keine Befreiung von der Maskenpflicht für Berliner Schüler(19.1.2022) Enthält das von einem Schüler zur Begründung seines Antrages auf Befreiung von der Maskenpflicht im Schulunterricht vorgelegte ärztliche Attest überhaupt keine Angaben zu den geltend gemachten „medizinischen Gründen“, sondern beschränkt sich auf die Feststellung, solche lägen vor, so ist der Schule eine eigenständige Kontrolle des Attests nicht möglich und die Schule kann die beantragte Maskenbefreiung ablehnen (Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 12. November 2021 – 3 L 393/21).

Der Mindestinhalt von Attesten zur Maskenbefreiung ist ein ständiges Streitthema zwischen Schulen und Eltern. Die Rechtsprechung hat sich dazu klar positioniert: sie stellt recht hohe Anforderungen an diese Atteste und weist folgerichtig unklare Atteste als unzureichend zurück. Das VG Berlin reiht sich in diese Rechtsprechung ein. Die Mutter des Schülrers behauptete unter anderem, Masken würden gar nicht schützen sondern vielmehr den Kindern schaden. Außerdem sei Covid19 überhaupt nicht gefährlich. Und sie sei auch nicht verpflichtet, Gesundheitsdaten gegenüber der Schule preiszugeben. Das Verwaltungsgericht Berlin setzte sich mit all diesen an den Haaren herbeigezogenen Argumenten geduldig auseinander und wies sie dann als unbegründet zurück. 

Der Beschluss des VG Berlin im Volltext:

Tenor

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt M ... wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Antragsteller, gegenwärtig Schüler der Jahrgangsstufe 8 der P ... in Berlin (nachfolgend: Schule), begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes eine Teilnahme am Präsenzunterricht unter Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer Mund-​Nasen-​Bedeckung.

Er hat durch seine Mutter am 18. August 2021 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und macht unter Bezugnahme auf ärztliche Atteste geltend, ihm sei es aus medizinischen Gründen unzumutbar, eine Mund-​Nasen-​Bedeckung zu tragen. Er sei nicht verpflichtet, die den Attesten zugrundeliegende Erkrankung mitzuteilen, denn Gesundheitsdaten seien nicht zu offenbaren. Die landesrechtlichen Regelungen zur „Maskenpflicht“ seien verfassungswidrig. Das Einhalten der Maskenpflicht sei ohne jegliche medizinische Evidenz, gefährde aber die Gesundheit der Kinder erheblich. Vom Familiengericht Weimar im Verfahren 9 F 148/21 eingeholte Gutachten von Prof. Dr. Ulrike K ... und Prof. Dr. Eva K ... hätten die gegenteilige Position des weisungsgebundenen Robert Koch-​Instituts (RKI) vollständig widerlegt. Die von den Behörden angeführte Inzidenz von Corona-​Fällen sei ein untauglicher Parameter, weil er nur die Infizierten abbilde, von denen die allermeisten keine Krankheitssymptome aufwiesen. Die Befürchtungen des RKI zum Pandemieverlauf hätten sich in der Vergangenheit als durchweg falsch herausgestellt. Europäische Länder wie Schweden hätten keinerlei Maßnahmen in den Schulen durchgeführt und kein verifizierbar schlechteres Infektionsgeschehen zu verzeichnen als Deutschland.

Der Antragsteller beantragt,

1. festzustellen, dass er an dem Regelunterricht der P ... -Schule ohne das Tragen einer Mund-​Nasen-​Bedeckung teilnehmen darf,

2. festzustellen, dass er im Rahmen der Teilnahme am Regelunterricht ohne Mund-​Nasen-​Bedeckung nicht verpflichtet ist, dem Antragsgegner mitzuteilen, welche konkret zu benennende gesundheitliche Beeinträchtigung auf Grund des Tragens der Mund-​Nasen-​Bedeckung im Unterricht alsbald zu erwarten ist und woraus diese im Einzelnen resultiert oder aber relevante Vorerkrankungen konkret zu benennen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er rügt die fehlende Zustimmung des Kindsvaters zum Verfahren. Er trägt vor, die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske sei weiterhin rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig. Die zwischenzeitliche Lockerung der Pflicht zugunsten der Primarstufe habe auf sachlichen Gründen beruht und begründe keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Jüngere Schülerinnen und Schüler seien beim Spracherwerb in besonderem Maße darauf angewiesen, auch die Mimik wahrnehmen zu können. Zudem sei es für das Kennenlernen der gerade eingeschulten Kinder wichtig, auch das Gesicht und das Mienenspiel der gleichaltrigen Klassenkameradinnen und -kameraden beobachten zu können.

