Sterbewunsch und ärztlich assistierten Suizid(23.2.2022) Sterbewillige haben ein Recht auf Selbsttötung. Ärzte dürfen schwerkranken Sterbewilligen auch helfen, aus dem Leben zu scheiden. Ärzte dürfen diese nicht selbst töten, sprich Ärzte können einem Sterbewilligen ein tödliches Medikament übergeben, sie dürfen sie ihm aber nicht selbst verabreichen. Diese Grundsätze der assistieren Selbsttötung oder aktiven Sterbehilfe hat die Rechtsprechung herausgearbeitet. Auch strafrechtlich ist diese Sterbehilfe für den Arzt kein Problem mehr. Problematisch ist aber, dass dieses Recht ins Leere läuft, wenn die Gerichte den Sterbewilligen den Zugang zu den für den Suizid erforderlichen tödlichen Medikamenten verweigern.

Hintergrund der Problematik ist, dass das Bundesamt für Arzneimittel (BfArM) Anträge von sterbewilligen Personen für die Nutzung des Betäubungsmittels Natruim-Pentobarbital (das ein sicheres Mittel zur Selbtstötung ist) - soweit hier bekannt - bisher sämtlichst abgelehnt hat. Diese Praxis des BfArM ist von der Rechtsprechung nun erneut in zwei Urteilen bestätigt worden (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 2.2.2022 – 9 A 148/21 und  9 A 146/21). Zwar kann hier noch Revision eingelegt werden, aber diese gerichtliche Praxis der Ablehnung der Genehmigung von Natrium-Pentobarbital ist zuersteinmal zu beachten. Mit anderen Worten: Ärzten, die sterbewilligen Personen helfen wollen, ist der Zugang zu dem dafür gut geeigneten Medikament Natruim-Pentobarbital versperrt. Dabei ist zu beachten, dass dieses Mittel einfach vom Betroffenen selbst eingenommen werden kann und dass es schnell und sicher zum Tod führt.

Das Oberverwaltungsgericht NRW geht in den beiden vorgenannten Enscheidungen, die sich ausführlich mit dem Für und Wider der Sterbehilfe auseinander setzen, davon aus, dass es Alternativen zu Natruim-Pentobarbital gebe, mithin der Arzt noch weitere Möglichkeiten habe, sterbewilligen Patienten eine tödliche Dosis eines anderen Medikaments zur Verfügung zu stellen. Auch deshalb verwehrt das OVG den Betroffenen schließlich eine Genehmigung für den Erhalt von Natruim-Pentobarbital.

Im Folgenden ist die Behauptung, es gebe für die Sterbewilligen Alternativen zu Natruim-Pentobarbital, zu überprüfen und auch zu fragen, wie sicher diese alternativen Mittel in der Selbstanwendung wären. 

Als Alternativen zu Natrium-Pentobarbital nennt das OVG NRW das Fertigarzneimittel Thiopental. Thiopental werde bei Selbsttötungen u. a. von Sterbehilfevereinen - teilweise ergänzt um ein muskelrelaxierendes Mittel - intravenös verwendet, so das OVG. Dabei bezieht sich das OVG ausdrücklich auf einen Rechtsprechung herausgearbeitet. In dem Bericht des Wissenschaftlichen Diernstes heißt es auf Seite 8:

Seit 2012 gibt es (Anm: In den Niederlanden) für die Durchführung der Sterbehilfe Richtlinien, an die Ärztinnen und Ärzte sich halten müssen. Weichen sie ab, so müssen sie die Abweichung erklären.

Für die aktive Sterbehilfe sehen die Richtlinien zunächst Thiopental bzw. Propofol vor, mit denen die Patient/innen in ein künstliches Koma versetzt werden. Anschließend wird ein muskelentspannendes Mittel gegeben, wobei Rocuronium bromid, Atracurium oder Cisatracurium empfohlen werden (Anm.: und dann tritt der Tod ein). Beim assistierten Suizid greift auch die Richtlinie auf Barbiturate zurück, wobei Pentobarbital und Secobarbital ausdrücklich genannt werden. Auch die jeweils notwendige Dosis gibt die Richtlinie vor.

