(14.10.2019) Das Sozialgericht Berlin zeigt an einem exemplarischen Fall auf, was niedergelassene Ärzte beim Thema Vertretung immer noch falsch verstehen (oder falsch verstehen wollen): Vertretungen sind nur in strengen Grenzen möglich. Behandeln zwei niedergelassene Ärzte in einer Praxis dagegen mehrere Patienten gemeinsam, ohne dass eine echte und zulässige Vertretung vorliegt, so kann die KV Honorare von den Ärzten zurückverlangen (SG Berlin, Urteil vom 25. September 2019 – S 83 KA 23/18).  

Anästhesist bei der ArbeitDer Fall:

Die Klägerin streitet mit der KV über die eine Kürzung ihres Honorars. Die KV wirft ihr u.a. vor, zu viele Patienten gemeinsam mit ihrer Kollegin behandelt zu haben. Die Klägerin ist zugelassene Fachärztin für Anästhesiologie in eigener Praxis in Berlin. Sie betrieb eine Praxisgemeinschaft mit ihrer Kollegin, Frau Dr. F., die ebenfalls als Fachärztin für Anästhesiologie zugelassen ist. 

Dabei führte entweder die Klägerin oder Frau Dr. F. die präanesthesiologischen Untersuchungen durch, dann nahm die jeweils andere die Narkose vor. Teilweise wurde in diesen Fällen erneut eine präanesthesiologische Untersuchung erbracht und abgerechnet. Zudem wurde jeweils von beiden Ärztinnen die Grundpauschale abgerechnet.

Die Klägerin wies den Vorwurf der gemeinsamen Behandlung von mehr als 20 % der Patienten und des Mißbrauchs der Gestaltungsform der Praxisgemeinschaft zurück: Sie sei im Prüfzeitraum mit Frau Dr. F. in Form einer Praxisgemeinschaft organisiert gewesen. Sie habe ihre Praxis jedoch als Einzelpraxis getrennt geführt und habe getrennt abgerechnet. Sie sei mehrfach für ihre kurzfristig und für wenige Tage erkrankte Kollegin eingesprungen (ohne allerdings einen Vertreterschein zu nutzen). Dadurch sei der Eindruck einer zu hohen Zahl gemeinsam behandelter Patienten entstanden. Sie rechtfertigte ihr Vorgehen damit, dass sie als Anästesistin eine gewisse Flexibilität benötige. 

Die Entscheidung:

Das Sozialgericht wies die Klage der Anästhesitin weitgehend zurück, lediglich betraglich minderte das Gericht den zurückzuzahlenden Betrag.

Dabei wies das Gericht darauf hin, dass auch Anästhesisten verpflichtet sind, bei kurzfristigen Vertretungen einen sog. Vertreterschein zu nutzen. Dies tat die Klägerin aber nicht. Deshalb ließ das Gericht ihren Hinweis auf die kurzfristigen Vertretungen ihrer Kollegin nicht gelten. Das Gericht erkennt dabei an, dass ein Anästesist weniger Patientenbindung besitzt als z.B. ein Hausarzt. Der Wunsch der Klägerin nach Flexibilität in der Vertretung ihrer Kollegin kann das Gericht also durchaus nachvollziehen, blieb aber in der sache hart.

Das Gericht legt ihr aber nahe, dann eine Beraufsausübungsgemnschaft (BAG/Gemeinschaftspraxis) mit ihrer Kollegin zu gründen. Dann könne sie diese schließlich unbegrenzt und auch ohne Vertretungsschein vertreten.

Das Gericht führt weiter aus, dass auch bei Nichtüberschreitung des Auffangkriteriums nach § 11 Abs 2 der Abrechnungsprüfungsrichtlinie (20 bzw. 30 % gemeinsam behandelter Patienten) sei grundsätzlich die Beanstandung des Missbrauchs der Kooperationsform möglich.

Bei der Ermittlung der prozentualen Patientenidentität sind nach Auffassung des Gerichts nicht die Fallzahlen beider Praxen zu addieren und aus dieser Zahl der prozentuale Anteil der gemeinsam behandelten Patienten zu ermitteln. Bei der Ermittlung der Prozentsätze der gemeinsamen Patienten bezieht die Beklagte vielmehr zutreffend die Zahl der gemeinsamen Patienten auf die Patientenzahl jeder Praxis und nicht auf die Summe der Patientenzahlen beider Praxen. Dies wird bereits verbindlich durch § 11 Abs. 2 ARL vorgegeben.

Anmerkung:

Ein Mißbrauch der Gestaltungsform der Praxisgemeinschaft liegt vor, wenn eine tatsächlich als Gemeinschaftspraxis (u.a. werden dort Patienten gemeinsam behandelt und alle Einnahmen werden geteilt) getarnt wird als Praxisgemeinschaft (in der die Ärzte sich nur die Kosten u.a. für Personal und Miete teilen). Erkannt wird ein solcher Mißbrauch durch die Zahl der gemeinsam behandelten Patienten (> 20 %), was ein sogenanntes Aufgreifkriterium darstellt, sprich einen Anlaß für weitere Prüfungen der KV bildet. Ärzte in einer Praxisgemeinschaft sollten die Zahl der gemeinsam behandelten Patienten daher im Blick behalten und Vertreterscheine nutzen. Im Übrigen zeigt das Urteil aber auch, dass selbst wenn die Zahl der gemeinsam behandelten Patinten unter 20 % liegt, die KV weitere Prüfungen vornehmen kann und dann einen Mißbrauch der Gestaltungsform im Einzelfall nachweisen kann. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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