Zahnarztpraxis(4.6.2021) Stellt sich ein Zahn auffällig dar (hier: Aufhellung eines Zahnes, das auf Absterben hinweist), so ist vor der Einleitung von konkreten Behandlungsschritten (hier: Überkronung) eine detaillierte Röntgenaufnahme des Zahnes anzufertigen. Diese Dokumentation zu unterlassen ist eine grobe Pflichtverletzung die zu einem Schmerzensgeldanspruch des Patienten führt (Landgericht Köln, Urteil vom 16. Dezember 2020 – 3 O 326/18).

Der Fall:

Der Kläger wurde ab Ende 2012 vom beklagten Zahnarzt behandelt, nachdem er 20 Jahre nicht mehr beim Zahnarzt gewesen war. Unter anderem überkronte der Zahnarzt die Zähne 36 und 37. Diese Zähne zog der beklagte Zahnarzt allerdings im April des Folgejahres wieder. 

Der Patient warf dem Zahnarzt u.a. vor, er habe die Zähne 36 und 37 nicht einfach überkronen dürfen, ohne sie vorher richtig zu untersuchen.

Diesen Vorwurf wies der Zahnarzt zurück. Die Überkronung sei korrekt gewesen, einer der Zähne sei aufgehellt gewesen (was ein Anrzeichen für ein Absterben des Zahnes ist). Die Zähne seien dann im April 2013 derart zerstört gewesen, dass er sie nicht mehr habe retten können.

Der Kläger wechselte schließlich den Zahnarzt und verlangte Schadensersatz von dem Beklagten.

Die Entscheidung:

Das Gericht sieht dieses Verhalten des Beklagten als groben Behandlungsfehler an und gab der Klage überwiegend statt. Dabei stützte sich das Gericht auf die Aussagen des medizinischen Sachverständigen:

Der Gerichtssachverständige monierte die mangelnde Dokumentation und führte dann aus, dass dem Beklagten in Bezug auf die Zähne 36 und 37 ein grober Behandlungsfehler unterlaufen sei, indem diese ohne genauere Untersuchung überkront und dann wenige Monate später extrahiert habe. Auf dem Panorama-Röntgenbild der Ausgangslage vom September 2012 seien im Bereich des Zahnes 37 "deutliche(!) Auffälligkeiten" vorhanden gewesen, so dass die Erstellung eines individuellen Röntgenbildes des einzelnen Zahnes "zwingend notwendig" gewesen sei. Das direkte Überkronen des Zahnes 37 war nach Ansicht des Sachverständigen ein nicht verständlicher Fehler, der schlechterdings nicht unterlaufen dürfe. Denn Zahn 37 sei schwer vorgeschädigt gewesen, sodass eine genauere Bildgebung durch den Beklagten hätte erfolgen müssen.

Auch kann der Sachverständige den Grund für die Notwendigkeit der Extraktion der Zähne 36 und 37 nur wenige Monate nach der Überkronung, insbesondere in Bezug auf Zahn 36, nicht im Ansatz nachvollziehen, zumal eine aussagekräftige Dokumentation fehle. Die Extraktionswürdigkeit folge nach den Ausführungen des Sachverständigen auch nicht zwingend daraus, dass der Zahn nicht mehr vital gewesen sei. Es sei keine Vitalitätsprobe dokumentiert. Zwar könne er, der Sachverständige, nicht abschließend beurteilen, ob eine endodontische Revisionsbehandlung des Zahns 37 diesen hätte retten können. Eine apikale Aufhellung an Zahn 37 sei festzustellen, so dass plausibel sei, dass dieser sich ggfs. gelockert hatte. Dies sei aber ebenfalls nicht in der Behandlungsdokumentation vermerkt.

Zwar wäre nach den Ausführungen des Sachverständigen auch eine Entfernung des Zahns 37 wegen des erheblichen Aufwands dieser Behandlung bereits bei Behandlungsbeginn vertretbar gewesen. Dass aber auch andere Behandlungsmöglichkeiten zahnärztlich vertretbar gewesen wären, ist für den vorliegenden Behandlungsfehler unbeachtlich. Indem der Beklagte keine Dokumentation über die Aufklärung vorgelegt und auch sonst keinen Beweis erbracht hat, ist die Einwilligung des Klägers in die Extraktion unwirksam). Das Fehlen der Dokumentation geht hier zulasten des beklagten Arztes. Dokumentationsmängel gerade vor einer Zahnextraktion führen zu einer Umkehr der Beweislast dergestalt, dass vermutet wird, die Zahnextraktion sei ohne medizinische Indikation erfolgt.

Praxisanmerkung:

Die Entscheidung verdeutlicht erneut die Wichtigkeit einer schlüssigen Dokumentation der wesentlichen Punkte einer Behandlung: 

  • Diagnostik (je schwerwiegender ein vermuteter Befund ist, desto detaillierter sollte die Diagnostik sein - hier hätte der einzelne Zahn 37 geröntgt werden müssen vor der Überkronung) 
  • Befunde
  • insbes. Vitalitätsproben
  • Behandlungsschritte
  • wichtige Hinweise an den Patienten: z.B.: Tragen Sie die herausnehmbare Prothese!
  • wichtige Besonderheiten, z.B. Auseinandersetzungen mit Patient über weiteren Behandlungsverlauf oder vom Patienten mißachtete Anweisungen

Eine solche Dokumentation ist auch in abrechnungstechnischer Hinsicht wichtig. In der Praxis ist immer wieder zu sehen, dass Ärzte und insbesondere Zahnärzte Leistungen nicht erfolgreich abrechnen können, weil sie die dokumentationspflichtigen Mindestinhalte der Leistungslegenden nicht hinreichend dokumentieren oder weil sie Behandlungsschritte gar nicht vermerken oder den besonderen Zeitaufwand und die Schwierigkeit der Behandlung nicht einzelfallbezogen erfassen. Kommt es zu einem Behandlungsabbruch durch den Arzt oder durch den Patienten, so ist überdiies wichtig, von wem und vor allem warum die Behandlung abgebrochen wurde - wird dies nicht sauber dokumentiert, droht dem Arzt sogar ein vollständiger Honorarverlust.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
Witzlebenstraße 3 - 14057 Berlin - Tel: (030) 536 47 749
E-mail: mail@christmann-law.de