Ärzte im Gespräch(28.7.2021) Nutzen Ärzte die Rechtsform einer Praxisgemeinschaft nur zum Schein, behandeln also Patienten gemeinsam, so führt dies zu schmerzhaften Honorarrückforderungen durch die KV. Gegenseitige Vertretungen sind nur in bestimmten Ausnahmefällen möglich. Wenn die KV einmal mittels Stichprobenprüfungen eine Patienteidentität von mehr als 20 % festgestellt hat, kann sie auch - nach Einzelfallprüfung - bei einer Patientenidentität von unter 20 % das Honorar des einzelnen Arztes kürzen (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.06.2021 – L 7 KA 13/19). 

Der Fall:

Die Klägerin wendet sich gegen eine sachlich-rechnerische Berichtigung ihres Honorars für die Quartale I/10 bis IV/12.

Die Klägerin ist Fachärztin für Anästhesiologie und nimmt seit 1989 in einer Einzelpraxis an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Im streitigen Zeitraum betrieb sie eine Praxisgemeinschaft mit dem Facharzt für Anästhesiologie Dr. A S in Form der gemeinsamen Nutzung von Operationsräumen, die sich im ambulanten Operationszentrum am S-G-Krankenhaus befinden.

Die zuständige KV führte zuerst eine Auffälligkeitsprüfung für 4 Quartale durch und ermittelte anhand von fünf Stichprobenfällen über alle 4 Quartale hinweg eine Patienteidentität von über 20 %. Die KV kürzte das Honorar der Klägerin für diese Quartale daraufhin um rund 7.000 Euro.

Dann führte die KV für weitere Quartale eine Einzelfallprüfung durch und kürzte in über 160 Behandlungsfällen das Honorar, weil diese Patienten immer wechselseitig durch beide Ärzte der Praxisgemeinschaft anästhesiert wurden. So führte immer im Wechsel der eine Arzt die präanästhesiologische Untersuchung (GOP 05310) und der andere die eigentliche Narkose (GOP 31822) durch. Es kam daher zu einer weiteren, umfassenderen Honorarkürzung von rund 16.000 Euro. 

Die Klägerin wandte u.a. ein, ein Wert von mindestens 20 Prozent Patientenidentität sei in diesen Quartalen nicht erreicht. Abrechnungsfehler seien nicht ersichtlich. Patientenidentitäten seien durch Vertretungen oder Notfälle gerechtfertigt. Eine kurzfristige Vertretung sei nicht anzeige- oder dokumentationspflichtig. Die Honorarkürzungen seien zu hoch veranschlagt. Auch hier sei der Kürzungsmodus ermessensfehlerhaft. Einer Kürzung hätten höchstens die doppelt abgerechnete Ordinations- bzw. Konsultationsgebühr unterzogen werden dürfen, woraus eine weitaus niedrigere Rückforderung resultiere. Die GOP 05310 und 31822 seien nicht doppelt abgerechnet worden.

Die Entscheidung:

Wie auch das Sozialgericht wies das LSG die Einwände der Klägerin als unbegründet zurück und bestätigte die Honorarkürzungen.

Auch das LSG ist von einem Missbrauch der Kooperationsform „Praxisgemeinschaft“ durch die Klägerin überzeugt.

Dementsprechend sah es die erste Honorarkürzung wegen Überschreitung der 20%-Schwelle nach Stichprobenprüfung als gerechtfertigt an.

