Sturz im Krankenhaus während Aufwachphase(19.5.2021) Stürzt ein narkotisierter Patient im Aufwachraum einer Klinik und verletzt sich, so haftet die Klinik auf Schadensersatz und Schmerzensgeld, da dieser Sturz ein voll beherrschbares Risiko darstellt. Weil der Patient eine teilweise Querschnittsleähmung erlitt, muss die Klnik ihm voraussichtlich mehrere Hunderttausend Euro zahlen, die genaue Schadenshöhe muss gesondert ermittelt werden (Landgericht Dortmund vom 4.3.2021 – 4 O 152/19).

Der Fall: 

Wegen Kniebeschwerden unterzog sich ein 71-jähriger Mann (der spätere Kläger) einer Knieoperation in der Klnik der Beklagten. 

Die Zeuginnen (zwei Pflegekräfte) holten den Kläger nach erfolgreicher Operation aus aus dem OP-Sal ab. Nach dem Ausschleusen aus dem OP gelangt man in einen Vorraum und von dort aus in den Aufwachraum, der Platz für drei Betten bietet. Der Kläger wurde in seinem Bett auf den rechten Platz gebracht, welcher vom Vorraum nicht einsehbar ist. Zwischen dem Aufwachraum und der OP-Schleuse befindet sich ein weiterer Raum, das Büro. Die OP-Schleuse verfügt zwar über ein Fenster zum Büro und dieses wiederum über ein Fenster zum Aufwachraum, aber die OP-Schleuse ist so weit vom Aufwachraum entfernt, dass kein sofortiger Zugriff auf die Patienten stattfinden kann. Nach dem Ausschleusen aus dem OP war der Kläger wach, kooperativ und ansprechbar. Ihm ging es gut und die Vitalparameter waren in Ordnung. Das Bett des Klägers, das zum Zeitpunkt seines Sturzes auf die niedrigste Stufe gestellt war, verfügte über keine fest angebrachte Bettgitteranlage in der Weise, dass die Bettgitter hochgestellt werden konnten. Externe Bettgitter, die an der Wand im Vorraum hingen, brachten die Zeuginnen am Bett des Klägers bewusst nicht an, sodass diese nicht nur vergessen wurden. Vielmehr bestand eine Anweisung, Bettgitter nur bei unruhigen Patienten anzubringen. Zu diesen Patienten gehörte der Kläger nicht. Während die Zeugin D1 den Kläger noch weiterversorgte, holte die Zeugin C1 den nächsten Patienten aus der OP-Schleuse ab. Da das Rangieren der Betten vom Schleusenraum über den Vorraum, der mit Betten der zu operierenden Patienten belegt und dadurch sehr eng war, schwierig war, kam die Zeugin D1 der Zeugin C1 zu Hilfe. Zu diesem Zeitpunkt befand sich auch der Pfleger W3 im Vorraum, der gerade einen Intensivpatienten mit Bett herunterbrachte. Durch einen lauten Knall wurden die Zeuginnen darauf aufmerksam, dass der Kläger aus seinem Bett gefallen und mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen war.

Der Kläger erlitt durch den Sturz eine teilweise Querschnittslähmung.

Die Entscheidung:

Das Landgericht bejahte eine Haftung der Klinik. Die Klinik habe den Kläger im Aufwachraum, als dieser noch von dem Narkosemittel benommen war, nicht hinreichend gegen Stürze aus dem Bett abgesichert.

Dass der Kläger nach dem Ausschleusen aus dem OP wach, kooperativ und ansprechbar war, stehe dem Haftungsanspruch gegen die Klinik nicht entgegen. Denn der Sachverständige (ein Chefarzt einer Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin) habe nachvollziehbar und detailliert erläutert, dass der wache Eindruck beim Ausschleusen darauf zurückzuführen sei, dass die Patienten vom Personal angesprochen werden und an ihnen herumhantiert wird. Nach den Ausführungen des Sachverständigen schlafen die Patienten dann jedoch narkosebedingt sofort wieder ein, sobald sie alleingelassen werden. Dass dies auch beim Kläger der Fall gewesen sei, zeige sich daran, dass dieser nach den Ausführungen des Sachverständigen hne jeden Schutzreflex aus dem Bett gefallen und auf den Boden "geknallt" ist. Denn nur das Stürzen ohne jeden Schutzreflex aus der sogar reduzierten Fallhöhe erkläre die erheblichen Verletzungen des Klägers in Form einer inkompletten Querschnittssymptomatik mit Tetraparese.

Das Landgericht führte aus, Stürze in dieser Phase der akuten Gefährdung müssten seitens der Beklagten verhindert werden. Der Fall des Klägers falle in den Bereich des voll beherrschbaren Risikos. Voll beherrschbar sind letztlich all jene Bereiche im Umfeld ärztlichen Tuns, die von der Person des konkreten Patienten unabhängig und von den individuellen Eigenheiten seines Organismus nicht beeinflusst sind. 

Gegen eine kurzzeitige Sicherung eines grundsätzlich sturzgefährdeten Patienten, der offensichtlich schutzbedürftig ist, weil er nicht bei Bewusstsein und damit nicht „Herr seiner Sinne“ ist, bestehen aus Sicht des Landgerichts auch keinerlei rechtliche Bedenken.

Die Klage ist daher aus Sicht des Gerichts dem Grunde nach gerechtfertigt. Das Gericht stellt fest, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle auf das Fehlverhalten der Beklagten anlässlich des Sturzereignisses vom 18.07.2017 zurückzuführenden künftigen materiellen und - soweit nicht vorhersehbar - immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit sie nicht auf Dritte, insbesondere Versicherungen und Sozialversicherungsträger übergegangen sind und übergehen werden.

Die beklagte Klinik legte gegen die Entscheidung Berufung zum OLG Hamm ein (dortiges Az.: I-3 U 57/21).

Praxishinweis:

Es empfiehlt sich, bei Patienten im Aufwachraum eine Bettgitter am Bett anzubringen.

Denn auch wenn der Patient im Aufwachraum ansprechbar erscheint, steht er immer noch unter der Einwirkung der Narkosemittel. Stürzt er dann, kann er sich erheblich verletzen, weil er in diesem betäubten Zustand keine Abwehrreflexe zeigen kann. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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