Arzt betrachtet Röntgenaufnahmen(7.6.2021 Eine Klinik kann eine unliebsame Chefärztin nicht einfach und ohne triftigen Grund freistellen und ihr so die weitere Tätigkeit untersagen. Die Chefärztin konnte sich daher erfolgreich gegen ihre Freistellung wehren (Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven, Beschluss vom 11.03.2021 – 3 Ga 301/21). 

Praxisanmerkung:

Eine Freistellung eines Arbeitnehmers wie der Chefärztin in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis bedarf auf Arbeitgeberseite eines besonderen schutzwürdigen Interesses an der Nichtbeschäftigung. Einen solchen Grund hat die Klinik hier aber nicht benannt - ein zwischenzeitlicher Verdacht, dass die Chefärztin versucht habe, eine Angestellte abzuwerben, hat die Klinik nicht mehr aufrecht erhalten. Die Chefärztin hat deshalb ersteinmal einen Anspruch, weiter in der Klinik beschäftigt zu werden.

Sie kann ihren Anspruch auf Weiterbeschäftigung ausnahmsweise auch im Eilverfahren durchsetzen, wenn der Beschäftigungsanspruch offensichtlich besteht, was hier der Fall ist, weil die Klinik überhaupt kein Interesse an der Nichtbeschäftigung geltend gemacht. Dies bedeutet im Umkehrschluß, dass Arbeitnnehmer wie z.B. angestellte Ärzte einen Beschäftigungsanspruch grundsätzlich im (länger dauernden) Hauptsacheverfahren vor dem Arbeitsgericht durchsetzen müssen und nur ausnahmsweise ein Eilverfahren anstrengen können. 

Bei einer Freistellung oder Kündigung ist in jedem Falle die schnelle Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe angeraten, um zeitnah auf die Situation reagieren zu können. So wird verhindert, dass sich eine belastende Situation verfestigt und so unabänderliche Fakten geschaffen werden.

Im vorliegenden Fall hat sich die Chefärztin mit Hilfe ihres Anwaltes sofort gegen die Freistellung gerichtlich zur Wehr gesetzt. Die Chefärztin und die Klinik konnten sich dann über eine Weiterbeschäftigung einigen. In dem vorliegenden Rechtsstreit ging es nur noch um die Frage, wer die Kosten des Eilverfahrens tragen muss. Diese Kosten muss die Klinik übernehmen, so das Arbeitsgericht.

 

Tenor:

Die Verfügungsbeklagte (Klinik) trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Gründe:

I.

Die Verfügungsklägerin ist bei der Verfügungsbeklagten aufgrund eihes Arbeitsvertrags vom 09. März 2015 seit dem 01. April 2015 als Chefärztin der Abteilung für Neurologie in dem von der Verfügungsbeklagten in B… betriebenen Krankenhaus beschäftigt.

Am 26. Januar 2021 führte der Verwaltungsleiter des Krankenhauses mit der Verfügungsklägerin ein Personalgespräch durch. In diesem Personalgespräch forderte der Verwaltungsleiter die Verfügungsklägerin zum Verzicht auf ihre Position als Chefärztin der Klinik und zur Zustimmung zu einem nicht spezifizierten, insbesondere nicht verschriftlichten Angebot auf, das ihren Wechsel in ein anderes MVZ bedeuten würde. Nachdem die Verfügungsklägerin dies abgelehnt hatte, überreichte der Verwaltungsleiter der Verfügungsklägerin ein Schreiben vom selben Tag, mit dem die Verfügungsbeklagte die sofortige widerrufliche und bis zum 28. Januar 2021 befristete Freistellung der Klägerin von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung erklärte.

Mit Schreiben vom 26. Januar 2021 forderte der Prozessbevollmächtigte der Chefärztin die Verfügungsbeklagte zur Rücknahme der Freistellung auf.

Mit Mail vom 28. Januar 2021 erklärte der Prozessbevollmächtigte der Verfügungsbeklagten, dass diese der Aufforderung nicht nachkommen werde.

Mit Antragsschrift vom 01. Februar 2012 hat die Chefärztin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beim Arbeitsgericht eingereicht und hierbei Antrag angekündigt, wie folgt zu erkennen:

1. Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, die Chefärztin zu den vertragsgemäßen Bedingungen als Chefärztin der Abteilung Neurologie in der P…-Klinik B… bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens 3 Ca 3016/21 zu beschäftigen,

2. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird der Verfügungsbeklagten ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Zwangsgeld angedroht.