Und weiter heißt es auf Seite 10:

Es stellt sich die Frage, welche Medikamente in Deutschland zur Selbsttötung zur Verfügung stehen (Anm: Pentobarbital ist in Deutschland für den assistierten Suizid verboten). Die Wirkstoffe Thiopental und Propofol werden in der Anästhesie zur Einleitung einer Narkose verwendet und sind daher erhältlich. Auch die Muskelrelaxantien Rocuronium bromid, Atracurium und Cisatracurium werden verwendet. Zu beachten ist jedoch, dass die aktive Sterbehilfe in Deutschland strafbar ist. Die Medikamente sind für den assistierten Suizid nicht geeignet, da der Patient sich zumindest die Muskelrelaxantien nach dem Eintritt ins Koma naturgemäß nicht mehr selbst spritzen kann.

Das OVG verweist die sterbewilligen Patienten also darauf, dass sie andere Mittel verwenden könnten, sie mithin kein Natrium-Pentobarbital bräuchten. Diese anderen Mittel wie Thiopental erweisen sich aber bei Lichte besehen als ungeeignet für die Selbstmedikation. Dies zum einen weil Thiopental gespritzt werden muss (während Natrium-Pentobarbital schlicht getrunken werden kann) und zum anderen, weil Thiopental für sich alleine auch gar nicht sicher tödlich wirkt, es dazu vielmehr noch der (ärztlichen) Gabe von einem Muskelentspannungsmittel bedarf. Und eben diese ärztliche Gabe wäre eine aktive (und strafbare) Sterbehilfe.

Als weitere Alternative zu Natruim-Pentobarbital ist an Propofol zu denken. Propofol wirkt zuerst angstlösend, dann bei höheren Dosen einschläfernd und schließlich atemdepressiv. Im Gegensatz zu Natrium-Pentorbital ist Propofol kein Betäubungsmittel nach dem Betäubungsmittelgesetz. Mithin muss der Arzt keine Sondergenehmigung beim BfArM beantragen für die Nutzung von Propofol, wie er es bei Natrium-Pentorbital tun muss. 

Problematisch bei Propofol ist allerdings, dass es gespritzt werden muss und dass es einer weit höheren Dosis bedarf, um einen Menschen (sicher) zu töten, als bei Natrium-Pentorbital. Handeslüblich wird Propofol in einer Emulsion vertrieben, die nur max. 2% Propofol enthält (sprich 20mg Propofol je ml Suspension). Beobachtet wurden letale Wirkungen von Propofol in einer Bandbreite von 2,4 bis 5,3 ml Propofol im Liter Blut (M. Schulz et al, Therapeutic and toxic blood concentrations..., Critical Care 2020, 66). Eine sichere tödliche Wirkung wird aber wohl erst dann möglich sein, wenn sich eine erwachsene Person mindestens 300mg Propofol verabreicht, wie mir eine Anästhesistin auf Nachfrage mitteilte. 300mg entsprechen bei einer 2%-Lösung einer Menge von 15 ml. Es ist zweifelhaft, ob sich eine Person eine so große Menge Propofol-Emulsion selbst mittels einer Spritze verabreichen kann, ohne dabei sogleich das Bewußtsein zu verlieren. Denn Propofol wirkt sehr schnell und es kann daher dazu kommen, dass der Sterbewillige schon ohnmächtig wird, wenn er sich erst eine (noch nicht tödliche) Menge von zum Beispiel 6 ml Propofol-Emulsion gespritzt hat. Auch bezüglich Propofol kommt der Wissenschaftliche Dienst im Übrigen zu dem Ergebnis, dass es nicht geeignet ist für den assistierten Suizid, da der Betroffene sich zumindest die Muskelrelaxantien nach dem Eintritt ins Koma naturgemäß nicht mehr selbst spritzen kann.

Nach alledem gibt es meines Erachtens keine gleichwertige Alternative zu Natrium-Pentobarbitall. Das OVG NRW verweigert damit den Sterbewilligen ohne sachlichen Grund den Zugang zu einem geeigneten Medikament. 

Ergebnis:

Das BfArM und die Rechtsprechung machen schwerkranken und leidenden Menschen einen würdigen und selbstbestimmten Abschied aus dem Leben damit de facto unmöglich. Die dafür herangezogene Begründung ist wie ausgeführt nicht nachvollziehbar. Der Sterbewillige ist gezwungen, sein miserables Dasein "zu Ende zu leben" und auf "natürliche Weise" zu sterben. Im Ergebnis wird dies darauf hinauslaufen, dass die Sterbewilligen jahrelang leiden müssen, bis sie eines natürlichen Todes sterben. Oder sie müssen versuchen, sich auf abenteuerliche Weise selbst zu töten, indem sie sich die Pulsadern aufschneiden, mit Kohlenmonoxid vergiften, von Brücken springen, erschießen oder auf die Autobahn laufen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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