II.

Der Antrag ist bei verständiger Würdigung des Rechtsschutzbegehrens (vgl. §§ 88, 122 VwGO) dahin zu verstehen, dass der Antragsteller begehrt, ihm vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Zugang zum Präsenzunterricht ohne das Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske zu gewähren. Dem Antrag zu 2. kommt kein eigenständiger Gehalt zu, weil er im Antrag zu 1. bereits enthalten ist und sich nur auf eine andere materielle Regelung (Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes) stützt.

Der so verstandene Antrag bleibt ohne Erfolg.

Statthafte Antragsart ist § 123 Abs. 1 VwGO, weil kein Fall des § 123 Abs. 5 VwGO gegeben ist. Der Antragsteller wendet sich nicht gegen eine ihm im Wege des Verwaltungsaktes auferlegte Handlungspflicht, sodass der Rechtsbehelf des Widerspruchs nicht gegeben ist.

Der Antrag ist mangels ordnungsgemäßer Vertretung des Antragstellers bereits unzulässig. Der minderjährige Antragsteller selbst ist nicht prozessfähig im Sinne des § 61 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, sodass er von seinen Eltern als seinen gesetzlichen Vertretern gemäß §§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 BGB gemeinschaftlich vertreten wird. Eine ordnungsgemäße Erklärung ist jedoch erforderlich, weil das Elternrecht aus Art. 6 GG ungeachtet seines individualrechtlichen Charakters beiden Elternteilen in unteilbarer Verantwortung zur gemeinsamen Ausübung zusteht was auch eine einvernehmliche Ausübung der elterlichen Befugnisse erfordert (vgl. OVG Berlin-​Brandenburg, Beschluss vom 30. August 2011 – OVG 3 S 93.11 –, juris m.w.N.). Eine Zustimmung des Kindsvaters oder eine Bevollmächtigung der Mutter zur Alleinvertretung sind jedoch trotz Rüge des Antragsgegners nicht glaubhaft gemacht. Da der Vater auch in der weiteren Korrespondenz der Mutter mit der Schule bzw. der Schulbehörde nicht erwähnt wird oder an dieser mitgewirkt hat, ist eine Bevollmächtigung auch nicht aus anderen Umständen ersichtlich.

Die Kindsmutter kann sich auch nicht auf § 1629 Abs. 1 Satz 4 BGB berufen. Bei Gefahr im Verzug ist nach dieser Vorschrift jeder Elternteil dazu berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes notwendig sind; der andere Elternteil ist unverzüglich zu unterrichten. Gefahr in Verzug in diesem Sinne besteht, wenn die Mitwirkung und insbesondere die Zustimmung des anderen Elternteils nicht eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet würde. Damit das grundsätzlich bestehende Zustimmungsbedürfnis nicht übergebührlich unterlaufen wird, müssen die Voraussetzungen dieses Merkmals hohen Anforderungen genügen. So muss es sich zunächst um eine Gefahr handeln, die erhebliche gesundheitliche oder möglicherweise auch wirtschaftliche Nachteile für das Kind birgt. Ferner muss eine Abstimmung mit dem anderen Elternteil auch unter Verwendung moderner Kommunikationsmittel, insbesondere Mobiltelefonen, nicht mehr möglich sein (vgl. BeckOK BGB, Stand 1. August 2021, § 1629 Rn. 23 m.w.N.). Dafür ist hier nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich. Im Gegenteil hat die Mutter des Antragstellers bereits am 6. August 2021 mit E-​Mail an die Schulleitung ihr Begehren sinngemäß geäußert und den Antragsteller mit Attest vom 9. August 2021 als krank vom Schulunterricht abgemeldet. Dass es ihr bis zur Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes – und während des laufenden Verfahrens – am 18. August 2021 unmöglich gewesen sein soll, sich mit dem Kindsvater abzustimmen, ist nicht dargetan und erscheint im Übrigen lebensfern.

