(27.11.2019) Ein Patient mit fortschreitendem Glaukom und epiretinaler Gliose beider Augen hat keinen Anspruch gegen seine gesetzliche Krankenversicherung auf eine Bezahlung einer ambulant durchgeführten Elektrostimulationsbehandlung (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 9.11.2018 – L 4 KR 1540/17). Der Patient kann sich auch nicht darauf berufen, dass seine Erkrankung wertungsgemäß mit tödlichen Erkrankungen vergleichbar sei. Augenärzte, die Elektrostimulationsbehandlungen durchführen, müssen ihre Patienten folglich darüber aufklären, dass sie die Behandlungskosten selbst zu tragen haben. Der Artikel erklärt, in welcher Form dies geschehen soll.

Arzt klärt Patient aufDer Fall:

Der Kläger begehrt von der beklagten Krankenkasse die Erstattung der Kosten für eine im Juni 2016 ambulant durchgeführte Elektrostimulationsbehandlung.

Der 1941 geborene Kläger leidet an einem Glaukom (Erstdiagnose 2008) und einer epiretinalen Gliose beider Augen. Im streitgegenständlichen Zeitraum hatte der Kläger einen Visus mit Brille von 0,3 rechts und von 0,15 links sowie fortgeschrittene Gesichtsfeldeinschränkungen.

Die Elektrostimulationstherapie (auch Wechselstromtherapie) ist ein nicht-invasives Verfahren zur elektrischen Stimulation des Gehirns und der Augen. In zehn ambulanten Sitzungen werden mittels an der Stirn angebrachter Elektroden elektrische Impulse an das Gehirn und die Augen gesendet. Ziel der Behandlung ist die Verbesserung des Restsehleistungsvermögens („Residualsehen“) über eine Synchronisation der Hirnaktivität. Die Therapie ist wisssenschaftlich nicht anerkannt und die Studienlage dazu ist dürftig.

Seit 2008 erfolgte die Behandlung des Glaukoms des Klägers mit augeninndrucksenkenden Augentropfen. Im Verlauf wurden wegen Unverträglichkeiten verschiedene Augentropfen verwendet und größtenteils wieder abgesetzt. Zuletzt wurden zumindest seit Juni 2015 die Augentropfen Clonidophtal sine 1/8 eingesetzt. 2011 wurde am rechten Auge eine Kanaloplastik zur Augendrucksenkung durchgeführt und zugleich ein damals bestehender Katarakt durch Implantation einer Hinterkammerlinse behandelt. Ende 2011 wurde am linken Auge eine Kanaloplastik durchgeführt. 2016 erfolgte eine Zyklophotokoagulation beider Augen zur Augendrucksenkung. Der Zieldruck von 15 mmHg wurde laut Arztbrief nicht erreicht.

Anfang 2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Elektrostimulationstherapie der Sehnerven. Zur Begründung seines Antrags gab er an, die herkömmlichen Behandlungsmethoden des Glaukoms seien bei ihm nicht wirksam. Laut Arztbriefen konnte trotz mehrerer durchgeführter therapeutischer Verfahren keine ausreichende Drucksenkung des Augeninnendrucks erzielt werden.

Die Beklagte lehnte die Leistungen nach Prüfung der Anfrage durch den MDK ab, weil es sich bei der beantragten Elektrostimulationstherapie um eine neue Behandlungsweise handele. Über deren Nutzen müsse der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) entscheiden. Zur Behandlung des Glaukoms des Klägers stünden schulmedizinische Therapien zur Verfügung. Von einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer gleichwertigen Erkrankung könne nicht ausgegangen werden.

Das Sozialgericht wies die Klage nach Einholung eines meditzinischen Sachverständigengutachtens als unbegründet ab. Der Kläger ging in Berufung.

Die Entscheidung:

Auch das Landessozialgericht hörte medizinische Sachverständige an, lehnte aber ebenfalls eine Zahlungspflicht der beklagten Krankenkasse ab und wies die Berufung als unbegründet zurück.