Die Chefärztin ist der Auffassung, die Freistellung sei unwirksam. Sie meint insoweit unter Verweis auf den Inhalt des Personalgesprächs, dass die Freistellung jedenfalls gegen das Maßregelungsverbot verstoße. Im Übrigen bestreitet sie, dass ein rechtlich relevantes Interesse der Verfügungsbeklagten an der Nichtbeschäftigung gegeben sei. Da der Beschäftigungsanspruch zweifelsfrei bestehe, sei auch der Verfügungsgrund gegeben.

Die Verfügungsbeklagte behauptet, kurz nach der Freistellung sei bekannt geworden, dass die VerfügungsklaÅNgerin mindestens einen/eine Mitarbeiter/in der Verfügungsbeklagten angesprochen und gefragt habe, ob diese sich einen Arbeitgeberwechsel vorstellen könne, da sie, also die Verfügungsklalgerin, ebenfalls über einen solchen Arbeitgeberwechsel nachdenke. Vor dem Hintergrund dieses Versuchs der Abwerbung von Arbeitskollegen sei die Freistellung der Klägerin zum Zwecke der weiteren Ermittlungen gerechtfertigt gewesen. Im Ergebnis habe sich der Verdacht gegen die Verfügungsklägerin aber nicht erhärtet.

Die Verfügungsklaägerin nimmt zu diesem Vortrag noch Stellung und bestreitet, Mitarbeiter der Verfügungsbeklagten angesprochen zu haben, um diese zu einem Arbeitgeberwechsel zu bestimmen, wobei sie zu diesem Vorwurf auch konkret ausführt.

Wegen des weiteren Vortrags wird auf die wechselseitigen Schriftsätze und das Sitzungsprotokoll der Kammerverhandlung verwiesen.

Die Verfügungsbeklagte hat sodann mit Schriftsatz vom 16. Februar 2021 erklärt, dass sie die Freistellung zurücknehme und die Verfügungsklägerin aufgefordert, ab dem 22. Februar 2021 ihre Arbeit wiederaufzunehmen.

In der Kammerverhandlung am 18. Februar 2021 haben die Parteien das Verfahren sodann übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

II.

Nach übereinstimmender Erledigungserklärung der Parteien war nur noch über die Kosten zu entscheiden. Diese waren im vollem Umfang der Verfügungsbeklagten aufzuerlegen.

1. Haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes, § 91 a Abs. 1 ZPO.

Gemäß § 91 a ZPO ist über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Bei der Ausübung billigen Ermessens ist das Gericht an die allgemeinen Regeln des Kostenrechts gebunden, so dass derjenige die Kosten zu tragen hat, dem sie bei Fortführung des Verfahrens - also ohne Berücksichtigung des erledigenden Ereignisses - hätten auferlegt werden müssen. Zu diesem Zweck ist zu prognostizieren, ob bzw. inwieweit die Klage begründet war. (Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., 2020, § 91 a Rn. 23). Entscheidend ist hierfür der Zeitpunkt, in dem die beiden übereinstimmenden Willenserklärungen wirksam geworden sind. Die Entscheidung erfolgt unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes (vgl. Bork in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 91 a Rn. 31). Wird die Erledigungserklärung mit neuem Tatschenvortrag verbunden, so ist der Gegenseite hierzu vor einer Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren (arg. ex § 283 ZPO).

2. Für den Fall einer Entscheidung in der Sache wäre das Unterliegen der Verfügungsbeklagten zu prognostizieren gewesen. Es wäre zu prognostizieren gewesen, dass die Kammer das Vorliegen von Verfügungsgrund und Verfügungsanspruch angenommen hätte, hätte sich das Verfahren nicht erledigt.

a) Das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs wäre anzunehmen gewesen. Dem Arbeitnehmer im ungekündigten Arbeitsverhältnis kommt ein Anspruch nicht nur auf Zahlung der Vergütung, sondern auch auf tatsächliche Beschäftigung zu (BAG, Beschluss vom 27. Februar 1985 - GS 1/84 -, Rn. 28, zit n. Juris). Im bestehenden Arbeitsverhältnis gilt dies allerdings dann nicht, wenn überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen, etwa bei Wegfall der Vertrauensgrundlage, bei Auftragsmangel oder bei einem demnächst zur Konkurrenz abwandernden Arbeitnehmer aus Gründen der Wahrung von Betriebsgeheimnissen (BAG, Beschluss vom 27. Februar 1985, a.a.O., Rn. 55).