Der Antrag ist im Übrigen auch unbegründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Voraussetzungen eines entsprechenden Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes sind glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO.

Daran fehlt es. Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass ohne den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers wesentlich erschwert werden könnte oder durch eine solche einstweilige Anordnung wesentliche Nachteile abzuwenden wären.

Die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske für Schülerinnen und Schüler an Schulen findet ihre Rechtsgrundlage in § 4 Abs. 1 der Verordnung über die Auflagen für den Schulbetrieb während der Covid-​19-​Pandemie (Zweite Schul-​Hygiene-​Covid-​19-​Verordnung – 2. SchulHygCoV-​19-​VO) vom 29. Juli 2021 (GVBl. S. 926), zuletzt geändert zuletzt geändert durch Verordnung vom 1. November 2021 (GVBl. S. 1217). Angepasst an das Infektionsgeschehen gilt danach in den Schulen die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske. Das Nähere, auch zum Umfang dieser Pflicht, regelt der Musterhygieneplan nach § 5. Sofern in diesem Musterhygieneplan die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske geregelt ist, gilt diese Pflicht auch für Schülerinnen und Schüler, die das sechste Lebensjahr noch nicht vollendet haben; sie gilt nicht für die in § 2 Absatz 2 Nummer 3 und 4 der Dritten SARS-​CoV-​2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung genannten Personen.

Die Regelungen begegnen weder formell noch materiell durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Vereinbarkeit der vorgenannten landesrechtlichen Bestimmungen mit höherrangigem Recht, insbesondere mit Verfassungsrecht entspricht der gefestigten Rechtsprechung der Kammer (vgl. u.a. VG Berlin, Beschluss vom 6. Oktober 2020 – VG 3 L 322/20 –, juris und Beschluss vom 28. Mai 2021 – VG 3 L 181/21 –, nicht veröffentlicht). Es wird insoweit zur Meidung von Wiederholungen auf die genannten Entscheidungen Bezug genommen. Das Vorbringen des Antragstellers enthält nichts, was ein Abrücken von dieser Rechtsprechung gebieten würde.

Entgegen der Auffassung der Antragsteller in einem Parallelverfahren genügt § 4 der 2. Schulhyg-​CoV-​19-​VO auch dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Normklarheit und Justitiabilität. Dieses aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Gebot verlangt vom Normgeber, die von ihm erlassenen Regelungen so bestimmt zu fassen, dass die Rechtsunterworfenen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (st. Rspr. des BVerfG vgl. statt vieler: BVerfG, Urteil vom 24. Januar 2012 – 1 BvR 1299/05 m.w.N.). Welche Anforderungen an das Ausmaß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelfall zu stellen sind, lässt sich danach nicht allgemein festlegen. Der Grad der jeweils zu fordernden Bestimmtheit einer Regelung hängt vielmehr von der Eigenart des geregelten Sachverhalts ab, insbesondere auch davon, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist. Darüber hinaus ist auch auf die Intensität der Auswirkungen der Regelung für den Betroffenen Bedacht zu nehmen. Je schwerwiegender die Auswirkungen sind, desto höhere Anforderungen werden an die Bestimmtheit der Ermächtigung zu stellen sein. Insoweit berührt sich das Bestimmtheitsgebot mit dem Verfassungsgrundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, der fordert, dass der Gesetzgeber die entscheidenden Grundlagen des zu regelnden Rechtsbereichs, die den Freiheits- und Gleichheitsbereich des Bürgers wesentlich betreffen, selbst festlegt und dies nicht dem Handeln der Verwaltung überlässt (vgl. zum Vorstehenden BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1981 – 2 BvL 3/77 –, juris).

