(8.1.2020) Stellt sich ein Patient mit einem geröteten Auge bei einem Allgemeinarzt vor, besteht eine Verpflichtung zur Überweisung an einen Augenarzt nur, wenn aufgrund einer Untersuchung mit in der Hausarztpraxis zur Verfügung stehenden Mitteln und der Anamnese des Patienten der konkrete Verdacht auf eine Erkrankung des Auges oder einen eingedrungenen Fremdkörper besteht; solche lediglich unspezifischen Beschwerden rechtfertigen es, von einer Überweisung abzusehen und den Patienten zu einer Wiedervorstellung zu veranlassen (OLG Dresden, Beschlüsse vom 4. Juni und 8. August 2019 – 4 U 506/19).

Auge des PatientenDer Fall:

Die Klägerin litt nach Gartenarbeiten unter einem geröteten Auge mit Fremdkörpergefühl und suchte deshalb einen Allgemeinmediziner auf. Die Klägerin hatte dabei weder von Schmerzen noch von einer Sehverschlechterung berichtet.

Der Hausarzt untersuchte das Auge - dies ohne Zuhilfenahme weiterer Instrumente - konnte aber keine Ursache finden und behandelte die Patientin mit antibiotischen Tropfen. Anschließend empfahl ihr der Arzt, sich nach circa drei Tagen bei Nichtbesserung der Beschwerden erneut vorzustellen. Er überwies sie nicht unmittelbar zu einem Augenarzt.

Wie sich später zeigte, war Ursache der Beschwerden ein mitten im Auge steckender Metallsplitter.

Die Klägerin warf dem Arzt folgende Fehler vor: unterlassenen Einsatz einer Spaltlampe, nicht durchgeführte Fluoreszin-Anfärbung, unterlassene Ektropionierung, Untersuchung „lediglich im Stehen“, keine Abtastung des Augapfels und Unterlassung einer sofortigen Überweisung an einen Augenarzt.

Die Entscheidung:

Das OLG Dresden wies die Klage in zweiter Instanz zurück, nachdem bereits das Landgericht einen Fehler des Haisarztes verneint hatte.

Der Patient kann, so das OLG Dresden, keinen „Goldstandard“ für sich in Anspruch nehmen, also all diejenigen Maßnahmen fordern, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst überhaupt denkbar zur Verfügung standen, sondern er kann nur dasjenige fordern, was sich in der medizinischen Wissenschaft und Praxis als von der jeweiligen Berufsgruppe objektiv einzuhaltender Standard etabliert hat.

Der vom Gericht hinzugezogene Sachverständige hat klar ausgeführt, dass vom Beklagten insoweit keine weiteren Untersuchungen zu fordern waren, insbesondere auch keine Untersuchungen, wie sie im von der Klägerin vorgelegten Artikel gefordert werden. Denn wenn der Artikel auch mit „Rotes Auge - Leitfaden für den Nicht-Ophtalmologen“ überschrieben ist, hat der Sachverständige klar ausgeführt, die dort geschilderten Untersuchungen entsprächen jedenfalls nicht dem Standard der Allgemeinmedizin.

Sucht der Patient also mit seinen Augenbeschwerden einen Allgemeinarzt auf, so schuldet dieser dem Patienten bei der Untersuchung eines Auges, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit eines Augenarztes fällt, beispielsweise nicht den Einsatz einer Spaltlampe unter Fluoreszin-Anfärbung. Eine Verpflichtung des Hausarztes, das Auge mittels einer Spaltlampe unter Fluoreszin-Anfärbung zu untersuchen und abzutasten, hätte nur bei Verdacht auf ein Glaukom bestanden, so der Sachverständige. Der Patient klagte hier ja nur über ein gereiztes Auge mit Fremdkörpergefühl (und ohne Schmerzen), so dass aber kein Glaukomverdacht bestand und daher auch diese weitergehenden Untersuchungen nicht geschuldet waren.

Unerheblich sei, welche Behandlung sich im Nachhinein als bestmögliche erwiesen hätte - es kommt also darauf an, was der Arzt nach dem jeweiligen Facharztstandard seines Gebietes leisten musste.

Die von der Klägerin geforderte sofortige Überweisung an einen Augenarzt wäre hier allenfalls indiziert gewesen bei einem konkreten Verdacht auf einen Fremdkörper im Auge, wobei sich ein solcher konkreter Verdacht allein aus dem Umstand durchgeführter Gartenarbeiten nicht herleiten lasse. Denn diese Beschwerden hätten auch durch Pollenflug oder Ähnlichem begründet sein können.

Praxisanmerkung:

Nun stellt sich also die Frage, bei welchen Beschwerden ein Hausarzt den Patienten unmittelbar an den Augenarzt überweisen muss. Leider lässt sich mithilfe des für Fachärzte bestehenden Standards (zum Beispiel Leitlinie Nr. 12 „Bakterielle Konjunktivitis“ des Bundesverbandes der Augenärzte) das von einem Allgemeinarzt zu fordernde Behandlungsregime nicht definieren. Es verbleibt also eine Unsicherheit für den Allgemeinarzt - er kann schwerlich herausfinden, ab welcher Belastung für den Patienten er verpflichtet ist, den Patienten an den Augenarzt zu überweisen.

Aus den Entscheidungen des OLG Dresden lassen sich aber einige Grundregeln ableiten:

  • Klagt der Patient über starke Schmerzen und kann der Hausarzt die Ursache mit den hausärztlichen Untersuchungsmöglichkeiten nicht festtsellen, sollte er den Patiienten sogleich an den Augenarzt überweisen.
  • Ergeben sich Hinweise, dass der Patient an einem Glaukom leidet (Sehkraftverlust), so sollte der Hausarzt an den Augenarzt überweisen, der bessere Untersuchungsmöglichkeiten dazu hat.
  • Bei sich nicht bessernden unklaren Beschwerden ist der Hausarzt gut beraten, eine Wiedervorstellung nach ca. zwei Tagen anzuordnen.
  • Ergibt sich aus den Angaben des Patienten der konkrete Verdacht für einen Fremdkörper im Auge (zum Beispiel Schmerzen im Auge nach Metallarbeiten des Patienten), so sollte der Hausarzt gleich an den Augenarzt überweisen (hier drängte sich nach den Gartenarbeiten der Patientin noch kein solcher konkreter Verdacht auf).
  • Erscheint der Patient bereits mit dem Wunsch zur Überweisung zum Augenarzt, so sollte der Hausarzt dem (nach allgemeiner Untersuchung zur Abklärung der Befundlage) entsprechen - dies mag medizinisch nicht angeraten sein, stellt bei ausdrücklichem Patientenwunsch aber den für den Arzt sichersten Weg dar. Der Patientenwunsch sollte dokumentiert werden.
  • Zusammengefasst ist festzustellen, dass der Hausarzt immer den sichersten Weg geht, wenn er bei größeren Beschwerden unklarer Ursache sogleich an den Facharzt überweist.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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