(11.1.2021) Das Ausstellen ärztlicher Atteste gehört zum Tageswerk jedes niedergelassenen Arztes. Zur Zeit werden Ärzte vermehrt mit Anfragen nach Attesten konfrontiert, insbesondere in Folge der Corona-Pandemie. So fragen zur Zeit Patienten nach Attesten an, die den Patienten z.B. von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung befreien sollen - der rechtliche Umgang mit diesen Attesten sorgt für einigen Streit und erhebliche Verunsicherung.
Wenn der Arzt bei der Ausstellung von Attesten einige Regeln beachtet, kann er sich einige Schwierigkeiten mit Patienten, Gerichten und Behörden aber ersparen, wie sich anhand eines aktuellen Falles aus Hamburg zeigt (Hamburgischer Berufsgerichtshof für die Heilberufe, Urteil vom 4.11.2020 – 15 Bf 63/20.HBG). Da ärztliche Atteste besonderes Vertrauen genießen, gelten für sie besonders anspruchsvolle Regeln.
Es gibt eine Vielzahl von Attesten: z.B. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Gesundheitszeugnisse, Zeugnisse über krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit, zur Befreiung vom Sportunterricht in der Schule, Bescheinigung über das Bestehen einer Schwangerschaft für den Arbeitgeber, zur Begründung einer vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung (Duldung) iS v § 60a AufenthG, als Todesbescheinigungen oder Zeugnisse für Lebensversicherungen oder als Bescheinigung über die Verhandlungsfähigkeit im Straf- oder Zivilprozess. Form und Inhalt des Attests sind dem Arzt zwar grundsätzlich freigestellt und es gibt keinen Formularzwang, wenn auch Ärzte oft Vordrucke einsetzen. Trotzdem gibt es eine Vielzahl von Regeln, die bei der Erstellung von ärztlichen Attesten zu beachten sind.
Welche Regeln gelten die Ausstellung ärztlicher Atteste?
Grundsatz: Der Arzt hat bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse (wozu auch Atteste zählen) mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und darin nach bestem Wissen seine ärztliche Überzeugung auszusprechen (vgl. § 25 Muster-Berufsordnung Ärzte). Eine Pflicht des Arztes zum Erstellen eines Attestes auf Anforderung des Patienten besteht nicht. Das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse zur Vorlage bei Behörden ist sogar strafbar für den Arzt (§ 278 StGB) - dies ist also einer der wenigen Fälle, in denen eine bloße schriftliche Lüge strafbar ist.
Was bedeuten diese Anforderungen aus der Berufsordnung und dem Strafrecht nun im Einzelnen für den Arzt, der ein Attest erstellen soll?
- der Arzt muss den Patienten selbst untersucht haben (es ist strengstens verboten, Atteste ohne Untersuchung zu erstellen)
- Vorerkrankungen sind zu benennen
- der Arzt muss in dem Attest eigene Erkenntnisse darstellen - er muss sich von den im Attest behaupteten Tatsachen selbst ein Bild gemacht haben - ein Arzt darf keinen Vorgang bescheinigen, den er nicht selbst wahrgenommen hat
- der Arzt muss klar machen, ob er die medizinischen Erkenntnisse durch eigene Untersuchungen oder zB durch konsiliarische Untersuchungen gewonnen hat
Und genau dies wurde einem Hamburger Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe hier als Berufsrechtsverstoß vorgeworden: Aus seinem Attest wurde nicht ersichtlich, ob der Arzt die gesundheitlichen Beschwerden der Patientin selbst diagnostiziert hatte und ob diese durch (angebliche) Nachbarschaftsstreitigkeiten verursacht oder verstärkt wurden - das Attest muss eine klare Diagnose enthalten
- der Arzt muss darlegen, wie er zu den attestierten Schlussfolgerungen oder Diagnosen gelangt ist
- der Arzt darf keine fachfremden Diagnosen stellen - so kann ein Zahnarzt keine allgemeinmedizinischen Atteste erstellen
- Atteste sollen nur medizinische Feststellungen enthalten. Sonstige Bestellungen (z.B. über Streitigkeiten mit Dritten oder persönliche Wohnverhältnisse) dürfen nur angegeben werden, wenn der Arzt diese persönlich wahrgenommen hat. Nicht erlaubt ist also die bloße Wiedergabe subjektiver Schilderungen des Patienten als eigene Einschätzung
- keinesfalls sollen solche „Nebenschauplätze“ einen zu großen Raum einnehmen - im Zentrum des Attestes muss immer die medizinische Seite stehen
- wenn der Arzt Kausalitäten darstellt, muss er klar machen, was Ursache und was Wirkung ist
- der Arzt darf sich mit seinen Äußerungen in dem Attest nicht in eine Sache des Patienten „hineinziehen“ lassen oder sich mit dessen Anliegen gemein machen - der Arzt soll objektiv medizinische Tatsachen und Befunde attestieren, mehr nicht
Im Zweifel sollte ein Arzt die Erstellung eines Attestes ablehnen - Zweifelsfälle sind:
- Arzt hat Zweifel an Richtigkeit der Angaben des Patienten über Beschwerden oder Vorerkrankungen
- Arzt hat Kenntnis von sachfremden Motiven (zB Urlaubswunsch des Patienten)
- Ein Arzt darf z.B. eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dann ausstellen, wenn er sich mit der notwendigen Sorgfalt und in nachvollziehbarer, vertretbarer Weise seine ärztliche Überzeugung von dem Vorliegen der Voraussetzung einer Arbeitsunfähigkeit verschafft hat
In jedem Fall sollte der Arzt streng an dem Mindestinhalt eines Attestes (Angaben über Gesundheitszustand, Diagnose, Dauer einer Krankschreibung) halten und im Zweifel alle Zusatzangaben (z.B. über persönliches Vorgeschichte, familiäre Schilderungen etc) weglassen.
- Sinnvoll (aber nicht zwingend) ist eine Zweckbestimmung des Attestes (zB „Zur Vorlage bei XY-Behörde“)