Diesem Maßstab genügt die Bestimmung des § 4 der 2. Schulhyg-​CoV-​19-​VO. Bei verständiger Auslegung der Vorschrift besteht im Grundsatz für alle Schülerinnen und Schüler die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske. Im Zusammenspiel der Sätze 1 und 2 der Vorschrift wird deutlich, dass nur die näheren Modalitäten dieser Pflicht zur „Anpassung an das Infektionsgeschehen“ durch den Musterhygieneplan bestimmt werden. Die grundsätzliche Pflicht zum Tragen einer Maske wird auch durch die amtliche Überschrift der Norm impliziert. Die dem Antragsteller auferlegte Handlungspflicht folgt somit unmittelbar aus dieser Vorschrift selbst. Es genügt dem Gebot der Rechtsklarheit, dass die näheren Modalitäten anhand des Musterhygieneplans weiter konkretisiert werden (zur Delegation der näheren Ausgestaltung von Schutzmaßnahmen durch die Fachverwaltung vgl. bereits VG Berlin, Beschluss vom 6. Mai 2020 – VG 3 L 167/20 –, juris Rn. 25; vgl. zur Rechtsnatur des Muster-​Corona-​Hygieneplans für alle Schulen in der Freien und Hansestadt Hamburg: OVG Hamburg, Beschluss vom 21. Juni 2021 – 1 Bs 114/21 –, juris Rn. 32 ff.). Dieser ist im Internet für jedermann abrufbar und wird zudem über die Schulleitungen und Elternvertretungen der Berliner Schülerschaft bzw. den Eltern kommuniziert. Die dynamische Verweisung auf den Musterhygieneplan enthält keine über den Wortlaut der Vorschrift des § 4 der 2. Schulhyg-​CoV-​19-​VO hinausgehende Handlungspflichten, sodass auch mit Blick auf den mit dem Bestimmtheitsgrundsatz eng verknüpften Wesentlichkeitsvorbehalt keine Bedenken bestehen. Schließlich ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass durch die gewählte Regelungstechnik die formellen Anforderungen des Berliner COVID-​19-​Parlamentsbeteiligungsgesetzes umgangen wurden, insbesondere berührt der Musterhygieneplan nicht das Zustimmungserfordernis des § 4 COVID-​19-​Parlamentsbeteiligungsgesetz in Verbindung mit § 28a Abs. 2 IfSchG.

Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage für den Erlass der angegriffenen Maßnahmen, §§ 28 ff. IfSG sind erfüllt (zu den Voraussetzungen ausführlich VG Berlin, Beschluss vom 7. Mai 2020 – VG 3 L 167/20 –, Rn. 20, juris).

Auf dem Gebiet des Landes Berlin werden noch immer fortwährend Kranke, Krankheitsverdächtige, Ausscheider und Ansteckungsverdächtige (vgl. § 2 Nr. 4 bis 7 IfSG) des Coronavirus festgestellt, in den letzten 7 Tagen knapp 10.000 neue Fälle (vgl. RKI, Lagebericht vom 11. November 2021,https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Nov_2021/2021-​11-​11-​de.pdf?__blob=publicationFile, S. 4). In einem solchen Falle sind die zuständigen Behörden verpflichtet, die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, um die grundrechtlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu erfüllen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 13. Mai 2020 – 1 BvR 1021/20 –, juris Rn. 8; vom 12. Mai 2020 – 1 BvR 1027/20 –, juris Rn. 6, und vom 1. Mai 2020 – 1 BvR 1003/20 –, juris Rn. 7). Dabei können sie auch Nichtstörer in Anspruch nehmen (vgl. OVG Berlin-​Brandenburg, Beschluss vom 3. April 2020 – OVG 11 S 14/20 –, juris Rn. 9).

Bei der Wahl der notwendigen Schutzmaßnahmen haben der Gesetzgeber und auch die von ihm zum Verordnungserlass ermächtigte Exekutive nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen Spielraum für den Ausgleich der dabei widerstreitenden Grundrechte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 2020 – 1 BvR 1021/20 –, juris Rn. 10). Dieser Einschätzungsspielraum besteht mit Blick auf die Coronavirus-​Eindämmungsmaßnahmen aufgrund des nach wie vor anhaltenden Diskurses im fachwissenschaftlichen Bereich weiterhin auch in tatsächlicher Hinsicht. Gleichwohl kann dieser Spielraum mit der Zeit – etwa wegen besonders schwerer Grundrechtsbelastungen und wegen der Möglichkeit zunehmender Erkenntnis – geringer werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 2020 – 1 BvR 1021/20 –, juris Rn. 10).

