(21.10.2019) Röntgenaufnahmen des Thorax anzufertigen und zu befunden gehört (noch) in das Fachgebiet eines niedergelassenen Pneumologen. Diese Bilder dürfen also von diesem Arzt gemacht und ausgewertet werden. Hätte dagegen ein Allgemeinarzt den Thorax geröntgt und die Bilder ausgewertet, so hätte er sich damit in den Fachbereich eines Radiologen begeben und dann wäre seine Auswertung auch am (strengeren) Maßstab des Facharztes für Radiologie zu werten gewesen (Landgericht Flensburg, Urteil vom 2. August 2019 – 3 O 198/15).

Arzt betrachtet RöntgenaufnahmenDer Fall:

Im vorliegenden Fall übersah der in einem MVZ tätige Pneumologe auf seinen Anfang 2014 gefertigten Röntgenbildern des Thorax einen Lungenkrebs. Und der Patient verstarb später an diesem Lungenkrebs. Die Erben des Patienten warfen dem MVZ und dem Pneumologen einen Diagnosefehler vor und verlangten Schmerzensgeld für das Leid des verstorbenen Patienten.

Die Entscheidung:

Das LG Flensburg holte zwei Ärzte als Sachverständige hinzu (einen Pneumologen und einen Radiologen).

Im Ergebnis wies das Gericht die Klage als unbegründet ab.

Denn das Übersehen des Krebses sah das LG Flensburg nicht als vorwerfbaren Diagnosefehler an.

Zwar hatte der vom Gericht hinzugezogene Radiologe später auf denselben Bildern einen Lungentumor feststellt. Allerdings hatte der vom Gericht ebenfalls als Sachverständiger hinzugezogene Facharzt für Pneumologie keinen Krebs auf den Bildern erkannt. Maßgeblich ist nach allgemeiner Ansicht in der Rechtsprechung für einen Arzt immer der Facharztstandard seines Fachbereiches, solange der Arzt sich bei seiner Tätigkeit in seinem Fachgebiet bewegt.

Hier habe der beklagte Pneumologe sich bei der Anfertigung und der Auswertung des Röntgen des Thorax noch in seinem Fachgebiet bewegt (und nicht etwa die Fachgebietsgrenze zum Facharzt für Radiologie überschritten), so das Landgericht Flensburg. Zwar sei in der einschlägigen Weiterbildungsordnung der Pneumologen die Röntgendiagnostik nicht erwähnt (wohl aber in der der Radiologen). Eine eigene Anfertigung und Befundung von Röntgenbildern durch einen niedergelassenen internistischen Pneumologen sei aber - so der Sachverständige - üblich, wenn auch rückläufig. Aus ärztlicher Sicht sei nicht festzustellen, dass ein Pneumologe keine Röntgenbilder befunden dürfe. Es sei aber eine schwierige Diagnostik. Der Sachverständige gab dazu an, er selbst lasse in Facharztprüfungen für Innere Medizin und Pneumologie auch Röntgenbilder bewerten. Nach alldem konnte das LG Flensburg nicht feststellen, dass die Durchführung und Befundung einer Röntgenaufnahme allein in das Fachgebiet der Radiologie fällt, sondern für pneumologische Sachverhalte aufgrund einer bestehenden Übung auch in das Fachgebiet der Inneren Medizin und Pneumologie.

Praxisanmerkung:

Das Ergebnis steht im Einklang mit der Linie der herrschenden Rechtsprechung: Ein Diagnosefehler als (votrwerfbarer) Behandlungsfehler liegt danach (nur) vor, wenn die fehlerhafte Diagnose als in der gegebenen Situation objektiv unvertretbar und subjektiv unverständlich war. Dies war hier nicht der Fall, weil der als Sachverständiger herangezogene andere Pneumologe den Krebs ebenfalls nicht gesehen hatte.

Für den Pneumologen ist es der sicherste Weg, in solchen Fällen ein radiologisches Konsil hinzuzuziehen. Denn es ist nicht auszuschließen, dass in einem anderen Streitfall vor Gericht ein anderer Gerichtssachverständiger die Fachgebiete anders definiert (und das Röntgen allein den Radiologen zuschlägt) und das Gericht dem dann folgt, was dazu führte, dass die Auswertung durch den Pneumologen doch als fachgebietsfremd angesehen würde, womit man doch bei einem verwertbaren Diagnosefehler ankäme.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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