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien war ungekündigt. Auch stand keine anderweitige Beendigung im Raume. Ein besonderes schutzwürdiges Interesse an der Nichtbeschäftigung ist von der Verfügungsbeklagten nicht vorgetragen worden. Die Verfügungsbeklagte hat insoweit allein in Anspruch genommen, dass nach erfolgter Freistellung der Verdacht aufgekommen sei, die Verfügungsklägerin habe versucht, einen Arbeitskollegen abzuwerben. Dieser Verdacht hat sich jedoch nach dem eigenen Vortrag der Verfügungsbeklagten gerade nicht erhärtet und bestand zuletzt nicht mehr.

b) Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes wäre zu prognostizieren gewesen.

aa) An den Verfügungsgrund bei einem Antrag auf tatsächliche Beschäftigung im Rahmeneiner einstweiligen Verfügung sind strenge Anforderungen zu stellen. Der Antrag ist auf Erlass einer Leistungsverfügung (Befriedigungsverfügung), nicht auf eine Sicherungsverfügung gerichtet. Die Leistungsverfügung ist dabei nur ausnahmsweise zulässig. Für einen hinreichenden Verfügungsgrund i.S.v. § 940 ZPO muss der (1.) Antragsteller auf die sofortige Erfüllung seines Anspruchs dringend angewiesen sein, (2) die geschuldete Handlung so kurzfristig zu erbringen sein, dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist, wenn die geschuldete Handlung ihren Sinn nicht verlieren soll und (3) der dem Antragsteller aus der Nichterfüllung drohende Schaden außer Verhältnis zu dem Schaden sein, der dem Antragsgegner aus der sofortigen - vorläufigen - Erfüllung droht. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien genügt es als Verfügungsgrund grundsätzlich nicht, dass lediglich der Beschäftigungsanspruch durch Zeitablauf sukzessive untergeht. Zwar würden, wenn man für die Durchsetzung der tatsächlichen Beschäftigung das Bestehen einer Notlage verlangte, überspannte Anforderungen an den Verfügungsgrund gestellt. Jedoch bleibt grundsätzlich zu verlangen, dass der Arbeitnehmer über die bloße, durch seine Nichtbeschäftigung verursachte Rechtsbeeinträchtigung hinaus ein ernsthaftes Bedürfnis an einer gerichtlichen Eilentscheidung glaubhaft macht, z.B. die von tatsächlicher Beschäftigung abhängige Erlangung oder Sicherung einer beruflichen Qualifikation.

Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Beschäftigungsanspruch offensichtlich besteht, insbesondere weil im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis der Arbeitgeber überhaupt kein Interesse an der Nichtbeschäftigung geltend macht. In diesem Falle erfordert das Gebot effektiven Rechtsschutzes auf einen entsprechenden Antrag hin ausnahmsweise ein Eingreifen der Gerichte, obwohl kein über den Rechtsverlust selbst hinausgehendesgesteigertes Interesse am Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Befriedigungswirkung dargelegt worden ist (LAG München v. 07.05.2003, 5 Sa 344/03, zit. n. juris) aa.

bb) So liegt der Fall hier: Der Beschäftigungsanspruch der Verfügungsklägerin ist offensichtlich.

Unstreitig besteht zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis. Beendigungstatbestände sind nicht ersichtlich. Die Verfügungsbeklagte hat überhaupt kein Interesse an der

Nichtbeschäftigung vorgetragen. Das angedeutete Interesse an der Nichtbeschäftigung aufgrund des zwischenzeitlichen Verdachts der Verfügungsbeklagten, die Verfügungsklägerin habe Kollegen abwerben wollen, besteht nach dem eigenen Vortrag der Verfügungsbeklagten nicht.

3. Infolge von § 890 Abs. 2 ZPO wäre auf Basis einer stattgebenden Entscheidung im Hinblick auf den Beschäftigungsantrag selbst auch dem Antrag auf Androhung eines Zwangsgeldes stattzugeben gewesen.