Die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske ist nach dem anzulegenden eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsmaßstab erforderlich, geeignet und verhältnismäßig im engeren Sinne.

Die Maskenpflicht dient dem in § 28a Abs. 3 Satz 1 IfSG genannten legitimen Zweck, durch eine weitgehende Eindämmung der Virusausbreitung eine Verlangsamung des Infektionsgeschehens zu erreichen und damit die Belastung für das Gesundheitswesen insgesamt zu reduzieren. Belastungsspitzen sollen vermieden und die bestmögliche medizinische Versorgung für die gesamte Bevölkerung sichergestellt werden.

Die Maßnahme ist entgegen dem Vorbringen des Antragstellers geeignet, diesen Zweck zu erreichen, denn der Ausstoß von Virenpartikeln potenziell infektiöser Personen auf engem Raum – hier Klassenräume – wird verringert. Der Verordnungsgeber hält sich innerhalb des ihm zustehenden Entscheidungsspielraums, wenn er entsprechend der Erkenntnisse und Empfehlungen des RKI (vgl. etwa „Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-​CoV-​2 und COVID-​19“, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html, Stand 14. Juli 2021) davon ausgeht, dass das Coronavirus im Wege der Tröpfcheninfektion und über Aerosole leicht von Mensch zu Mensch übertragbar ist, so dass Infektionen in erster Linie durch das Vermeiden physischer Sozialkontakte verhindert und dort, wo dies nicht möglich ist, durch das Tragen medizinischer Gesichtsmasken in geschlossenen Räumen und von Mund-​Nasen-​Bedeckungen im Freien zumindest reduziert werden können.

Die Maßnahme ist in der Rechtsgüterabwägung des Gesundheitsschutzes der Allgemeinheit und der allgemeinen Handlungsfreiheit des Antragstellers auch verhältnismäßig.

Der Antragsteller verkennt, dass die Schutzmaßnahmen wie die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske nicht nur darauf abzielen, Infektionen von Kindern und Lehrkräften in den Schulen zu verhindern, sondern allgemein die Verbreitung des Virus einzudämmen. Es liegt auf der Hand, dass Kinder, die sich in der Schule infizieren, andere Menschen anstecken können, insbesondere Personen im nahen Umfeld wie die eigenen Eltern, Großeltern und Geschwister, die ihrerseits Dritte infizieren können. Die Mortalitätsrate von Corona-​Infizierten steigt mit dem Alter signifikant an. Da die Alterskohorte der über 65-​jährigen in Deutschland etwa 18 Millionen Menschen umfasst, von denen aus hier nicht zu erörternden Gründen noch immer mehrere Millionen ungeimpft sind, darf der Verordnungsgeber bei seiner Abwägung zurecht davon ausgehen, dass ohne Schutzmaßnahmen (erneut) mit vielen Toten aufgrund von Infektionen zu rechnen wäre. Diese Annahme ist, wie die Infektions- und Todeszahlen aus anderen Ländern wie den USA belegen, auch nicht abwegig (vgl. etwa Statistik der US-​Amerikanischen Seuchenschutzbehörde, https://covid.cdc.gov/covid-​data-​tracker/#demographics, Abruf am 11. November 2021: 485.000 Tote in der Altersgruppe ab 65 Jahre seit Beginn der Pandemie).

Die Rüge, die Inzidenz alleine sei kein sinnvoller Parameter für die Beurteilung des Geschehens, geht fehl. Denn die Kliniken kommunizieren bereits jetzt – erneut – eine Überlastung ihrer Kapazitäten und verschieben geplante Operationen (www.rbb24.de/politik/beitrag/2021/11/berlin-​charite-​universitaet-​planbare-​eingriffe-​operationen-​abgesagt-​absage.html). Gegenwärtig sind gemäß dem Deutschen Intensivregister (abrufbar unter www.intensivregister.de/#/aktuelle-​lage/laendertabelle, Abruf am 11. November 2021) 144 von 1.048 verfügbaren Betten auf Berliner Intensivstationen mit Covid-​19-​Patienten belegt, mit steigender Tendenz. Es liegt auf der Hand, dass diese Zahlen ohne Schutzmaßnahmen auch in Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen weiter steigen werden, wodurch nicht nur die Kapazitäten zur Behandlung von Covid-​19-​Patienten, sondern hilfebedürftigen Patienten insgesamt nicht mehr ausreichen werden.

