrn (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 - IX ZR 13/12, WM 2013, 180 Rn. 26). Zugerechnet wird auch das Wissen eines Rechtsanwalts, den der Geschädigte mit der Aufklärung eines bestimmten Sachverhalts, etwa der Frage eines ärztlichen Behandlungsfehlers beauftragt hat (Senatsurteil vom 8. November 2016 - VI ZR 594/15, VersR 2017, 165 Rn. 14). Die auf eine derartige Beauftragung begründete Zurechnung umfasst nicht nur das positive Wissen des Wissensvertreters, sondern auch seine leichtfertige oder grob fahrlässige Unkenntnis (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 - IX ZR 168/17, ZIP 2019, 35 Rn. 13 mwN).

Das Landgericht kommt unter Heranziehung dieser Grundsätze zutreffend zu dem Ergebnis, dass durch die Ausführungen der Gutachterin Dr. R... in der Stellungnahme vom 24.12.2015 der Antragstellerin bzw. deren Prozessbevollmächtigten eine in diesem Sinne ausreichende Kenntnis eines vom Standard abweichenden ärztlichen Verhaltens spätestens im Jahr 2016 vermittelt worden ist. Die Gutachterin stellt dort auf den Sachverhalt ab, der einem Schreiben der Prozessbevollmächtigen der Antragstellerin vom 08.07.2015 zu entnehmen sei. Sie würdigt diesen Sachverhalt im folgenden unter der Fragestellung, ob bei der streitgegenständlichen Behandlung ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen bezogen auf das Fachgebiet Neurologie/Psychiatrie zu erkennen sei. In dem Gutachten nimmt sie darüber hinaus aber auch Stellung zu der Frage, ob die behandelnden Ärzte sach- und zeitgerecht auf die aufgrund einer zu heißen Dusche bei der Antragstellerin aufgetretenen Verbrennungen reagiert haben. In die Begutachtung einbezogen werden dabei die Fragen nach einem Behandlungsfehler infolge fehlender oder ungenügender Aufsicht bzw. Fixierung trotz bekannter Selbstgefährdung, das Zulassen des Duschens mit zu heißem Wasser auch unter dem Gesichtspunkt einer Haftung für den vollbeherrschbaren Gefahrenbereich und die fehlende bzw. nicht ausreichende und zu späte Versorgung der aufgetretenen Brandwunden. Letztere wird von der Gutachterin unter Auswertung der vorhandenen Behandlungsunterlagen auch hinsichtlich der Versorgung mit Schmerzmitteln ausführlich diskutiert (vgl. S. 11- 15, 17), ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen darüber hinaus bejaht - wenn auch mit den auf S. 18 dargestellten Vorbehalten, die sich jedoch allein darauf beziehen, dass die Sachverständige zur Beurteilung der Nachbehandlung der Verbrennungen nicht ausreichend fachkompetenz sei. Aus diesem Grund kommt es für die ausreichende Tatsachenkenntnis nicht auf das erst 2018 eingeholte plastisch-chirurgische Gutachten an, das - wie zuvor schon das nervenfachärztliche Gutachten - zu dem Schluss kommt, dass die Behandlung der Verbrennungen zeitlich verspätet erfolgt ist, jedoch das Vorliegen eines auf die Verzögerung zurückgehenden kausalen Schadens bei der Antragstellerin verneint. Auch soweit die Antragstellerin rügt, die verzögerte Behandlung habe zu vermeidbaren Schmerzen geführt, wird die Kenntnis der erforderlichen Tatsachen bereits durch das Gutachten von Dr. R.. vermittelt, da die Ausführungen der Gutachterin den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners ermöglichen und auch die Ursache dieses Verhaltens für den Schaden als naheliegend erscheinen lassen.

Dass die erforderliche Tatsachenkenntnis zumindest bei der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vorlag wird durch den Umstand belegt, dass sie in die von der AOK im Jahr 2015 beauftragte Begutachtung durch Dr. R... eingebunden war (vgl. S. 3, Ziff. 3 des Gutachtens, Anlage K4). Zudem hat die Prozessbevollmächtigte bereits 2019 und damit in unverjährter Zeit das behandelnde Klinikum in Anspruch genommen (vgl. AnlageK8 betreffend das Verfahren 4 O 836/19), den dazu gestellten Prozesskostenhilfeantrag nach Hinweis des Gerichts aber wieder zurückgenommen, ohne indes auf den Hinweis, der Antragsgegner sei passivlegitimiert, zeitgerecht zu reagieren (vgl. zur Passivlegitimation Senat, Beschluss vom 02. Januar 2017 - 4 W 1155/16 -, Rn. 8 - 15, juris m.w.N.). Die Kenntnis ihrer Prozessvertreterin ist der Antragstellerin zuzurechnen.

Ist somit von einer Kenntnis der Antragstellerin spätestens im Jahr 2016 auszugehen, waren die geltend gemachten Ansprüche mit Schluss des Jahres 2019 verjährt.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Pflicht der Antragstellerin zur Übernahme der Gerichtskosten folgt aus Nummer 1812 des Kostenverzeichnisses (Anlage zu § 3 GKG). Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO)

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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