Auch die zweite Honorarkürzung nach Einzelfallprüfung beanstandete das LSG nicht. Die Klägerin könne nicht beanspruchen, ohne jegliche Beanstandung gemeinsam mit dem Praxisgemeinschaftspartner Patienten zu behandeln, so lange das Aufgreifkriterium (20 %) nicht erreicht ist. Wenn die KV einmal mittels Stichprobenprüfungen eine Patienteidentität von mehr als 20 % festgestellt hat, könne sie auch - nach Einzelfallprüfung - bei einer Patientenidentität von unter 20 % das Honorar des einzelnen Arztes kürzen. Bei 117 konkret bezeichneten Patienten habe der eine Arzt die Voruntersuchung durchgeführt und der andere die Narkose erbracht, in zwei Fällen sogar am gleichen Tag. Für 96 konkret bezeichnete Patienten sei anhand einer Analyse der Tagesprofile nachgewiesen, dass durch die Präsenz beider Anästhesisten die Versorgung auch von demjenigen, der die Behandlung begonnen hatte, hätte fortgesetzt werden können. In 36 einzeln benannten Fällen sei belegt, dass beide Anästhesisten am gleichen Tag und in zwölf Fällen an unterschiedlichen Tagen für denselben Patienten vorbereitend für nur einen einzigen operativen Eingriff EBMwidrig jeweils die präanästhesiologische Untersuchung abgerechnet haben. Vertretungsfälle konnte das LSG ebensowenig erkennen wie Notfälle. Für Vertretungsfälle muss auch ein Vertreterschein benutzt werden, was hier nicht geschah. Auch die Besonderheit der Praxisausrichtung als ambulant tätige Anästhesistin rechtfertige das Abrechnungsgebaren der Klägerin nicht. Hierfür könne die Kooperationsform der Gemeinschaftspraxis gewählt werden. Auch an den von der KV vorghenommenen Schätzungen bezüglich der Rückforderungssumme hatte das LSG nichts auszusetzen.

Praxisanmerkung:

Der starre Blick der niedergelassenen Ärzte auf die magische 20%-Schwelle (der gemeinsam behandelten Patienten in einer Praxisgemeinschaft) schützt den einzelnen Arzt der Praxisgemeinschaft nicht vor Honorarrückforderungen, wie die aktuelle Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg noch einmal klarstellt. Denn diese Schwelle ist nur ein Aufgreifkriterium, also ein Wert, ab dem die KV den Fall aufgreifen und untersuchen darf. Es ist also keinesfalls so, dass Ärzte in einer Praxisgemeinschaft immer bis zu 19,99 % ihrer Patienten gemeinsam behandeln dürfen, ohne in Regress genommen zu werden. Vielmehr gilt, dass wenn einmal die 20%-Schwelle überschritten worden ist, die KV von der reinen Auffälligkeitsprüfung in die Einzelfallprüfung aller Behandlungsfälle übergehen darf. Und in der Einzelfallprüfung festgestellte gemeinsam behandelte Patienten führen dann vom ersten Patienten an zu einer Honorarrückforderung.

Praktisch bedeutet dies, dass Ärzte in einer Praxisgemeinschaft folgende Grundsätze beherzigen sollten, wenn sie hier Honorarrückforderungen vermeiden wollen:

  1. Behandelt ein Arzt der Praxisgemeinschaft Patienten des anderen Patienten, so ist dies nur ausnahmsweise zulässg in Notfällen (was entsprechend in der Behandlungsakte zu vermerken ist) oder, wenn der Arzt dann die Behandlung über einen vertreterschein abrechnet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dann auch die Voraussetzungen des § 32 Ärzte-ZV (Krankheit, Schwangerschaft, Fortbildung) erfüllt sein müssen, was ebenfalls zu dokumentieren ist.
  2. Erfordert die Praxisstruktur bzw. die Behandlung der Patienten (im vorliegenden Fall arbeiteten die beiden Anästhesisten in einem OP-Zentrum einer Klinik den dortigen Klinikärzten zu), dass der eine Arzt für den anderen kurzfristig einspringt, so sollten die Ärzte die Kooperationsform ändern und eine Gemeinschaftspraxis gründen und von der KV genehmigen lassen. Denn in der Gemeinschaftspraxis ist eine solche Vertretung des anderen Praxispartners "auf Zuruf" erlaubt und abrechnungstechnisch unbedenklich.