Auch die vom Antragsteller in Bezug genommenen Stellungnahmen der Prof. Dr. Ulrike K ... und einer Prof. Dr. Eva K ... (gemeint ist wohl Christof K ... ) aus der Entscheidung des für die Kontrolle von Verwaltungshandeln evident unzuständigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 2021 – 6 AV 4/21 –, juris; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2021 – XII ARZ 35/21 –, juris Rn. 7) Amtsgerichts Weimar vermögen die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske nicht zu erschüttern. Angesichts der fachwissenschaftlich divergierenden Erkenntnislage ist es nicht zu beanstanden, wenn sich der Verordnungsgeber auf die Einschätzung des RKI stützt, dessen wissenschaftlicher Expertise er folgen darf (vgl. OVG Berlin-​Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2021 – OVG 1 S 111/21 – ; vgl. wegen der Einschätzung des RKI zur Reduktion des Infektionsrisikos durch eine Gesichtsmaske www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Hilfestellung_GA_Schulen.pdf?__blob=publicationFile). Das Gutachten der Frau K ... befasst sich im Übrigen nicht mit der hier angegriffenen „Maskenpflicht“, sondern mit der vom AG Weimar gestellten Frage „welche Aussagekraft zur Erkennbarkeit einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-​CoV-​2 liefern der RT-​q-PCR-​Test und die derzeit verwendeten Schnelltests?“.

Demgegenüber stellt sich die Pflicht zum Tragen einer Gesichtsmaske trotz der damit einhergehenden Beeinträchtigungen als Eingriff von vergleichsweise geringem Gewicht dar.

Der Antragsteller hat schließlich nicht glaubhaft gemacht, dass er gemäß § 4 Satz 3 Halbsatz 2 Schulhyg-​CoV-​19-​VO in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Nr. 3 der Dritten SARS-​CoV-​2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom Tragen einer Gesichtsmaske zu befreien ist. Danach gilt die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske nicht für Personen, die ärztlich bescheinigt auf Grund einer ärztlich bescheinigten gesundheitlichen Beeinträchtigung, einer ärztlich bescheinigten chronischen Erkrankung oder einer ärztlich bescheinigten Behinderung keine medizinische Gesichtsmaske tragen können; die Verantwortlichen sind berechtigt, zur Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen dieser Ausnahme die Bescheinigung im Original einzusehen.

Der Antragsteller macht zwar medizinische Gründe geltend, er hat aber keine ärztliche Bescheinigung über eine Gesundheitsbeeinträchtigung, chronische Erkrankung oder Behinderung vorgelegt. Die ärztlichen Bescheinigungen enthalten vielmehr überhaupt keine Angabe zu den geltend gemachten „medizinischen Gründen“, sondern beschränken sich auf die Feststellung, solche lägen vor. Damit ist dem Antragsgegner und dem Gericht eine eigenständige Kontrolle des Vorbringens nicht möglich. Entgegen seiner Auffassung verstößt die Pflicht zur näheren Erläuterung seiner Erkrankung und Beibringung aussagekräftiger, nachvollziehbarer Atteste nach gefestigter Rechtsprechung der Kammer nicht gegen höherrangiges Recht (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 31. März 2021 – VG 3 L 50/21; bestätigt von OVG Berlin-​Brandenburg, Beschluss vom 19. Mai 2021 – OVG 3 S 35/21 –, juris Rn. 14).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG, wobei die Kammer nach Nr. 1.5. Satz 1 Hs. 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren anzusetzenden Auffangstreitwertes zugrunde legt.

Aus den vorstehenden Gründen ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten abzulehnen (§ 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO).

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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