Nur wenn der GBA den diagnostischen und therapeutischen Nutzen einer neuen Behandlungsmethode anerkannt habe, müsse die Kasse diese Behandlung bezahlen. Die Elektrostimulation sei neu, aber vom GBA nicht durch eine Empfehlung anerkannt.

Es liege auch kein Fall einer ausnahmsweisen Zahlungspflicht der Kasse vor:

Es liege kein sog. Systemversagen des Krankenversicherungssystems vor.

Ebenfalls liege kein Fall einer "seltenen Erkrankung" vor, da Glaukom und Gliose häufiger vorkämen.

Es liege auch keine lebensbedrohliche oder tödlich verlaufende Erkrankung vor (für die keine anerkannte Behnadlungsmöglichkeit bestehe). Die Erkrankung des Klägers sei auch nicht wertungsmäßig mit einer solchen Erkrankung vergleichbar. Es sei schon - wie der Sachverständige ausgeführt habe - nicht erwiesen, dass die Erkrankung zur Erblindung führe. Es stünden damals auch noch andere Behandlungsmethoden zur Verfügung wie z.B. die Fortsetzung der medikamentösen Augeninnendrucksenkung. Die Gliose hätte überdies operativ behandelt werden können.

Auch die Elektrostimulation biete keine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder positive Einwirkung auf den Heilungsverlauf: Laut sachverständigem könne auch die Elektrostimulation den fortschreitenden Untergang der Sehnerven nicht stoppen.

Praxisempfehlung:

Weiß der Arzt, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte, muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform informieren (§ 630 c Absatz 3 BGB). Diese sog. wirtschaftliche Aufklärungspflicht ist in Folge des hier besprochenen Urteils des LSG bezüglich der Elektrostimulation zu bejahen.

Es ist dabei nicht erlaubt, dass sich der Arzt von dem Patienten in vorformulierten Bedingungen (z.B. einer Patienteninformation über eine Untersuchung oder Behandlung) Erklärungen zur wirtschaftlichen Aufklärung bestätigen läßt, wie z.B. "Ich bin von dem Arzt darüber aufgeklärt worden, dass ich die Kosten einer Elektrostimulationsbehandlung selbst tragen muss" (vgl. Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 7.12.2016 - 12 O 75/16).

Erlaubt ist es dagegen, wenn der Arzt in vorformulierten Bedingungen schreibt: "Die Kosten einer Elektrostimulationsbehandlung werden nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen". Dabei sollte er aber solche Erklärungen im Aufklärungsformular hervorheben (zum Beispiel durch Unterstreichungen oder Fettdruck), damit sie nicht drohen, überlesen zu werden oder "im Buchstabenmeer unterzugehen". Ratsam ist es auch, dem Patienten einen ungefähren Kostenvoranschlag zu geben.

Auch wenn aber der Arzt z.B. die Formulierung "Die Kosten einer Elektrostimulationsbehandlung werden nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen" verwendet, erspart ihm dies nicht, den Patienten mündlich aufzuklären über diesen Umstand. Denn Kern der Aufklärung ist und bleibt das Gespräch zwischen Arzt und Patient über eine eigene Kostentragungspflicht oder Risiken der Behandlung. Dieses Gespräch kann nicht durch die Übergabe von - wie auch immer formulierten - Formularen ersetzt werden kann. Die mündliche Aufklärung sollte auch in der Behandlungsakte dokumentiert werden, z.B.: "Aufklä. Kostenlast Patient, Risken: Entzündung, Rezidiv". Es reicht regelmäßig nicht aus, wenn man nur die Tatsache dokumentiert, dass eine Aufklärung erfolgte - vielmehr sollte der Inhalt der Aufklärung zumindest umrissen werden.

Zusammenfassung:

Vor der Behandlung

  • Patient mündlich aufklären: Kosten Elektrostimulation werden nicht von Kasse übernommen
  • diese Aufklärung dokumentieren
  • zusätzlich: Hinweis "Die Kosten einer Elektrostimulationsbehandlung werden nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen" in von Patienten zu unterzeichnende Patienteninformation aufnehmen
  • Kostenvoranschlag an Patienten übergeben

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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