Der Arzt darf dem Patienten, dem ein Herzinfarkt droht, nicht die weitere Entscheidung darüber überlassen, ob dieser sich einer notwendigen klinischen Untersuchung zur differentialdiagnostischen Abklärung des Erstbefundes stellt (OLG Jena, Urt. v. 18.02.2009 - 4 U 1066/04 -).

1. Ein Befunderhebungsfehler – durch Unterlassen – kann dann haftungsbegründend dem behandelnden Hausarzt anzulasten sein, wenn bei weiterer (hier konkret unterlassener) Befunderhebungen ein reaktionspflichtiger Befund festgestellt worden wäre, der seinerseits weitere Behandlungsmaßnahmen zwingend erforderlich gemacht hätte, die, falls sie unterlassen worden wären, dann ihrerseits als grob fehlerhaft zu bewerten gewesen wären mit der Folge einer Beweislastumkehr für die Patientenseite in Bezug auf die Kausalität des eingetretenen Primärschadens.

2. Grundsätzlich ist schon das Nichterkennen einer (erkennbaren) Erkrankung und der sie kennzeichnenden Symptome als Behandlungsfehler (in der Form eines Diagnosefehlers) zu werten. Irrtümer bei der Diagnosestellung sind jedoch nicht selten, weil die Symptome einer Erkrankung nicht immer eindeutig sind. Diagnosefehler, die objektiv auf eine Fehlbefundung zurückzuführen sind, können daher nur mit Zurückhaltung als relevante Behandlungsfehler gewertet werden; allerdings gilt dies nicht für eine Fehlbefundung von Symptomen, die für eine bestimmte Erkrankung kennzeichnend sind.

3. Die Unterlassung einer – angesichts der Unsicherheit der Diagnose – erforderlichen Überprüfung der Diagnose, also die Nichterhebung gebotener weiterer Befunde kann daher haftungsbegründend wirken, wenn der erste Befund auch den Verdacht einer Erkrankung nahe legt, die zwingend behandlungsbedürftig ist und die – auf Grund fehlerhafter Erstdiagnose – notwendige Behandlung (der nicht deutlich erkannten Krankheit) nur deshalb unterbleibt, weil der Erstbefund fehlerhaft und trotz notwendiger Abklärung eine weitere Befunderhebung unterlassen worden war.

Denn für die gehörige Erhebung der faktischen Grundlagen für eine differenzierte Diagnostik und Therapie gilt – zum Wohl des Patienten – ein strenger Maßstab. Maßstab ist stets, was der (jeweilige) medizinische Standard gebietet, also was im konkreten Fall dem Qualitätsstandard einer sachgerechten Behandlung entspricht. Dabei sind bei schwer wiegenden Risiken für den Patienten – wie hier dem drohenden Herzinfarkt – auch vom behandelnden Arzt für unwahrscheinlich gehaltene Gefährdungsmomente auszuschließen. Bei Berücksichtigung dieses – strengen – Sorgfaltsmaßstabs darf der Arzt dem Patienten nicht die weitere Entscheidung darüber überlassen, ob dieser sich einer notwendigen klinischen Untersuchung zur differentialdiagnostischen Abklärung des Erstbefundes stellt.

4. Ein Verschulden des Arztes ist dann zu bejahen, wenn er aus seiner Sicht zur Zeit der Diagnosestellung entweder Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der gestellten Diagnose hatte oder aber solche Zweifel gehabt und sie nicht beachtet hat.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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